| # taz.de -- Kolumne Melodien aus Malmö #5: Wie Weihnachten, nur ohne Streit | |
| > In einem Wohnwagen haben Chris und Oliver den Weg aus dem Rheinland ins | |
| > Südschwedische zum ESC zurückgelegt. Sie haben Kräuterlikör mitgebracht. | |
| Bild: Der mit Fahnen geschmückte Wohnwagen. | |
| Hinter dem designerisch seit der Einweihnung der Bahnuntertunnelung Malmö | |
| aufgehübschten Hauptbahnhof liegt ein früheres Industrieviertel, in dem ein | |
| Schlachthaus angesiedelt: Jetzt ist das „Slagthus" eine Location für | |
| Kulturevents aller Art. Momentan: der Eurovisionsclub, also die Disko, die | |
| Bar, der Meetingpoint, die stets krass bevölkerte Raucherecke vor allem | |
| durch Osteuropäer, der Dancefloor. Alles in einem Backsteingemäuer. | |
| Hinter diesem Haus, noch näher an die Ostsee ran, ist ein Parkplatz - und | |
| dort stand einige Tage ein ziemlich abgerocktes Teil an Wohnwagen. Beflaggt | |
| mit einer Kette an europäischen Fahnen. Es ist definitiv ein Gefährt, das | |
| als Antithese zu allem SUV-Protzertum gelten kann. Hier haben zwei Männer | |
| Quartier, die sich vor einigen Tagen von Köln aus auf den Weg gemacht | |
| haben. | |
| Christoph Horn, Jahrgang 1981, und Oliver Jukic, Jahrgang 1980 – sie haben | |
| im Reiseführer von Schweden gelesen, dass es hier ein „Allemansrätt" gibt, | |
| also die Erlaubnis, überall im Land wenigstens eine Nacht ohne nähere | |
| Erlaubnis durch Behörden zu übernachten. | |
| Horn und Jukic sehen übernächtigt aus. Schon wieder Party irgendeines | |
| Landes, das beim Eurovision Song Contest mitmacht. Wohnwagen – nichts | |
| anderes kam in Frage, um nach Malmö zu fahren. Viel Geld haben sie nicht, | |
| der eine nennt sich Lebenskünstler mit abgebrochenem Studium, der andere | |
| ist Ökotrophologe. Was sie wollen, ist so wichtig wie nichts anderes im | |
| Jahr: Dabei zu sein beim ESC. | |
| Chris Horn, der Mann ohne Mütze, sagt: „Drei Dinge sind wichtig, in dieser | |
| Reihenfolge - ESC, Reisen, Jungs." Und Jukic ergänzt: „Das sind heilige | |
| Tage. Wenn ich keinen Urlaub bekommen würde, müsste ich sagen, na, dann | |
| generell ohne mich." Der Wohnwagen ist hinter den furnierten Schranktüren | |
| voll mit Lebensmitteln. Besser: H-Milch, Bubbelwasser, Alkoholika, Nudeln | |
| und Reis, das Notdürftigste, um nicht völlig vom Fleisch zu fallen. | |
| ## Kräuterlikör aus der Heimat | |
| Ihr Passion ESC ist ihnen so gut wie alles. „Wie Weihnachten", sagt Chris | |
| Horn, „nur ohne Streit." Die beiden sind kein Paar, Busenfreunde müsste man | |
| sagen. So wie die beiden Weiber in „Absolutely Fabulous". Durch dick und | |
| dünn. Beim Interview schaut Chris Horn direkt auf den Catwalk mit dem Roten | |
| Teppich, auf dem die 39 Stars und ihre Delegationen stöckeln und wackeln | |
| werden. Ob da wohl Natalie Horler von Cascada noch kommt? Chris Horn will | |
| ihr ein Geschenk aus Bonn überreichen, einen „ladyliken", wie er sagt, | |
| Kräuterlikör. Ein Gruß aus der Heimat sozusagen. | |
| 2.000 Euro wird der Tripp aus dem Rheinland ins Südschwedische am Ende | |
| kosten – „ein Jahresurlaub kostet auch soviel, hat aber einen geringeren | |
| Spaßfaktor". Von ihrer Art sind in Malmö einige Hundert Fans zugegen – in | |
| mehr oder weniger komfortablen Verhältnissen wie in dem Wohnwagen dieser | |
| beiden. | |
| Oliver Jukic wie auch Chris Horn sind das, was den Eurovision Song Contest | |
| unterhalb der offiziösen Boulevardästhetiken in den Medien zu einem | |
| lebendigen Basisprojekt macht. Beide Fans aus Köln – offen schwul, was | |
| sonst? – haben sich für den ESC immer schon interessiert. Wobei Chris Horn | |
| sogar völlig ohne Defensivgeste sagt: „Ich verstehe nicht, wie man den ESC | |
| nicht musikalisch für das Größte halten kann." Im Werkunterricht verstand | |
| er nicht, wie man häkelt. Seine Mutter brachte es ihm dabei – und dabei | |
| lief eine Vinyl-LP aus dem Jahre 1981 mit den Grand-Prix-Gewinnern von 1956 | |
| bis 1981. Gehirnwäsche? Horn sagt: „Nein, auf keinen Fall – wenn sie | |
| anderes gespielt hätte, wäre mir vielleicht das Handwerken nicht so leicht | |
| gefallen. Aber Grand Prix – das war es definitiv." | |
| 1988 sah er als Siebenjähriger erstmals dieses Festival – mit Céline Dion | |
| als Siegerin. Oliver Jukic glaubt sich an Nicoles „Ein bisschen Frieden" | |
| erinnern zu können – aber das trifft nicht zu, als man ihn fragt, wie denn | |
| das als Zweijähriger gegangen sein soll. „Na, aber ich mochte diese weiße | |
| Figur an der Gitarre sehr." Horn hingegen wäre am liebsten wohl selbst | |
| ESC-Regisseur. Als Kind hat er mit „Was ist was?"-Heften, Stofftieren und | |
| „Alf"-Cassetten den Grand Prix Eurovision im Kinderzimmer nachgespielt. | |
| ## Unappetitliche Sache | |
| War es denn nicht manchmal schwer, gerade jene Musik zu mögen, die die | |
| coolen Jungs nicht hörten? Ist es nicht klar gewesen, das Heterojungs die | |
| Limits der Coolness setzen – und wer sie nicht befolgt, als aussätzig gilt? | |
| Beide nicken. Jukic sagt, ihm sei das immer egal gewesen – und seine | |
| Eltern, bosnisch und deutsch, hätten ihn da keineswegs besorgt angeschaut, | |
| wenn er schon wieder für den ESC entflammt war. Und Chris Horn sagt: | |
| „Anders als die anderen zu sein, war mir immer recht. Ich bin anders. Und | |
| anders anders. Jedenfalls habe ich nie Rock oder so gehört." Spricht er | |
| dieses Wort aus, klingt „Rock" wie „Ekel" oder „Bäh", auf alle Fälle wie | |
| eine ziemlich unappetitliche Sache. | |
| Beide wollen an diesem Abend mal früh ins Bett, kurz nach Mitternacht, dann | |
| ist Schicht. Sechs Tage noch, dann war es das schon mit dem Finale. Beide | |
| sagen: „Nach dem ESC ist vor dem ESC." | |
| Die Lieblingslieder des ESC von Chris Horn: Amina „Le dernier qui a parlé" | |
| (1991), Joy Flemings „Ein Lied kann eine Brücke sein" (1975) sowie | |
| Friderikas „Kinek mondjam el vétkeimet?" (1994) sowie von Oliver Jukic: Joy | |
| Flemings „Ein Lied kann eine Brücke sein" (1975), Marianne Mendts „Musik" | |
| (1971) und Antiques „(I Would) Die For You" (2001). Aktuell: Cascada mit | |
| „Glorious" | |
| 14 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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