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# taz.de -- Das neue Mietrecht kommt: Fassade gedämmt, Mieter vertrieben
> Ab dem 1. Mai werden energetische Modernisierungen für Hauseigentümer
> leichter. Danach drohen Mieterhöhungen, die zur Vertreibung führen
> können.
Bild: Die Vertreibung von nicht so zahlungskräftigen Mietern wird künftig ein…
BERLIN taz | Sie sind der Albtraum tausender Mieter, die noch in Häusern
ohne Fassadendämmung, Isofenster und Aufzüge leben: Modernisierungen, die
als wohnwertverbessernde und energiesparende Maßnahmen daherkommen, am Ende
aber Mieterhöhungen zur Folge haben, die Bewohner aus ihren Kiezen treiben.
Mit dem neuen Mietrecht, das am 1. Mai in Kraft tritt, werden solche
baulichen Maßnahmen für die Vermieter erleichtert. Der Bundestag hatte die
Reform mit den Stimmen von Union und FDP im vergangenen Dezember
beschlossen.
„Die Novelle ist eine Aufweichung des Mietrechts unter dem Vorwand der
Klimapolitik“, rügt Ingo Egloff, Mietrechtsexperte der SPD im Bundestag.
Mit den Neuregelungen können Mieter in den ersten drei Monaten keine
Mietminderung mehr wegen Lärm, Dreck oder Verdunkelung geltend machen, wenn
es sich um eine energetische Sanierung handelt.
Diese Unterscheidung halten viele Kritiker für praxisfern. „Oft werden doch
mehrere Maßnahmen gleichzeitig durchgeführt“, so Egloff. „Wer eine Fassade
dämmt, wird vielleicht gleichzeitig auch die Bäder modernisieren. Kann der
Mieter dann Mietminderung geltend machen oder nicht? Das wird die Gerichte
beschäftigen.“
Bewohner fürchten zudem Mieterhöhungen nach den Sanierungen. Von den
Kosten, die sowohl durch energetische als auch andere Maßnahmen anfallen,
kann der Vermieter als „Modernisierungsumlage“ nach wie vor 11 Prozent auf
die Jahresmiete umlegen, anteilig für jede Wohnung.
Dies bedeutet, dass der Hausbesitzer nach etwa neun Jahren die
Sanierungskosten wieder drin hat. Bezahlt durch die Mieter.
## Neun-Prozent-Deckelung
„Tatsächlich ist es nicht selten, dass gerade die energetische Sanierung in
begehrten Wohnlagen zu Mieten führt, die bis zu 50 Prozent über der
ortsüblichen Vergleichsmiete liegen, dem Mieter aber nur deutlich geringere
Einsparungen bei den Energiekosten bringen“, heißt es in einem Antrag der
SPD-Bundestagsfraktion für „bezahlbare Mieten in Deutschland“.
Der Deutsche Mieterbund fordert, die Umlage von 11 Prozent der
Modernisierungskosten „ersatzlos zu streichen“. Stattdessen sollte im
Rahmen einer ortsüblichen Vergleichsmiete die energetische Qualität der
Wohnung für die Bestimmung der Miete mitentscheidend sein, erklärte
Mieterbund-Präsident Franz-Georg Rips.
SPD und Grüne befürworten die Absenkung der Modernisierungsumlage auf 9
Prozent, die Linke auf 5 Prozent pro Jahr. Doch schon der SPD-Vorschlag ist
der Immobilienwirtschaft zu viel.
Der Vorsitzende der Bundesvereinigung Spitzenverbände der
Immobilienwirtschaft (BSI), Axel Gedaschko, drohte umgehend das „Ende für
die energetische Sanierung“ an, käme die SPD mit ihrer
Neun-Prozent-Deckelung an die Macht.
## Die große Vertreibung
Nach einer Statistik des Bundesverbandes deutscher Wohnungs- und
Immobilienunternehmen (GdW) waren 2011 etwa ein Drittel der Wohnungen in
den Mitgliedsfirmen vollständig energetisch modernisiert. Millionen von
Mietern drohen somit noch Sanierungen, deren Folgen sie aus dem Haus
treiben könnten.
Nicht selten ist dies vom Investor intendiert: Ziehen die Bewohner aus,
kann er bei Neuvermietungen den Mietpreis frei verhandeln oder die leeren
Räume als Eigentumswohnung teuer verkaufen. „Ein solcher Fall ist ein
Missbrauch der energetischen Sanierung“, sagt Egloff.
## Finazielle Härtefälle
Die Bewohner können allerdings eine finanzielle „Härte“ geltend machen und
nach Modernisierungsmaßnahmen gegen die Mieterhöhung protestieren. Der
„Härtegrund“ ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Wohnung durch den Umbau
nur dem gängigen Standard angepasst wurde, also dem Level, das etwa zwei
Drittel der Wohnungen im jeweiligen Bundesland haben.
Wenn die Miete nach der Modernisierung auf deutlich mehr als 30 Prozent des
Mietereinkommens ansteigen würde und dieses schon in der Nähe des
Existenzminimums läge, wenn der Mieter zudem über kein nennenswertes
Vermögen verfügt, dann hat er oder sie Chancen vor Gericht, dass die
Mieterhöhung als finanzielle Härte gilt.
Das Amtsgericht Hamburg etwa urteilte 2009, dass eine Bewohnerin den Anbau
eines zweiten Balkons und die damit verbundene Mieterhöhung nicht dulden
müsse. Sie zahlte von ihrem Nettoeinkommen von 1.300 Euro bereits 40
Prozent, nämlich 518 Euro, für die Warmmiete. Eine weitere Erhöhung hätte
eine „besondere Härte“ bedeutet.
29 Apr 2013
## AUTOREN
Barbara Dribbusch
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