# taz.de -- Protest in Brasilien: Fremdes Bier? Ich schäume! | |
> Den Brasilianern wird von korrupten Familienclans vorgeschrieben, welches | |
> Bier sie trinken dürfen. Rechtfertigt das ihren Aufstand? | |
Bild: Da hilft nur: Trinken gegen die Bierdiktatur. | |
Ich war neulich in Belo Horizonte. Kennen Sie nicht? Macht nichts. Das ist | |
das Essen Brasiliens – eine halbwegs große, potthässliche, mittelmäßig | |
bedeutungslose Stadt, die von der Fußball-WM 2014 profitieren möchte. | |
Meinen Flug dorthin bezahlte der Bürgermeister der Stadt, das schöne | |
Hotelzimmer auch. | |
Er heißt Marcio Lacerda. Der Fifa-Sonderbeauftragte des Bundesstaates, der | |
mich ebenfalls empfing, heißt Tiago Lacerda. Das ist der haaremäßig gut | |
gegelte Sohn von Marcio. Er fiel sehr schnell sehr weit nach oben. | |
Zehntausende, teils Hunderttausende Brasilianer gehen seit einigen Tagen in | |
ganz Brasilien auf die Straßen. Der Grund sind massenweise Lacerdas in | |
brasilianischen Behörden und Regierungen. Der Grund ist der | |
Nachmittagsverkehr um 17 Uhr. Und der Grund ist eine sehr rigide | |
Bierpolitik. Ja, Bierpolitik. | |
Denn so sehr sich die meisten Brasilianer am Anblick präziser Pässe und | |
authentischer Hackentricks ergötzen können – den Preis, den sie für ein | |
paar Wochen Fußballfreude zahlen sollen, spüren sie schon längst. Die | |
Bierfrage ist dabei eine, die viele Brasilianer zum Schäumen bringt. | |
Denn die Fifa befiehlt, dass zum Fußball in Stadien, auf Fanmeilen und bei | |
lizenzierten Großveranstaltungen kein brasilianisches Bier serviert werden | |
darf, sondern nur jenes der internationalen Sponsoren. Nun ist die stets | |
eisgekühlte brasilianische Version von Bier wahrlich kein Kulturgut an sich | |
– doch diejenigen, deren Steuergelder die gigantischen Bauprojekte | |
ermöglichen, sehen in der Diktatur des Biergeschmacks eine neue Diktatur | |
des Fußballs aufziehen, der nicht mehr ihr Fußball ist. Sie haben recht. | |
Das Bier ist nur ein Beispiel. | |
## Diktatur des Biergeschmacks | |
Faktisch hat die Fifa bereits die Regentschaft in vielen Städten | |
übernommen: Ganze Stadtzentren und kilometergroße Bannmeilen rund um die | |
Stadien wurden zu exklusiven Räumen des Weltfußballverbands erklärt. Kein | |
Kommunalpolitiker, sondern die Fifa bestimmt, was gegessen und getrunken | |
wird, welche Werbeschilder platziert, welche Veranstaltungen stattfinden | |
dürfen – und welche Demonstrationen nicht. Brasilien, das Land, das die | |
Weltsozialforen hervorbrachte und eine stolze Kultur undogmatischer und | |
kollektivistischer Politik vorweisen kann – auf der Kippe? | |
Nachmittags, 17 Uhr, U-Bahn-Station, São Paulo, wahlweise Rio. Es gibt hier | |
kein Entweichen mehr. Es gibt nur noch die Menschenmasse, kaum | |
durchdringbar. Die Infrastruktur ist höllisch überlastet, bauen tut not. | |
Und so werden gigantisch überdimensionierte Bauprojekte entworfen, von | |
denen allerdings die meisten drei Merkmale haben: Sie sind schweineteuer, | |
werden bis zur WM nicht fertig – aber hinterher nicht mehr gebraucht. Das | |
ist der Resonanzraum eines neuen metropolen Aufstands, der – bei allen | |
Eigenheiten – tatsächlich Bezugspunkte zu Istanbul aufweisen kann: Es geht | |
um die Stadt, die es nicht gibt. | |
Ich war ja bei den Lacerdas, sie nahmen mich mit. Ich sah kiloweise | |
Vitaminpräparate in den Spielerkabinen des Erstligaklubs Atlético Mineiro | |
und das nagelneu renovierte Stadion Mineirão. Tiago Lacerda sagt: Diese | |
modernen Stadien symbolisieren die Zukunftsfähigkeit Brasiliens. Als es zu | |
regnen beginnt, fließen die Wassermassen durch die offenen Kabelschächte | |
entlang der Starkstromleitungen direkt ins Stadioninnere. | |
Ich sage: Tiago Lacerda ist ein Speichellecker vor dem Herrn, der einen | |
schönen Posten und einen mächtigen Papa hat. Sein Papa sagt: Tiago ist sehr | |
begabt und genau der richtige Mann für den Fifa-Posten. Viele Brasilianer | |
sagen, sehr zu Recht: Gebt uns unser Bier – und macht euch fort. | |
18 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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