# taz.de -- Kolumne Melodien aus Malmö #9: Hoffnung mal 26 | |
> Es kann nur einen geben, aber 26 wollen dieser eine sein. Hinter- und | |
> Vordergründe aller AspirantInnen im Grand Final des Eurovision Song | |
> Contest. | |
Bild: Natalie Horler probt für den großen Auftritt. | |
1 Frankreich. Amandine Bourgeois: L'enfer et moi. Auftakt nach Maß mit | |
einem Titel, der „Die Hölle und ich" heißt. Sie ist sehr oft sehr seltsam | |
gekleidet, ihr Lied ist eine kreischende Nichtigkeit, die nach 2:30 Minuten | |
Charme entwickelt. Das Land des klassischen Chansons gewann fünf Mal, | |
zuletzt 1977 mit Marie Myriam („L'oiseau et l'enfant"). Voriges Jahr | |
schaffte man mit Anggun „(Echo) You & I" den 22. Platz. | |
2 Litauen. Andrius Pojavis: Something. Wham 2.0 ließe sich über dieses | |
leicht hektische Beiträglein sagen - und man hofft, dass er nicht wieder | |
sehr grippemittelgeplagt oder, je nach Sympathie, alkoholisiert ausschaut. | |
Seit 1994 ist dieses Land dabei. | |
3 Moldawien. Aljona Moon: I Mio. Ein Haargebirge, ein ausdrucksstarkes | |
Antlitz, das aus der Gattung der sogenannten Powerballaden - gern in | |
Osteuropa gehört - beisteuert. Wär‘ schön, wenn sie nicht nur absichtsvoll | |
lacht, sondern auch mal lächelt. Das Land am nördlichen Rand von Rumänien | |
ist zum neunten Mal beim ESC dabei. 2005 gelang es fünfter Platz. | |
4 Finnland. Krista Siegfrieds: Marry Me. Tracey Ullman meets Queer Theory. | |
Eine im eigenen Land hochbeliebte discoartige Nummer, die die Heirat von | |
zwei Frauen frenetisch feiert. Die Kostüme aus der Lackabteilung des | |
Helsinkier Vorstadtkaufhaus. Finnland gewann einmal - die | |
Monsterkinderzimmerrocker von Lordi mit „Hard Rock Hallelujah". Im Jahre | |
2006. Neben Norwegen ist es das Land mit den häufigsten Platzierungen unter | |
den letzten drei. Erstmals 1961 dabei. | |
5 Spanien. ESDM: Contigo hasta el final. Lahme Nummer einer asturischen | |
Gruppe. Die Stimme der Sängerin gleich einem Wispern eher. Kandidaten für | |
den letzten Platz - weil es einfach so plätschert. Zweimal gewann das | |
Mittelmeerland die Eurovision - 1968 mit Massiel („La La La", | |
wahrscheinlich mit gekauften Stimmen des Franco-Regimes) und als Gastgeber | |
im Jahr darauf abermals mit Salomé („Vivo cantando"). Voriges Jahr | |
rangierte man auf dem zehnten Platz - durch die grandiose Pastora Soler | |
(„Quédate conmigo"). | |
6 Belgien. Roberto Bellarossa: Love Kills. Als Außenseiter ins Finale | |
gerutscht - und das mit einem Lied, das eher an ein Geröll nach Noten | |
erinnert als an Wohlklang. Rätselhaft, dass er für sein braves Outfit nicht | |
bestraft wurde. Das dreisprachige Land zählte zu den Eurovisionsgründern | |
1956 - und gewann einmal: Sandra Kim holte die Trophäe 1986 mit „J'aime la | |
vie". | |
7 Estland. Birgit Öigemeel: Et suus saaks alguse. Eine der wenigen Lieder | |
in der eigenen Landessprache - eine hübsche Ballade, die durch die | |
Stimmkraft der Dame aus Tallinn gute Balance gewinnt. Die Haare sollten | |
diesmal nicht so steif am Kopf gepappt sein. Estlands ESC-Debüt war 1994. | |
Es darf auf eine gute Eurovisionsgeschichte zurückblicken. Tanel Padar, | |
Dave Benton & 2XL gewannen 2001 mit „Everybody" den Grand Prix. in Baku | |
2012 schaffte Ott Lepland mit „Kuula" einen verdienten 6. Finalplatz. | |
8 Weißrussland: Alyona Lanskaya: Solayoh. Diese Chanteuse wird durch die | |
Diktatur Lukaschenkas nicht gezwungen - wie schon mal eine ihrer | |
Vorgängerinnen -, Weißrussland ist toll und prima und super zu singen. Eine | |
streckenweise nervige Ballade im zweitkürzesten Rocktextil des Abends. | |
Heterosexuelle Bankangestellte sollen auf sie viel Geld gewettet haben. | |
Bestes Resultat des Landes: in Helsinki 2007 ein sechster Rang im Finale. | |
9 Malta. Gianluca: Tomorrow. Sehr hübsche, flotte, nicht völlig überdröhnte | |
und überfönte Nummer. Freunde junge Leute, keine Geldsammler der Malteser. | |
Könnten in diesem Look auch in irgendeinem Café in Kreuzkölln ankern. In | |
Malmö ist diese Mittelmeerinsel zum 26. Mal beim Eurovision Song Contest | |
dabei. | |
10 Russland. Dina Garipova: What If. Man nehme eine Céline-Dion-Ballade, | |
kreuze sie mit ein bisschen „Titanic"-Sound - und heraus kommt diese | |
vollkommen unrussische Produktion. Mitfavoritin. 1994 debütierte Russland. | |
2008 gewann das größte Land der Eurovisionsgemeinde erstmals den ESC - mit | |
Dima Bilan und „Believe". In Baku belegte man mit den „Buranowskije | |
Babuschki" den zweiten Platz. Ihr „Party For Everybody" war einer der | |
erfolgreichsten Acts der russischen ESC- Geschichte. | |
11 Deutschland. Cascada: Glorious. Natalie Horler ist die sympathischste | |
Frau des diesjährigen Contests - allein ihres wirklich keineswegs | |
schüchternen Lachens wegen. Deutschland war bei der Premiere 1956 in Lugano | |
dabei. Bis 1982 musste es auf einen ESC-Sieg warten: Nicole schaffte es in | |
jenem Jahr in Harrogate mit „Ein bisschen Frieden". In Oslo gewann Lena | |
Meyer-Landrut das zweite Mal für Deutschland. | |
12 Armenien. Dorians: Lonely Planet. Rocknummer mit Pyrotechnik und | |
Weltverbesserungstext. Die sechs Jungs sehen wie echte Routiniers aus - und | |
man darf sagen: Ihr Land steht hinter ihnen, nachdem es wegen des Kriegs | |
mit Aserbaidschan voriges Jahr pausierte. Bestes Resultat war bislang ein | |
vierter Platz 2008 in Belgrad durch Sirusho und „Qele quele". | |
13 Niederlande. Anouk: Birds. Eine der erfolgsreichsten Musikerinnen ihres | |
Landes, Sparte: Rock, wollte zum ESC. Ihr Lied ist wahrscheinlich das | |
ungewöhnlichste, das am wenigsten hysterische des ganzen Abends. Dass sie | |
nicht in die Kamera gucken mag, soll an ihrer Schüchternheit hliegen. Die | |
vierfachen zählen zu den Grand-Prix-Mitbegründern 1956. Erstmals im Finale | |
seit dem ESC 2004 in Istanbul. | |
14 Rumänien. Cezar: It's My Life. Ein Mann, der wie ein Kastrat, ein | |
Countertenor singen kann - und es ist bizarr und fremdbeschämend, aber | |
spektakulär. In Malmö ist dieses Land zum 15. Mal beim ESC mit von der | |
Partie; seinen Einstand gab es 1994 in Dublin. 2010 wurde man als bestes | |
Resultat Dritter. | |
15 Vereinigtes Königreich. Bonnie Tyler: Believe In Me. Die große | |
Unbekannte, die 61jährige Rockerin aus Wales. Wird man sie bestrafen, dass | |
sie noch im höheren Alter konkurriert - und durch viele Punkte ehren? | |
Exzellente Scnulze. Zum 56. Mal nimmt Großbritannien am ESC teil - sein | |
Debüt gab es 1957 - und ist das, den Punkten nach gerechnet, erfolgreichste | |
Land der Grand-Prix-Geschichte. Neben einer Fülle von zweiten, dritten und | |
vierten Plätzen ragen fünf Siege heraus: 1967 Sandie Shaw, 1969 Lulu, 1976 | |
Brotherhood Of Man, 1981 Bucks Fizz und 1997 Katrina & The Waves. Voriges | |
Jahr in Baku gelang mit dem Crooner-Veteranen Engelbert Humperdinck nur ein | |
vorletzter Platz. | |
16 Schweden. Robin Stjernberg: You. Schwierigster Gesangspart des Abends - | |
die Nummer wird auf allen Popwellen Europas laufen. Sehr erfrischend, sehr | |
modern, sehr sympathisch. Dass es Dutzendware ist - so what? 1958 machte | |
das skandinavische Land erstmals beim ESC mit - und schaffte bis zur 53. | |
Teilnahme dieses Jahr in Malmö fünf Siege, ebenso häufig wie Großbritannien | |
und Frankreich: 1974 mit Abba, 1984 mit den Herrey's, 1991 mit Carola, 1999 | |
mit Charlotte Nilsson und in Baku 2012 mit Loreen und ihrem „Euphoria". Die | |
schwedische Popband Abba war der erfolgreichste Pop-Act, der je aus der | |
Eurovision (vor Céline Dion und nach Udo Jürgens) hervorging. | |
17 Ungarn. ByeAlex: Kedvesem. Ein melodisch monotones Liebeslied, das sehr | |
gefallen könnte. Wollmützenträger mit modischer Brille - der Fernsehsender | |
bat den jungen Mann, aus Gründen nationalen Stolzes nicht auf Englisch zu | |
singen. Klingt sehr gut nun. Zum elften Mal ist dieses Land mit von der | |
Partie. Bestes Resultat: der vierte Platz beim Debüt 1994 in Dublin durch | |
Friderika und ihrem „Kinek mondjam el vétkeimet". In Baku landete man auf | |
dem 24. Platz im Finale. | |
18 Dänemark. Emmelie de Forest: Only Teardrops. Professionellste, | |
mainstreamigste, hochfavorisierte Nummer des Abends. Flöte am Anfang, | |
Trommler später ... und ein schluchzender Gesang, der auf Anhieb viel zu | |
eitel und opferbewusst klingt, aber es funktioniert. Sie beliebt hippiesk | |
barfuß aufzutreten - und dass mag als bitchig pseudonatürlich empfunden | |
werden. 1957 nahm Dänemark erstmals an der Eurovision teil, zweimal gewann | |
man: 1963 mit Grethe & Jörgen Ingmann („Dansevise") sowie 2000 mit den | |
Olsen Brothers („Fly On The Wings Of Love"). | |
19 Island. Eypor Ingi: Eg a lif. Preiswürdigster Intensivsangestäter aus | |
Akureyi. Muss unbedingt Frisurenpunkte kriegen - schönes Haar ist ihm | |
gegeben ... Und die Ringe an der Hand: Das sieht aus wie eine Role Model | |
aus „Sons of Anarchy". Die Insel im Nordatlantik konnte aus technischen | |
Gründen erst 1986 seine Premiere beim Eurovision Song Contest geben. Dieses | |
Jahr ist Island - das als bestes Resultat zwei Mal einen zweiten Platz | |
erzielte, 1999 sowie zuletzt 2009 durch Yohanna und ihr „Is It True?" - zum | |
26. Mal am Start. | |
20 Aserbaidschan. Farid Mammadov: Hold Me. Ein ästhetischer Kopist - die | |
Nummer mit dem Plexiglaskasten hat er von Eric Saade geklaut. Kalkulierste | |
Schmonzette des Abends. Der Flachlegerblick des jungen Mannes möchte | |
garantiert mit Punkten entgolten werden. Aber für so billig? Seit 2008 ist | |
Aserbaidschan dabei - voriges Jahr organisierte es nach dem Sieg 2011 in | |
Düsseldorf das Festival selbst. | |
21 Griechenland. Koza Mostra & Agathonas Jakovidis: Alcohol is free. | |
Ska-Rembetiko-Verzweiflungs-Act aus Athen - sehr schwungvolles, | |
mitreißendes Lied zur Dauerkrise an der Akropolis. Verdient unseren | |
Respekt, auch wenn die Tanzschritte nicht so wie bei „Alexis Zorbas" | |
aussehen. Seit 1974 ist Griechenland dabei. 2005 in Kiew gewann es erst- | |
und letztmals: Mit der gebürtigen Schwedin Helena Paparizou und „My Number | |
One". | |
22 Ukraine. Zlata Ognevich: Gravity. Eingängige, ein wenig rihanneske | |
Nummer. Der Riese, der sie auf die Bühne trägt, wäre unnötig gewesen, | |
sympathisch ist er dennoch. Eye-Horror-Candy. In Riga 2003 nahm dieses Land | |
erstmals an der Eurovision teil - ehe es 2004 in Istanbul durch Ruslanas | |
„Wild Dances" gewinnen konnte. Voriges Jahr schaffte man im Finale | |
lediglich den 15. Rang. | |
23 Italien. Marco Mengoni: L'essenziale. Die italienischste Geschichte | |
unter sehr vielen italienischen Schnulzereien der vergangenen Dekaden. Der | |
Mann bekennt offen, nicht gewinnen zu wollen - der RAI als TV-Anstalt wäre | |
das zu teuer. Möglich wäre es trotzdem. Zweimal gewann dieses Land den ESC | |
- 1964 mit Gigliola Cinquetti („Non ho l'età (per amarti") und 1990 mit | |
Toto Cutugno („Insieme:1992") - und gehört zu den erfolgreichsten | |
Grand-Prix-Ländern überhaupt. Mit Domenico Modugnos „Nel blu, dipinto di | |
blu" (volkstümlich: „Volare") hat es 1958 einen der stärksten Evergreens | |
der ESC-Geschichte hervorgebracht. In Baku gelang mit Nina Zilli („L'amore | |
è femmina") ein neunter Platz. | |
24 Norwegen. Margaret Berger: I Feed You My Love. Dance-Pop-Nummer einer | |
Chanteuse, die in den Wetten sehr hoch liegt. Aber ist dieses Lied nicht am | |
Ende zu kompliziert für einen Diplomlandwirt in Moldau, für die | |
IT-Ingenieurin auf Malta? Ds skandinavische Land gewann drei Mal (1985 mit | |
den Bobbysocks und ihrem „La det swinge", 1995 mit Secret Garden und | |
„Nocturne" sowie 2009 in Moskau mit Alexander Rybaks „Fairytale"), aber | |
zugleich landete Norwegen am häufigsten auf dem letzten Platz, nämlich zehn | |
Mal. Voriges Jahr wurde man Letzter. | |
25 Georgien. Nodi Tatishvili & Sophie Gelovani: Waterfall. Dieses Lied | |
klingt gar nicht nach Kaukasus und Schwarzes Meer und gebirgigen Landschaft | |
- und das ist auch nur zu verständlich, denn es wurde von Thomas G:son, | |
Komponist von Vorjahressieger „Euphoria", gefertigt. Ein wenig öde, | |
allerdings: Die Musik stört auch nicht sehr. Georgien debütierte 2007. | |
Bestes Resultat: der 9. Platz zweifach. | |
26 Irland. Ryan Dolan: Only Love Survives. Bes ist das Jahr der jungen | |
Männer - und dieser ist ein heißer Feger fürwahr. Nicht jederfraus Tasse | |
Tee - aber er hat schöne blaue Augen, und sein Titel ist gut für jeden | |
Kindergartengeburtstag. Sieben Siege stehen auf dem Konto (1970, 1980, | |
1987, 1992, 1993, 1994 und 1996) des Landes. | |
18 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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