# taz.de -- Politik und Kunst in Berlin: Nächtliche SMS und Briefbombardements | |
> Tag des Mieters in der Volksbühne: Filmemacherin Katrin Rothe berät | |
> Mieter und zeigt den Film "Betongold" über ihren eigenen Kampf. | |
Bild: Der Dokumentarfilm mit Trickfilmsequenzen hatte am Samstag Premiere in de… | |
Es ist ein Albtraum. Da wohnt man seit vielen Jahren in ein und derselben | |
Wohnung, die man sich nach und nach selbst hergerichtet hat. Man hat dort | |
seine Kinder geboren und groß gezogen, sie gehen im Viertel zur Schule. Und | |
dann kommt eines Tages der Brief der Hausverwaltung, kurz darauf der des | |
neuen Besitzers. Das Haus werde modernisiert, und zwar bald. Die zukünftige | |
Miete werde steigen, wahrscheinlich um mehr als hundert Prozent. Am besten, | |
man ziehe einfach aus. | |
Kommt nicht infrage, war die erste Reaktion von Katrin Rothe, einer | |
Filmemacherin, die seit 16 Jahren in der Bergstraße in Mitte lebte. Und | |
weil sie Filmemacherin ist, war es für Rothe nur folgerichtig, das Trauma | |
zum Thema ihres nächsten Films zu machen. Die Dokumentation „Betongold“ | |
erzählt von Katrin Rothes Entmietung, vom Versuch des neuen Besitzers, sie | |
einzuschüchtern und zu terrorisieren. Er erzählt von nächtlichen | |
Kurzmitteilungen aufs Handy, von irrationalen Briefbombardements und von | |
Drohungen, die jedem den Schlaf rauben würden. | |
An diesem verregneten Samstagnachmittag, der in der Volksbühne kurzerhand | |
zum „Tag des Mieters“ umbenannt wurde, steht Grimme-Preisträgerin Katrin | |
Rothe hinter einem von drei kleinen Tischen im Foyer des großen | |
Theaterhauses und packt eine Laminiermaschine aus. Sie, ihre Anwältin und | |
Tina Pfurr, Souffleuse bei René Pollesch, Leiterin des Ballhauses Ost und | |
Sprecherin des Films „Betongold“: Sie wollen hier Mieter beraten, die in | |
einer ähnlichen Situation stecken. Und während ein zehnjähriger Junge | |
„Sophie-Charlotte-Straße“ auf eine Pappe malt und darauf wartet, es zum | |
laminierten Schild mit Holzstab machen zu dürfen, findet sich erstes | |
Publikum ein. | |
Trotz traurigen Wetters haben sich einige Mitstreiter und Interessierte | |
eingefunden, und kaum, dass Rothe dazu raten kann, dass man nichts | |
unterschreiben, die Nachbarn kontaktieren und in den Mieterverein eintreten | |
soll, erzählen andere schon ihre Geschichten, die sich in Sachen | |
Grässlichkeit kaum unterscheiden von der Katrin Rothes. | |
Zum Beispiel Heike T. aus der Fuldastraße in Neukölln. Als mobile | |
Friseurin, die aufstocken muss und als allein erziehende Mutter eines 12- | |
und eines 14-jährigen Jungen gilt sie als Härtefall, berichtet sie. „Die | |
hatten keine Chance“, fügt sie mit großem Selbstbewusstsein an. Nicht, dass | |
sie es nicht auch bei ihr versucht hätten. Aber Heike T. unterschrieb | |
nichts, ging zum Anwalt. Sie erreichte, dass ihre Miete in den nächsten | |
Jahren gedeckelt bleiben wird. Auch danach wäre sie nicht mal im Fall eines | |
Eigenbedarfs kündbar. | |
Heike T. weiß genau, welche Rechte sie hat und wie man für diese kämpft – | |
dafür erntet sie anerkennendes Nicken vom Stand neben dem der | |
Filmemacherin. Es sind die Mieter vom „Pankower Mietprotest“, die den | |
Anlass mit freundlicher Genehmigung für ihre Zwecke nutzen. Sie kämpfen | |
gegen das skrupellose Vorgehen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft | |
Gesobau, ihres Vermieters. Waren es Anfang April 2013 noch Mieter aus drei | |
betroffenen Objekten (siehe taz vom 9. 4. 2013), haben sich inzwischen | |
Mieter aus zehn Häusern zusammengetan. | |
## Schlechtere Bäder als zuvor | |
Gudrun Wallnik vom Mieterprotest erzählt: Auch in Pankow wurden | |
Mietsteigerungen von bis zu 120 Prozent angedroht – und das, obwohl die | |
Gesobau gerade erst im September ein „Bündnis für soziale Wohnungspolitik | |
und bezahlbare Mieten“ mit dem Senat unterzeichnet hat. Die Wohnungen | |
sollen auf eine Weise saniert werden, die sich den Mietern kaum erschließt: | |
Zum Beispiel soll der Standard der Bäder einheitlich werden, auch wenn die | |
neuen Bäder schlechter sein sollten als die alten, oft selbst eingebauten | |
Bäder der Mieter. Zudem will die Gesobau Balkone installieren, die die | |
Mieter nicht wollen. | |
Schon meldet sich die nächste Mieterin zu Wort. Es ist die Mutter des | |
Zehnjährigen mit dem „Sophie-Charlotte-Straße“-Schild. „Wozu Balkone, w… | |
man sich die Miete nicht mehr leisten kann“, sagt sie. Sie heißt Bianca | |
Bötel, ist Anfang 50, allein erziehende Mutter und frei schaffende | |
Künstlerin. Seit neun Jahren lebt sie in der Sophie-Charlotte-Straße in | |
Charlottenburg. Nun soll luxussaniert werden, die Miete doppelt so teuer. | |
Was ihr bislang angeboten wurde: eine Entschädigung von 100 Euro pro | |
Quadratmeter, in ihrem Fall sind das 6.000 Euro – aber keine Ersatzwohnung. | |
Stattdessen kamen Drohungen. Beim Dachausbau müssten neue Träger rein. Die | |
Decke ihrer Wohnung könnte im Zuge dessen durchaus runterkommen. | |
Doch ähnlich wie die Mieter aus Pankow, Heike T. und die Regisseurin Katrin | |
Rothe lässt Bianca Bötel sich nicht einschüchtern. Im Gegenteil: Sie freut | |
sich direkt auf die ersten Schritte ihres Anwalts, den die Mieter ihres | |
Hauses nun geschlossen eingeschaltet haben. Dann erzählt Bianca Bötel, dass | |
sie sich noch gut erinnert an das Berlin ihrer Jugend. Es war die Zeit der | |
Hausbesetzer. Eine gute Zeit, findet sie. „Diese ganze Wut wird | |
wiederkommen“, fügt sie an. | |
26 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Susanne Messmer | |
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