| # taz.de -- Kolumne Melodien aus Malmö #2: Aserbaidschanische Klimafragen | |
| > 2012 war Rashad Shadiqov ein Supporter des ESC in Baku. Nun ist er in | |
| > Schweden zu Gast – und fühlt sich überhaupt nicht wohl. Man spürt | |
| > Kränkung. | |
| Bild: Man muss mit den Malmöern erst warm werden. Dann wird man aber auch zum … | |
| Malmö gibt ja mit dieser Tatsache an: Die Welt muss nicht in die | |
| schwedische Hafenstadt kommen, sie ist ja längst da. So viele Menschen, die | |
| offensichtlich nicht nordisch-blond aussehen. Ja, Malmö ist eine | |
| Einwandererstadt – und sie bekennt sich auch dazu. Gut, dieses Kapital zu | |
| haben, diesen Reichtum, sagt Bürgermeister Ilmar Reepalu, dessen Name | |
| anzeigt, der finnisch-schwedischen Minderheit anzugehören. | |
| Und so sieht sich ja die Stadt selbst: multikulturell, dem Leben zugewandt, | |
| neugierig, offen – also am besten attributiert mit Worten, die eine | |
| promotionell selbstbewusste in aller Welt sich gern anhängt. | |
| Aber wie empfinden Gäste, die eigenes des Eurovision Song Contest nach | |
| Schonen gekommen sind? Rashad Shadiqov ist seit fünf Tagen in Malmö, | |
| eingeflogen von Norwegen über Kopenhagen und schließlich mit dem Zug nach | |
| Schweden. Der 24jährige war voriges Jahr in Baku einer der 2.000 Supporter, | |
| jener jungen Menschen, die ehrenamtlich Dienst für ihr Land taten. Gäste | |
| durch die Stadt führten, an und in der Halle des ESC Serviceleistungen | |
| erbrachten – und, so hörte ich es vor zwölf Monaten ausnahmslos, ihr Land | |
| repräsentierten, auf dass Europa es als freundlich kennenlerne. | |
| Shadiqov ging nach den eurovisionären Tagen von Baku zurück nach Stavanger, | |
| Norwegen, wo er seit vier Jahren lebt, Erdöltechnik studiert, Norwegisch | |
| und Englisch lernt und sich die Reise nach Malmö nicht nehmen lassen | |
| wollte: „Ich finde, der ESC ist ein Treffpunkt, um sich in Europa | |
| kennenzulernen. Ich mag diese Lieder, die vielen Länder, die vielen | |
| Versuche, sich zu gefallen.“ Aber er fühlt sich nicht wohl, sagt er. Warum? | |
| Ist die Stadt etwa nicht freundiich? | |
| „Es ist dunkel, die Stadt ist nicht geschmückt wie bei uns vor einem Jahr, | |
| alles ist klein und eng.“ Die Veranstalter des ESC müssen sparen – sieht er | |
| das Problem nicht, dass die Kosten von Baku keiner mehr steigern wollte? | |
| „Am ESC darf nicht gespart werden.“ Er sagt das fast eine Idee zu | |
| aggressiv, als dass man seinen Befund als nur sachlich hinnehmen müsste. | |
| Also, was ist das Problem? | |
| Er denkt eine kurze Weile nach, nippt an seiner Cola – und setzt zu einem | |
| sehr lauten Wutanfall an: „Wir in Aserbaidschan haben alles getan, damit es | |
| Europa gefällt. Wir waren nicht bemüht, freundlich zu sein, wir waren es | |
| von Herzen.“ Dem kann man nur schwer widersprechen, denn so war es | |
| tatsächlich. Shadiqov kommt jetzt, ohne dass es einer näheren Frage bedurft | |
| hätte, auf Politisches zu sprechen. „Okay, wir sind kein lupenreines | |
| demokratisches Land. Wir üben noch. Es sind Häuser geräumt worden für die | |
| Modernisierung – aber in anderen Städten wie in London wurde das auch | |
| getan, ohne dass es soviel Geschrei gegeben hat.“ | |
| Allmählich scheint mir, dass dieser Mann, aller Kritik am Regime in seiner | |
| Heimat zum Trotz, ein gekränktes Wesen ist. Der Clan der Alijews hin oder | |
| her, allem politisch stark zu Kritisierendem zum Trotz: Dieser Mann und | |
| wohl auch sehr viele, die vor einem Jahr in Baku als Supporter rührig | |
| waren, fühlt sich missachtet, weil die Leistung der Menschen, die aus dem | |
| ESC mehr als ein Propagandading der herrschenden Clans in Baku machten, | |
| nicht anerkannt worden sei. | |
| Womit er, nur kurz trinkend und einige Züge aus der Zigarette ziehend, auf | |
| Malmö zu sprechen kommt. „Hier ist fast keiner wirklich freundlich. Wenn | |
| man sich orientieren will, kommt niemand einfach so und fragt, ob man | |
| helfen könne. Und nachts fühle ich mich nicht sicher. Es ist leer, die | |
| Straßen sind kaum beleuchtet.“ Und fügt an, dass Malmö in der europäischen | |
| Kriminalitätsstatistik den 18. Rang der allerschlimmsten Plätze einnehme – | |
| Straßenraub, Aggressivität im Miteinander, keine Höflichkeit, kühle | |
| Geschäftigkeit tagsüber von Menschen, die eilig wirken, aber keinen Blick | |
| für die anderen haben. | |
| Herr Shadiqov, das ist hier Skandinavien, nicht gerade als menschliche | |
| Kuschelstube der Weltgemeinschaft bekannt, die Freundlichkeit eine | |
| protestantische – hier ist man für sich. Der Gast aus Stavanger, der den | |
| ESC schon vor zehn Jahren gut fand, als er in Aserbaidschan nicht mal live | |
| übertragen wurde, sagt: „Ich fühle mich hier vor allem von jungen Männern | |
| bedroht, Einwanderer, die sozial nur im Stil von Angriff und Aggressivität | |
| agieren können.“ | |
| Ich mag ihm seine Gefühle hier an Ort und Stelle nicht madig machen, zumal | |
| er in gewisser Weise recht haben könnte. In Malmö sieht man im Stadtbild | |
| mehr muslimische Frauen mit Kopftuch an einem Nachmittag als in Baku in | |
| zwei Wochen – das Islamding mit seinen schlicht-religiösen | |
| Selbstbehauptungsgesten in der Diaspora wie Schweden scheint prekärer als | |
| im säkularen Aserbaidschan. | |
| Nein, der junge Mann, der „irgendwann nach dem Studium“ wieder in Baku | |
| arbeiten will, sagt sehr deprimiert: Malmö sei nicht schön, nicht | |
| gastfreundlich – und der Wert des Demokratischen erschließe sich ihm nicht, | |
| wenn das menschliche Klima knapp nur oberhalb der Frostgrenze angesiedelt | |
| sei. Nein, er freue sich auf Zuhause. Und wo liege das? In Stavanger? „Ich | |
| weiß es nicht. Das Beste an Malmö ist Kopenhagen. Da kommt man ihn einer | |
| halben Stunde hin und ist wieder unter Leuten, die halbwegs nett sind.“ | |
| Macht sich auf, dieser Rashid Shadiqov, und geht ins Hotel retour. Im | |
| Übrigen, darauf legt er Wert, heißt er nicht genau so wie hier in diesem | |
| Text: Er will nicht erkannt werden – von wem nicht, lässt er jedoch offen. | |
| 11 May 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
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