# taz.de -- Natalie Horler über den ESC: „Wie ’ne türkische Hochzeit hier… | |
> Natalie Horler singt am Samstag Abend beim Eurovision Song Contest für | |
> Deutschland. Ein Gespräch über Nervosität und Figurprobleme. | |
Bild: Natalie Horler noch ganz entspannt am Strand. | |
taz: Frau Horler, Sie sind seit sechs Tagen in Malmö, Samstag treten Sie | |
hier als Cascada-Frontfrau beim ESC auf. Wie geht es Ihnen? | |
Natalie Horler: Es ist superschön hier, mir geht es gut. Viele Proben, | |
Interviews, aber jetzt freu ich mich, mit einer Freundin mal allein die | |
Stadt zu erkunden. | |
Sie machen schon tagelang den Eindruck, alles sei easy. Kaum zu glauben bei | |
der Menge an PR-Verpflichtungen. | |
Nee, easy ist das wirklich nicht. Meine Stärke ist aber, alles mit ein | |
bisschen Spaß zu nehmen. Ich weiß von meiner Verantwortung und was ich hier | |
zu machen hab. Gehört einfach zum Job, da darf man nicht drüber meckern. | |
Sie sind zehn Jahre in Ihrem Metier – macht das nicht gelassener? | |
Das würde ich nicht sagen, aber man lernt, dass Interesse an einem nicht | |
selbstverständlich ist. Klar, ich hab ein Team, das mich schützt, wenn es | |
zu viel wird. Heute war ich heiser aufgewacht – das dauernde Sprechen und | |
Singen geht auf die Stimmbänder. Ich muss jetzt aufpassen. Worauf es | |
ankommt, ist, dass ich Samstag den besten Job mache. | |
Sie sprachen von Verantwortung – wofür? | |
Für ein ganzes Land anzutreten zum Beispiel. Man repräsentiert so viel als | |
ein einzelner Mensch. Das ist eine Last, muss ich sagen. Wobei: Den Druck | |
macht man sich mental natürlich selber, doch das finde ich auch richtig so. | |
Ich will ja keine Erwartungen enttäuschen. | |
Was ist Ihr Ziel: Erste oder nicht Letzte zu werden? | |
Bloß nicht Letzte! Es sind 39 Länder hier im Spiel – da ist wohl klar: Die | |
Chancen zu gewinnen sind gering. Ich will mit erhobenem Haupt nach Hause | |
gehen. Die Leute sollen sich gefreut haben, dass ich an den Start gegangen | |
war. | |
Immerhin wissen Sie, wie es ist, live vor sehr vielen Menschen aufzutreten. | |
Ja, ich weiß, wie man mit Nervosität umgeht. Deshalb habe ich vor | |
Frischlingen hier beim ESC riesigen Respekt, wenn ich bedenke, welches | |
Muffensausen mir hier der Auftritt bereitet. Trotzdem: So ein ESC ist für | |
mich nicht alltäglich, oh nein. | |
Wann ist die Eurovision für Sie interessant geworden? | |
Mit Lena, natürlich. Den ESC kenne ich aber, seit ich Musik mache. Ist | |
schon sehr spannend, dieser riesige Event. Und ich hätte nie gedacht, dass | |
ich mal mitmachen werde. | |
Arrivierte Künstler meiden den ESC, um international nicht für zu leicht | |
befunden zu werden. Was hat Sie denn bewogen, sich um die Fahrkarte nach | |
Malmö zu bewerben? | |
Wie Sie sagen: beworben. Einen Freischein wegen unseres Erfolgs gab es | |
nicht. Fans von uns haben sich sehr gewünscht, dass wir es probieren. Wir | |
haben nicht lange überlegt. Es gibt ja nicht mehr so viele wirklich große | |
Events im internationalen Fernsehen. | |
Der ESC – nur eine internationale Auftrittschance? | |
Nein, nicht in erster Linie. Hier kommen Kulturen zusammen, man hört mal | |
andere Sprachen. Das ist einfach anders als alles, was ich sonst kenne. Wie | |
’ne türkische Hochzeit, die ist auch ganz anders. | |
Ist es für Sie wichtig, beim ESC mitzumachen? Müssten Sie doch gar nicht | |
mehr bei Ihrem Erfolg. | |
Die Frage wird sehr häufig gestellt. Für mich ist es so: Der ESC ist der | |
größte Musikwettbewerb der Welt. Es ist mir eine Ehre, dass ich diese | |
Erfahrung jetzt machen kann. | |
Was man über Cascada in Foren von Fans, in der Musikindustrie erfahren | |
kann, ist: Ihre Musik wird vor allem von Frauen zwischen 15 und 25 gemocht. | |
Sind Sie denen ein Idol? | |
Ich bekomme viel Post. Vor allem von jüngeren Frauen. Was ich lese, ist: | |
Die schauen zu mir hoch wie zu einer großen Schwester. Sie schreiben: Ich | |
wäre gern wie du. Ich sähe gern so aus wie du. Ich wäre gern so | |
selbstbewusst, würde gern so singen können. Die schreiben mir: Ich würde | |
gern deinen Humor haben. Und: Ich mag dein Lachen. | |
Mögen Sie solche Briefe? | |
Vor allem sind sie unheimlich schmeichelhaft. Offenbar ermutige ich sie, | |
symbolisiere so etwas wie Selbstbewusstsein. Die sind entsetzt, wenn es in | |
der Presse heißt, ich sei zu dick. Also ermutigen sie mich auch – ist das | |
nicht wahnsinnig? | |
Womit identifizieren die sich? | |
Dass ich, auf gut Deutsch, fertiggemacht wurde. Und die sehen dann, dass | |
ich normal bin, trotz der Angriffe lache und versuche, mein Ding | |
durchzuziehen. | |
Frau Horler, haben Sie eine Message? | |
Sich selbst als okay zu respektieren, sich nicht unterkriegen zu lassen. | |
Und: Du bist kein Makel. Als es hieß, ich sei zu dick, war ich verletzt – | |
und dachte: Mit der Beleidigung gegen mich haben sie auch ihre Mütter und | |
Freundinnen beleidigt. Niemand ist perfekt. | |
Und in Sachen Schönheit? | |
Ich finde es ganz, ganz schlimm, wenn Mädels sich unter Druck setzen. | |
Magersucht ist eine Krankheit, mager zu sein keine Tugend. Ich bin für | |
Sport, fürs Essen, fürs Fröhlichsein. Ich bin ganz normal. Das ist mein | |
Signal. | |
Eine Eurovision-Sängerin ist einmal dabei beobachtet worden, wie sie aus | |
lauter Angst vor Gewichtszunahme mageren Joghurt mit einem Zahnstocher als | |
Ersatzlöffel aß. | |
Das ist ja krankhaft! Ich weiß, es ist ungesund, nicht genug Nahrung zu | |
sich zu nehmen. Wenn ich schwitzend von der Bühne komme und nur so einen | |
Joghurt auf diese Weise esse, würde ich kaputtgehen. Ich hab lieber Kraft | |
und bin stark, nicht schwach und ängstlich. Das bringt nix, auch wenn es | |
auf Kosten von 90-60-90 geht. | |
Sie haben ein schönes Wort neulich fallen gelassen: „Beauty-Routine“. Worin | |
besteht die? | |
Die typischen Sachen, die wir Frauen regelmäßig machen müssen. Die man | |
macht, wenn etwas Besonderes ansteht. Wenn es ein Fotoshooting gibt, ’ne | |
Hochzeit hat, ein Event wie den Eurovision Song Contest, dann müssen die | |
Nägel frisch gemacht sein, dann müssen die Ansätze bei den Haare wieder | |
nachgefärbt sein, so Kleinigkeiten eben. So „Beauty-Routine“ eben. | |
Brauchen Männer das auch? | |
Die sollen ruhig haariger sein, mein Mann ist auch so. Sich zu pflegen ist | |
ja einfach. Für Männer reicht aber, jeden Morgen zu duschen. | |
Und wenn Frauen es auch so bevorzugen wie Männer? | |
Ich persönlich find das nicht so schön, einfach aus ästhetischen Gründen. | |
Ich will niemandem zu nahe treten, aber wenn man sich nicht unter den Armen | |
rasiert? Mein Ding ist das nicht. Leben und leben lassen eben. | |
Keine weiteren Tipps? | |
Ich will keinem reinreden. Ich will doch auch nicht, dass man mir | |
reinredet. | |
Sie wollen junge Frauen ermutigen – was ist Ihr eigenes Rezept? | |
Ich verstelle mich nicht. Ich empfinde mich nicht als VIP, als Star. Wie | |
man mich erlebt, so bin ich. Es gibt kein Rezept. | |
Was macht Sie stark? | |
Der Job hat mich gestärkt, der Erfolg. Als Kind war ich schon der Witzbold | |
– und immer ein bisschen schüchtern. Viele Jahre habe ich mich nicht | |
getraut, in der Öffentlichkeit zu singen. Und hatte Bauchweh vor | |
Auftritten, aber ich zwang mich, weil ich wusste, das ist mein größter | |
Traum: Sängerin zu sein. | |
Können Sie etwas mit Feminismus anfangen, mit der Emanzipation von Frauen? | |
Es gibt keinen Grund, warum Frauen weniger bezahlt bekommen für die gleiche | |
Arbeit wie Männer. Aber ich bin nicht so extrem streng. Mir liegt es nicht | |
zu sagen: Hier bin ich, ich bin genauso stark wie ihr Männer. Ich finde es | |
nicht immer so notwendig, offensiv zu sein. Ich denke nicht immer über | |
Ungerechtigkeiten nach, auch wenn ich weiß, dass es sie gibt. | |
Befürworten Sie eine Quotenregelung für Frauen in Führungspositionen? | |
Weiß nicht, ob ich mich so aus dem Fenster lehnen sollte, aber generell | |
würde ich sagen: Ja, wenn das nötig ist, dann braucht man eine Quote. | |
Beeindrucken Sie Frauen, die klassisch Männliches wie Handwerkerei mögen? | |
Mal privat gesprochen: Ich bin selbst Handwerkerin. Bei meinem Mann und mir | |
bin ich diejenige, die dafür zuständig ist. Ich mag das. Einer meiner | |
Freunde ist Schreiner. Mit dem bin ich früher mitgefahren. War interessant | |
zu sehen, wie eine Balkontür repariert wird. | |
Was ist am Sonntag? | |
Der ESC vorbei! Dann geht das Leben weiter. Das wird sich, egal wie ich | |
abschneide, nicht ändern. Vorher geben ich 150 Prozent! | |
18 May 2013 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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