# taz.de -- Spaniens Exklave Melilla: Hüter des Grenzwalls | |
> „Haben Sie nachts die Hubschrauber gehört?“, fragt der | |
> Flüchtlingsaktivist. Die überwachen ständig den Zaun. Im Auftrag der EU. | |
> Ein Besuch in Melilla. | |
Bild: Melilla: Fussball im Stadtviertel. | |
MELILLA taz | Hoch oben thront Melilla la Vieja, das alte Melilla. Eine | |
imposante mittelalterliche Befestigungsanlage mit dicken Mauern, geheimen | |
Fluchtwegen, verwinkelten Gassen, großzügigem Meeresblick. Die | |
geschichtsträchtige Stadtanlage ist das touristische Aushängeschild der | |
autonomen spanischen Stadt an der afrikanischen Küste, die Marokko schon | |
immer und erfolglos für sich reklamiert hat. | |
"In Melilla lebt es sich gut", sagt Alejandro Jiménez Rodanes. Der Chef des | |
Tourismusbüros führt durch die Stadt. "Die Löhne sind um ein Drittel höher | |
als in Spanien, es gibt Steuerfreiheit, und alles ist subventioniert", | |
erklärt er. Und fügt stolz hinzu: "Wir sind eine offene Stadt." 60 Prozent | |
der Einwohner Melillas sind Christen, 40 Prozent Muslime, eine kleine | |
indische Gemeinde gibt es auch. | |
Vor allem aber ist der Einfluss Marokkos allgegenwärtig: Pfefferminztee in | |
den Cafés, verschleierte Frauen und Männer in der traditionellen | |
Dschellaba, auffallend viele alte Mercedesse, exzellenter Fisch und | |
Meeresfrüchte. Aber auch westliche Ladenketten, Stilettos und Miniröcke | |
gibt es, andalusische Nächte, Tapas-Bars, Dealer, Trinker, Spielcasinos. | |
## Verdrängungsleistung | |
Um in Melilla steuerfrei zu shoppen oder unbeschwert zu golfen, bedarf es | |
jedoch einer großen Verdrängungsleistung: Hunderte von Afrikanern haben in | |
den letzten Wochen und Monaten versucht, von Marokko aus illegal in die | |
spanische Exklave zu gelangen, trotz ständiger Kontrollen. Derzeit harren | |
nach Angaben der spanischen Behörden rund 1.000 afrikanische | |
Armutsflüchtlinge im Grenzgebiet aus. Die vom Tourismuschef beschworene | |
Offenheit Melillas ist hier am Ende. | |
"Wir befinden uns in einem permanenten Kriegszustand", erklärt José Palazón | |
Osma. Der scheu wirkende Leiter einer Privatschule für Wirtschaft sitzt | |
beim Feierabendbier in einer der vielen Bars am Hafen. "Der Druck durch die | |
Migranten auf die Stadt ist enorm." José Palazón Osma ist um die 50 Jahre | |
alt und in der Flüchtlingsarbeit aktiv. | |
Seine Organisation PRODEIN engagiert sich vor allem für den Schutz von | |
alleingelassenen Flüchtlings- und Migrantenkindern. Und sie versucht, den | |
an der Grenze ausharrenden Flüchtlingen zu ihrem Recht zu verhelfen. Zum | |
Beispiel, wenn nach 60 Tagen keine Rückführung stattgefunden hat. "Dann | |
müssen sie freigelassen werden", erklärt José Palazón Osma. "Doch in | |
Melilla sitzen die Leute manchmal sechs Jahre fest." Wenn sie dann nach | |
Spanien geschickt würden, hätten sie keine Papiere, nichts. "Dort werden | |
sie wieder aufgegriffen, und so geht es immer weiter." | |
Der am Hafen gelegene neuere Stadtteil von Melilla ist von der Anlage her | |
eine typisch rechteckige Garnisonsstadt mit geraden Straßen, großen | |
Plätzen, Parkanlagen. Drumherum wurden in den 70er Jahren die | |
gesichtslosen, verfallssüchtigen Wohnsilos wie überall in Spanien | |
hochgezogen, auch an dem bescheidenen Strandabschnitt der Stadt. | |
Im Zentrum erzählen 900 eindrucksvolle, wenn auch meist heruntergekommene | |
Jugendstilbauten von der bürgerlichen Hochzeit dieser Militärstadt. Ein | |
Schüler Gaudís, Enrique Nieto, baute hier in den 1920er Jahren im | |
modernistischen Stil. Waren 1921 noch 40.000 Soldaten in Melilla | |
stationiert, sind es heute noch 12.000. In Zeiten einer Berufsarmee sind | |
Glanz und Gloria des spanischen Militärs Vergangenheit. Melilla lebt heute | |
von der Steuerfreiheit, der Unterstützung Spaniens und der Europäischen | |
Union. Es gibt keine Industrie, keine Landwirtschaft, keinen Handel - | |
"allenfalls Drogen- und Menschenschmuggel", sagt José Palazón Osma. | |
## Golfplatz am Grenzzaun | |
Die spanische Exklave soll touristisch vermarktet werden. Vor allem, seit | |
im 100 Kilometer entfernten marokkanischen Saidia der Massentourismus | |
Einzug gehalten hat und Melilla hofft, ein attraktives, weil europäisches | |
Ausflugsziel zu werden. Für diese touristische Initiative haben die | |
Verantwortlichen einen Golfplatz direkt am dreifach gesicherten Grenzzaun | |
nach Marokko und neben dem Zentrum für Migranten, CETIS, gebaut. Ein | |
verzweifelter Versuch, der tristen Realität und wüsten Umgebung mit einer | |
Freizeitanlage zu trotzen. Oder einfach eine Geschmacksverirrung aus | |
Platzmangel. | |
"Haben Sie die Hubschrauber in der Nacht gehört?", fragt | |
Flüchtlingsaktivist José Palazón Osma. "Die überwachen ständig die Grenze. | |
Und strahlen die Leute mit ihren Scheinwerfern an, damit die marokkanische | |
Polizei leichteres Spiel hat." Die spanische Regierung betont, dass sich | |
die Zusammenarbeit mit den marokkanischen Behörden - die die Souveränität | |
Spaniens über Ceuta, Melilla und die kleinen Inseln ansonsten nicht | |
anerkennen - hinsichtlich der Illegalen "sehr gut gestaltet". | |
Sechs Meter hoch ist der Hightechzaun, der die ganze Stadt umgibt. | |
Infrarotkameras überwachen die Anlage, außerdem wurden Bewegungs- und | |
Geräuschmelder installiert. Das Schlagwort Festung Europa ist hier | |
traurige, spürbare Realität. | |
Die Leute von der Guardia Civil wären selbst manchmal erschrocken, wie die | |
Marokkaner mit den Migranten umgehen, berichtet José Palazon Osma." Sie | |
schlagen sie. Sie setzen sie in der Wüste aus, verletzen ihnen die Beine. | |
Viele Leute verschwinden einfach. Oder sterben." Marokko sei da wilder als | |
Spanien, wo immerhin die Menschenrechte gelten würden. Bitter fügt er | |
hinzu: "Aber die Europäische Union bezahlt ja Marokko und Melilla, damit | |
diese Drecksarbeit gemacht wird." | |
Das spanische Innenministerium ist inzwischen beunruhigt über die neuen | |
Methoden, die die Migranten nutzen, um auf spanisches Territorium zu | |
gelangen. So war eine Gruppe in den vergangenen Wochen mit Motorbooten auf | |
mehreren winzigen Felseninseln gelandet, die der Küste vorgelagert sind. 41 | |
Schwarzafrikaner hatten sich auf einem Eiland namens Alhucemas absetzen | |
können, das zu Spanien gehört. Es liegt rund 84 Kilometer vor Melilla und | |
ist gerade einmal 170 Meter lang und 86 Meter breit. | |
Der Fall ging ausnahmsweise durch die Medien. Die Flüchtlinge wurden nach | |
Marokko zurückgebracht. "Das passiert andauernd", sagt José Palazón Osma. | |
"Man spricht bloß nicht darüber." Das marokkanische Militär misshandele die | |
Menschen, da ist er sich sicher. Die Aggressivität habe zugenommen. | |
"Als es den Zaun noch nicht gab", erklärt er, "konnten die Marokkaner ohne | |
große Formalität über die Grenze. Sie kamen in die Stadt, um Arbeit zu | |
suchen. Wenn es Arbeit gab, dann arbeiteten sie, wenn nicht, dann gingen | |
sie wieder." Als der Zaun errichtet wurde, blieben viele. Aus Angst, am | |
nächsten Tag nicht mehr einreisen zu können. "Damit fing das ganze Elend | |
an." | |
## Der letzte Franco | |
Melilla ist klein, die Leute kennen sich. Wie kommt die Arbeit von Osmas | |
Organisation an? "Die Leute haben Angst, sich auf das Thema Migration | |
einzulassen", sagt er. "Vor allem den Politikern gefällt das nicht. Melilla | |
ist und war eine konservative Stadt." | |
Direkt am Anlegeplatz der Fähre steht noch heute das Denkmal des | |
Kommandanten Franco. Das einzig übrig gebliebene Franco-Denkmal in ganz | |
Spanien. Konservative spanische Generale begannen hier am 17. Juli 1936 die | |
Revolte gegen die Spanische Republik. Franco, der zu dieser Zeit | |
Militärgouverneur auf den Kanarischen Inseln war, rief zur Revolution auf, | |
reiste unverzüglich nach Marokko und übernahm die Führung des putschenden | |
Militärs. | |
Vom hoch oben gelegenen Parador der Stadt, ein Hotel im Baustil der 70er | |
Jahre mit Brauntönen und schweren Clubsesseln, hat man einen guten | |
Überblick: auf den Hafen, wo Tag und Nacht die Fährschiffe brummen, die | |
Richtung Cadiz auf dem spanischen Festland auslaufen; auf das scheußliche | |
Hochhaus, das die spanische Regierung der Stadt zur Fünfhundertjahrfeier | |
1997 schenkte; auf den Berg Grurugú in Marokko, wo sich die illegalen | |
Migranten verstecken und auf ihre Gelegenheit zur Überwindung der Grenze | |
warten. Immer wieder von Neuem. | |
13 Dec 2012 | |
## AUTOREN | |
Edith Kresta | |
Edith Kresta | |
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