# taz.de -- Brasilien bereitet sich auf die WM vor: Prostituierte lernen Fremds… | |
> Die Art der Problemlösung in Brasilien klingt für die meisten Menschen | |
> nach Inkompetenz. Für die Einheimischen ist sie normal. | |
Bild: Protest gegen höhere Ticketpreise für den Nahverkehr in Sao Paulo. | |
PORTO ALLEGRE taz | Die Wirtschaft boomt, das Land entwickelt sich rasant, | |
am Sonnabend beginnt der Confederations Cup. Und nächstes Jahr dann | |
natürlich: Fußball-WM! Die Welt also, sie schaut nach Brasilien, die | |
Brasilianer aber fragen sich: Was wird sie zu sehen bekommen? Und vor | |
allem: zu spüren. | |
Bevor die Brasilianische Fußballnationalmannschaft ihr erstes Spiel | |
gewinnen kann, müssen erst noch auf vielen anderen Feldern Siege | |
eingefahren werden, sagen die Skeptiker. Aber selbst, wenn das geschieht: | |
Werden die Fremden die brasilianische Art, Probleme zu lösen überhaupt | |
verstehen? | |
Denn wenn nicht, kann man ihnen die Reise in den südamerikanischen Koloss | |
kaum empfehlen. Die meisten Flüge etwa haben Verspätung. Es gibt Flughäfen, | |
wie Salgado Filho in Porto Alegre, im Süden Brasiliens, die für Landungen | |
an nebligen Tagen nicht ausgestattet sind. Problematisch ist daran zum | |
Beispiel die aktuelle Wettervorhersage, Dienstag, 11. Juni: „In Porto | |
Alegre ist es am Morgen neblig bei Werten von 14°C.“ | |
Nur zur Erinnerung: Für die Städte im Norden und Nordosten nahe dem Äquator | |
werden zur WM- und Confed-Zeit Temperaturen bis zu 40 Grad erwartet, | |
während in der südlichen Hemisphäre, in Porto Alegre, Winter sein wird. | |
Null Grad sind dort keine Besonderheit und Heizungen, ja, die gibt es kaum. | |
Mittlerweile hat die Regierung schon fünf Flughäfen privatisieren lassen. | |
Sie glaubt, das sei der einzige Weg, die Infrastruktur schnell zu | |
verbessern. | |
Staatspräsidentin Dilma Rousseff sagt, dass das eine „Tradition“ in | |
Brasilien werden sollte. Womöglich also werden die Brasilianer bis 2014 | |
bessere Flughäfen haben. Was sie das kosten wird, weiß niemand. Und gerade | |
interessiert es auch keinen. Brasilianer haben in Sachen Zuverlässigkeit | |
einen schlechten Ruf. Aber das heißt noch lange nicht, dass sie das, was | |
sie tun müssen, nicht tun. | |
## Unwägbarkeiten des Alltags | |
Wir werden bereit sein, die Fußballfans 2014 zu begrüßen. Auch für den | |
Konföderationspokal im Juni werden wir alles fertig haben. Dass trotzdem | |
alles wie eine große Verspätung wirken wird, liegt an unserer Kultur. Wenn | |
man in Brasilien ein Abendessen mit Freunden für 20 Uhr plant, weiß jeder, | |
dass niemand um 20 Uhr da sein wird. Das ist nicht zwangsläufig böse | |
Absicht: Die einen stecken in einem dreistündigen Stau, die anderen warten | |
seit 40 Minuten auf den Bus. Wir wissen einfach nie, wann wir irgendwo sein | |
können. Brasilianer nennen diese Kunst, sich mit den Unwägbarkeiten ihres | |
Alltags zu arrangieren „jeitinho“. | |
Wir wissen nicht einmal,wann ein Bus an der Haltestelle halten wird. Es | |
gibt keine Fahrpläne, von Apps über Routen und deren Dauer ganz zu | |
schweigen. Manchmal ist man schon glücklich, wenn man die Bushaltestelle | |
überhaupt findet. Hier warten Menschen? Könnte eine station sein. Schilder? | |
Pah „jeitinho“! | |
Im März präsentierte sich Brasilien in Berlin. „Goal to Brasil“ hieß die | |
Veranstaltung, auf der ein Vertreter des Ministeriums für Sport die | |
Verzögerung beim Bau des Maracanã-Stadium in Rio de Janeiro erläuterte: „Im | |
Maracanã wird nur das Finale stattfinden. Es reicht also, wenn es einem | |
Monat vor dem Endspiel fertig wird“. Natürlich sprach er über das Finale | |
des Cofed-Cups, der immer ein Jahr vor der WM dem Land ausgetragen wird, | |
das den Zuschlag erhalten hat. Fakt ist, dass die Frist nicht eingehalten | |
wurde. Für die Welt klingt das wie Inkompetenz. Für Brasilianer klingt es | |
normal. | |
## Korrupte Bauunternehmen | |
Nach einem internationalen Ranking, ermittelt durch NGO Transparency | |
International im Dezember 2012, entspricht der Grad der Korruption | |
Brasiliens dem von Ländern wie Südafrika und Mazedonien. Die Bauarbeiten | |
für die WM sind da nur ein Beispiel unter vielen. Die Unternehmen, die die | |
WM-Bauprojekte umsetzen, wissen schon, wie es es pünktlich funktionieren | |
könnte – aber heißt das gleich, dass sie es auch wollen? Manchmal habe sie | |
zwar den Auftrag angenommen, aber dann schlicht kein Geld, auch tatsächlich | |
zu bauen. Sicher ist auf jeden Fall, dass die WM in Brasilien nicht wie die | |
in Deutschland sein wird. Das wäre ja auch langweilig. | |
Wenn die WM nicht in Brasilien wäre, würde es noch sehr lange dauern, bis | |
es für die brasilianische Bevölkerung bessere Stadien, Flughäfen, | |
Autobahnen und öffentlichen Verkehrsmitteln gäbe. Die WM wird ein | |
Vermächtnis für die Menschen sein, nicht nur für Touristen. Ein weiteres | |
Ziel der brasilianischen Bundesregierung während des Confed-Cups und der | |
Fußball-WM ist es, den Ausländern zu zeigen, dass Brasilien kein exotisches | |
Land ist. „Sonne, Sand, Samba und Fußball“ - von diesem Bild haben die | |
Brasilianer genug. Denn überall in der Welt, wo man sagt „Ich bin | |
Brasilianer“, kommt dieses „Sonne, Sand, Samba und Fußball“ zurück. | |
„Wir sind ein modernes Land, mit Architektur, Design und Technologie. | |
Dieses Brasilien muss im Ausland wahrgenommen werden.“ Sagt Marcelo | |
Pedroso, Direktor für Internationale Märkte des Brasilianischen | |
Fremdenverkehrsamtes (Embratur). Er weiß auch: „Für Brasilien, ist die WM | |
eine große Veränderung, aber für die Fifa ist sie nur ein Geschäft. Nach | |
2014 wird die Fifa Brasilien vergessen und sich auf Russland konzentrieren, | |
wo die WM-2018 stattfinden wird. Wir müssen den Augenblick nutzen.“ | |
## Beliebtes Reiseziel der Deutschen | |
Laut Embratur empfing Brasilien im Jahr 2012 rund 5,7 Millionen | |
ausländische Besucher. Das Ziel für 2020 ist höher: zehn Millionen. Der | |
größte Anteil ausländischer Touristen in Brasilien kommt aus Lateinamerika. | |
Aus Deutschland reisen mehr Touristen nach Brasilien als aus anderen | |
europäischen Staaten: mehr als 240.000 im letzten Jahr. Embratur will | |
natürlich, dass noch mehr kommen. | |
Wie nach Olympia 1992 in Barcelona. Auch Brasilien fängt mit B an. Ist aber | |
doch anders. Man muss keine Angst haben. Solange man sich wie ein | |
Brasilianer verhält: Brasilianer tragen keine Laptops auf der Straße. Sie | |
tragen nie Halsketten. Die i-Phones sind versichert. Es gibt noch mehr | |
Regeln – aber das sind die wichtigsten. | |
Und die Regierung? Wird dafür sorgen, dass so viele Polizisten präsent | |
sind, dass nächstes Jahr jeder denkt, ich übertreibe hier. Es stimmt ja, | |
das Land trainiert: Wir werden sogar auf Terroranschläge vorbereitet sein! | |
Unsere Prostituierten lernen fleißig Fremdsprachen und schon jetzt gibt es | |
ein paar Straßenschilder in englischer Sprache. Niemand muss sich | |
verlaufen! Und wenn doch: Nach Menschen Ausschau halten – sie könnten vor | |
einer Bushaltestelle stehen. | |
16 Jun 2013 | |
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