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# taz.de -- Kolumne Melodien aus Malmö #6: Das Böse unter der ESC-Sonne
> Soll man Weißrussen beim ESC trotz der Menschenrechtslage grüßen? Der
> Kontakt lässt sich kaum vermeiden. Das ist gar nicht so schlecht.
Bild: Weißrusslands Star für Malmö: Alyona Lanskaya.
Eigentlich muss man sie wie Aussätzige behandeln. Voriges Jahr
Aserbaidschaner, die nicht irgendwie pure Fans des ESC sind oder politische
Aktivisten im Sinne der „Human Rights Watch“ Agenda. Dieses Jahr böte sich
an, besonders ein böses Auge auf Weißrussland zu werfen, denn dieses Land
ist Mitglied der European Broadcasting Union (EBU) und bleibt es auch, weil
die EBU nun einmal keine politische Organisation ist, sondern ein
TV-Netzwerk öffentlich-rechtlicher Sender.
Es ist beim ESC einfach sehr kompliziert, denn was beim Fußball oder beim
Sport überhaupt gestattet ist, kann es bei [1][einem Pop-Festival] noch
lange nicht sein: Da ist jede Note immer auch eine schiefe, wenn sie in
einem Lied eines undemokratischen, ja, totalitären Landes steckt.
Nur: Soll man Weißrussen hier beim ESC in Malmö grüßen? Kann man sie meiden
– aber wie soll das in einem Fahrstuhl gehen? Zumal wenn man so
grundfreundlich ist wie Viktar Jushkevich, ein Sprachentalent aus Minsk,
der seiner Ausbildung wegen in vielen Städten Schwedens lebte, jeweils nur
kurz, auch in Großbritannien war, der Sprache wegen. Er kann Englisch, und
das ist in diesem eurovisionären Kontext nützlich, denn das Englische ist
die „lingua franca“ des Pops und die Umgangssprache beim ESC in Malmö.
Doch, wir wünschen uns einen „Guten Morgen“, sonst den Tag über auch, wenn
man sich begegnet. Und das ist ganz unvermeidlich, weil die weißrussische
Delegation mit Sängerin Alyona Lanskaya auch in meinem Hotel Herberge
genommen hat.
Weißrusslands Macher sind leicht zu identifizieren. Nicht nur, weil die
erfahrungsgesättigten Blicke stimmen: Männer aus dem exsowjetischen Raum
tragen spitze Schuhe, fallen durch ein Handtäschchen am Armgelenk auf, die
Handys am Hosengürtel, sichtbar wie bei dauergefragten Ingenieuren. Und die
Frauen sehr schlank – und Alyona Lanskaya ganz besonders.
Die EBU jedenfalls hat erklärt, trotz der aserbaidschanischen Erfahrungen,
dass auch in Minsk ein ESC stattfinden könnte, aller Menschenrechtslage –
eine Diktatur, was sonst, mit Todesstrafe, Polizeiwillkür und
Einschüchterung aller Opposition und so weiter – zum Trotz.
## Das Ding generell
Viktar Jushkevich' ist ein überaus freundlicher junger Mann; für sein Team
aus Weißrussland hat er Übersetzungsaufgaben zu erfüllen – und ein Junge
für alles zu sein. Journalisten mit Promomaterial zu versorgen, Kisten und
Tüten schleppen und sowas. Er wirkt wie ein glücklicher Mann, der sich für
den ESC allerdings auch dann interessieren würde, wenn er mit diesem
beruflich nichts zu tun hätte.
„Wissen Sie, der ESC ist in Weißrussland das Ding generell. Alle gucken
das. Sind gespannt, wie es in anderen Ländern aussieht, wie die singen. Es
ist ja ein bisschen wie Sport, da fiebert man auch nicht.“ Jushkevich, der
dennoch kein Foto von sich machen lassen möchte – „Entscheidet der
Delegationsleiter!“ – Vielen Dank!, der lehnt ja alles ab, was nicht Alyona
Lanskaya ist –, sagt, dass Weißrussland ein schönes, friedliches Land sein
... Und an dieser Stelle fragt man sich, ob dieser Endzwanziger wirklich
nur ein Teil der Minsker Delegation im Gesindetrakt ist oder ein
politischer Einflussagent ...
Wie dem auch sei: All die Personen, die sich bis gestern abend sorgten, ob
„Solayoh“, so der Titel Weißrusslands, es ins Finale schafft oder nicht,
sind an diesem Tag nach dem ersten Semifinale vielleicht beim Ausnüchtern
auf den Zimmern. Es hat sich gelohnt, diese Arbeit am Europäischen: die
gigantisch teure Party im „Slagthus“ für alle ESC-Akkreditierten, die
T-Shirts, die man an Fans verschenkte, all die Interviews, die Alyona
Lanskaya geben durfte, der Stress, die Nervotität, das hektische
Telefonieren mit den Handys.
Denn sie ist tatsächlich ins Finale gekommen – auch wenn die Bühnenshow bei
mitteleuropäischen Zuschauern eventuell als überladen empfunden wurde.
Samstag beim Finale ist man dabei. Viktar Jushkevich wird jetzt drei Tage
ruhig sein können, denn das Ziel ist erreicht: Finale! Der Rest ist Zugabe,
nicht nur für ihn, vor allem für die weißrussischen TV-Leute. Gewinnchancen
gibt es nach allem, was man wissen kann, keine. Das ist beruhigend, vor
allem für die EBU: Die muss sich dann mit der Frage, ob man in einer
Diktatur einen ESC ausrichten kann, nicht herumschlagen.
[2][Wie es sonst im ersten Halbfinale] aussah. Cascada wird heute in Malmö
auf der Freiluftbühne in der Innenstadt auftreten. Es soll frühsommerlich
werden.
15 May 2013
## LINKS
[1] /index.php
[2] http://eurovision.blog.ndr.de/2013/05/14/ersteshalbfinale/
## AUTOREN
Jan Feddersen
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