# taz.de -- Kolumne Melodien aus Malmö #8: We are not one | |
> In Malmö demonstrieren Menschen gegen das Motto des ESC. Leider etwas | |
> links-übellaunig. Und leider am falschen Tag. | |
Bild: Alle anders, alle gleich? | |
Am Donnerstag wären sie am richtigen Platz zur passenden Zeit gewesen. Die | |
Demonstranten, die vor der Halle der Malmö Mässan Arena mit Flugzetteln | |
gegen den Eurovision Song Contest protestieren. Besser: gegen die | |
Ideologisierung des Events. | |
Das Motto heißt ja: „We Are One“. Und das sei eine große Lüge, wie von d… | |
Flugblattverteilern zornig auf Nachfrage angefügt wurde. Auf den Bättern, | |
die sie verteilten, stand in dem gleichen Style des ESC selbst: „We Are Not | |
One“. Das ist kein schlechter Einfall gewesen. Etwa wie einer auf einer | |
Konferenz auf irgendeinen Beitrag sagt: Na, da bin ich ganz anderer Meinung | |
– und alle Welt am Konferenztisch irritiert guckt, weil man doch gar nicht | |
damit rechnet, dass man eine einmal getroffene Haltung wieder ändern kann. | |
Aber diese Gegenkampagne, die man ins Deutsche mit „Wir sind doch nicht | |
eins“ übersetzen kann, lebt, wie leider alle linke Kritik an herrschenden | |
Verhältnissen, von einer gewissen Übellaunigkeit. | |
„We Are One“ ist ja die tatsächlich misslungene Werbekampagne der Stadt | |
Malmö mit den ESC-Verantwortlichen und dem schwedischen Fernsehen SVT, das | |
Credo des Pop-Festivals zu erläutern: Wir sind ein Reigen an | |
Eurovisionsländern, uns trennt vielleicht dies & das, aber nicht die Musik. | |
So ungefähr. | |
Aber die Demonstranten trugen Bedenken zu ganz anderer Art vor. Nicht zur | |
Musik, zu den Kostümen, zur Verpflegung, zu sonstwas auch immer. Sondern, | |
ein wirklich ernsthaftes Anliegen: Dass es diese Einigkeit nicht gibt. | |
Vielmehr seien auch in Schweden sehr viele Menschen, die die Preise der | |
Tickets nicht bezahlen könnten; außerdem gebe es „Papierlose“, die ohne | |
Pass, ohne jede Anmeldung irgendwo in Schweden leben und keine Chance auf | |
Legalisierung ihrer (allerdings illegalen, moralisch wahrscheinlich | |
legitimen) Einwanderung haben. | |
## Wie bei Olympia 1972 | |
Ah, darum ging’s also Dienstag am Eingang der Malmö Mässan Arena: Dass es | |
Menschen gibt, die in Schweden leben, es dort weiter tun möchten, aber | |
nicht wissen, wie sie das auf legale Weise schaffen, ohne vorher | |
einkassiert und wieder abgeschoben zu werden. Also die übliche Agenda von | |
linken, antirassistischen Gruppen. Ist vollkommen okay, dass sie das tun. | |
Nur: Glauben sie wirklich, dass sie eine ESC-erwartungsfrohe Malmöer | |
Bevölkerung oder die ESC-Touristen aus gefühlt sechs Dutzend Ländern damit | |
erreichen? Soll eine_r, der_die ein solches Flugblatt liest, plötzlich die | |
Augenbrauen heraufziehen und sagen: Mann, das hab‘ ich ja gar nicht | |
gewusst, na, da muss ich gleich was machen? | |
Besser, so ließe sich diese Konsequenz als Handlungsanweisung skizzieren, | |
der zerreißt sein Eintrittsticket, denn an diesen Billetts hängt ja das | |
Blut der Papierbesitzer, die einfach so einen Pass, eine | |
Staatsangehörigkeit haben. Aber jetzt wissen sie von den Ausgegrenzten, den | |
Menschen, die es gibt, für die aber nicht gilt: „We Are One“. Ich hatte | |
meine Zweifel, ob dieser Aufklärungs- und Enpörungsgestus mehr als die | |
Empörungsstifter bewegt. Hätte ich die nicht haben dürfen? Könnten meine | |
Sätze als Einverständnis mit dem Illegalenstatus der Papierlosen gelesen | |
werden? Wäre ich dann ein schlechter Mensch, ein Rassist … Ach, ich weiß es | |
nicht. | |
Es ist mit dem Protest gegen einen ESC so wie mit den Projekten Anfang der | |
Siebzigerjahre (Kunzelmann, die linke Szene usw. usf.) gegen die | |
Olympischen Spiele 1972 in München: Die Aufklärer sehen nicht, dass | |
bestimmte Events nur immanent kritisierbar sind (beim ESC wäre das: bessere | |
Lieder, bessere Kostüme, bessere Mikrofone, mehr und billigere | |
Eintrittskarten). So nahm sich der Mann, so nahm sich die Frau, die ihre | |
Flugzettel gegen das wirklich bedauernswerte Leben von Papierlosen in | |
Schweden aus wie jene, die am Bahnstein der Arena-Station Hyllie standen | |
und gar keinen Muckser gaben: Die Zeugen Jehovas mit ihrem „Wachturm“. | |
Lächeln für die gute Sache, tragen schlimme, sehr sehr unschrille Klamotten | |
– und gehen nicht auf die Nerven. | |
Allerdings: Donnerstag Abend wären sie alle nötig gewesen, die für die | |
Papierlosen sind, gegen die Ausgrenzung und für Inklusion, auch die | |
Jehova-Nerds. Sieben von 17 Ländern mussten im zweiten Halbfinale ihre | |
Ambitionen begraben. Kommentiert in eurovisionspolitischer Hinsicht [1][ist | |
es hier]. Kurz gesagt: Exjugoslawien ist weg, auch Albanien, San Marino | |
(Ralph Siegel, allen Prognosen zum Trotz). Auch Israel: Man tritt den | |
Freunden aus diesem Land nicht zu nah, wenn man einfach nur dies festhält: | |
Es lag nicht an antisemitischen Demonstrationen in Malmö, sondern einfach | |
am Lied. Ein schlechtes Lied bleibt auch dann schlecht, wenn es aus Tel | |
Aviv oder Jerusalem geschickt wurde. | |
17 May 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://eurovision.blog.ndr.de/2013/05/17/zweiteshalbfinale-2/ | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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