# taz.de -- Online-Spiele sammeln Spenden: Spielend Gutes tun | |
> Onlinespiele sind beliebt und machen Spaß. Mit einigen kann man auch | |
> realen Menschen helfen. Doch die Spiele vereinfachen die Probleme auch | |
> stark. | |
Bild: Virtuell helfen heißt auch ein wenig real helfen: Online-Spiel „Half t… | |
Das Spiel beginnt in einem Dorf in Indien und endet bei den Vereinten | |
Nationen. „It’s your turn to hold up half the sky!“, steht im | |
Begrüßungsfenster. Du bist dran. Unterstütze die Hälfte des Himmels. Das | |
neueste [1][Online-Spiel auf Facebook] hat sich viel vorgenommen. Es will | |
Menschen helfen, für die Armut kein Spiel ist. | |
Die virtuelle Inderin Radhika muss eine Reihe von Hindernissen überwinden, | |
bis sie medizinische Versorgung für ihre Kinder bekommt, Schulgebühren | |
bezahlen und mit dem Verkauf von Mangos auf dem Markt das Familieneinkommen | |
sichern kann. | |
Die Spielenden können unterdessen ganz real für Radhika spenden. Wenn sie | |
selbst kein Geld haben oder aufwenden wollen, können sie Mittel von | |
Nonprofit-Organisationen freisetzen, die arme Menschen unterstützen. Je | |
mehr Spenden sie sammeln, desto schneller helfen sie Radhika, ihr Ziel zu | |
erreichen. | |
Das Computerspiel „Half the Sky“ wurde am vierten März weltweit gestartet, | |
zunächst nur auf Englisch, später auch auf Französisch. Es ist das neueste | |
Projekt einer Bewegung, die sich für die Rechte von Frauen stark macht, | |
angeführt von Nick Kristof und Sheryl WuDunn, beide JournalistInnen der New | |
York Times. | |
## Aus dem wirklichen Leben lernen | |
Alles begann im Jahr 2009 mit der Veröffentlichung ihres Buches „Die Hälfte | |
des Himmels: Wie Frauen weltweit für eine bessere Zukunft kämpfen“. Es | |
folgte ein vierstündiger Dokumentarfilm, der auf PBS (Public Broadcasting | |
Service, das amerikanische Pendant zu den öffentlich-rechtlichen | |
Fernsehsendern in Europa) ausgestrahlt und innerhalb einer Ausstellung im | |
Skirball Cultural Center von Los Angeles gezeigt wurde. Im nächsten Schritt | |
baten Kristof und WuDunn die Nonprofit-Spielefirma Games for Change aus New | |
York, ein Projekt für digitale Plattformen zu entwickeln, in dem die | |
Lebenswirklichkeiten von Frauen aus aller Welt thematisiert werden. | |
„Man kommt einfach nicht an der Tatsache vorbei, dass überall auf der Welt | |
viele Menschen gerne spielen“, sagt Kristof in einem Interview. „Ich war | |
neidisch und dachte, warum entwickeln wir nicht ein Spiel, in dem sich die | |
Leute mit den Themen beschäftigen, die uns wichtig sind?“ | |
Und es funktionierte. „Half the Sky“ sprach von Anfang an überall auf der | |
Welt neugierige und engagierte Leute an. | |
„Es ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie man aus dem wirklichen Leben | |
lernen kann“, sagt Nandita Vij Tandan, eine ehemalige Fernsehjournalistin, | |
die mittlerweile in Paris als Redakteurin im Bildungsbereich arbeitet. „Man | |
lernt, was für Probleme Leute in armen Ländern haben, wenn es um den Zugang | |
zu Bildung geht, man lernt, welche Rolle die Gemeinden spielen und was | |
beispielsweise Micro-Kredite sind.“ | |
## Wasserplündern als Spiel | |
Nick Kristof sagt, ihr Ziel sei gewesen, Leute zu bekehren, denen zum | |
Beispiel die Bildung von Mädchen oder der Sexhandel „völlig schnuppe“ | |
gewesen seien. Mit ihrem Buch „Die Hälfte des Himmels“ hätten sie bereits | |
ihre „Gemeinde“ erreicht, also diejenigen, die sich für die angesprochenen | |
Themen interessierten. | |
Asi Burak, der Mitbegründer von Games for Change, betrachtet Kristof und | |
WuDunn als Pioniere. „Sie haben begriffen, dass sie nicht viel bewirken, | |
wenn sie auf der sicheren Seite bleiben und den bereits Bekehrten | |
predigen.“ | |
Auch Burak selbst ist ein Pionier. Im Jahr 2004 hat er gemeinsam mit | |
Michelle Byrd eine Nonprofit-Firma gegründet, die „Spiele mit | |
gesellschaftlichem Bezug“ entwickelt. Darin geht es zum Beispiel um den | |
Nahost-Konflikt, den Bürgerkrieg in Syrien, Aids-Prävention und erneuerbare | |
Energien. | |
Auch andere Nonprofit-Organisationen haben sich in die Welt der Spiele | |
begeben und kooperieren mit Facebook und Zynga, einer Firma für | |
Computerspiele. | |
Im vergangenen November entwickelte die Organisation [2][„Water.org“], die | |
von Gary White und dem Schauspieler Matt Damon gegründet wurde, das | |
beliebte Facebook-Spiel FarmVille2, das sich mit der Plünderung der | |
weltweiten Wasserreserven beschäftigt. | |
## Die Welt vereinfacht | |
Das Spiel ermöglicht über eine digitale Oberfläche einen Einblick in | |
bäuerliches Leben und wird jeden Tag von mehr als 8 Millionen Menschen | |
gespielt. Sie „kaufen“ Benzinkanister, Pumpen und Berieselungsanlagen, die | |
im Spiel zu wertvollem Wasser werden und den Spielenden ermöglichen, mehr | |
Nutzpflanzen anzubauen. Die virtuellen Dinge werden dann über [3][Zynga] | |
oder Facebook an Water.org gespendet. | |
Ken Weber, Geschäftsführer von Zynga behauptet, dass durch die digitalen | |
Anstrengungen der Spielenden weltweit mehr als 16.000 Menschen lebenslangen | |
Zugang zu sauberem Wasser erhalten. | |
Wegen der guten Erfahrungen mit Zynga und der enormen Reichweite wählte das | |
„Half the Sky“-Team Facebook als Träger seines Spiels. Außerdem beteiligt | |
sich ein französisch-kanadischer Spieleentwickler, der zwar für den | |
kommerziellen Markt arbeitet, aber offenbar auch soziale Verantwortung | |
verspürt, an dem Projekt. | |
Der Kritik, dass sie mit ihren Spielen die tatsächlichen | |
Entwicklungsprobleme vereinfachen und in die digitale Welt verlagern, ist | |
sich das Games-for-Change-Team bewusst. „Natürlich ist im Spiel vieles | |
einfacher, als es in der wirklichen Welt wäre. Aber es geht darum, Lösungen | |
und Möglichkeiten aufzuzeigen“, sagt Burak. „Das ist der Schwerpunkt | |
unseres Spiels.“ | |
## Wissen, wofür man spendet | |
Spielende können zum Beispiel eine Organisation unterstützen, die | |
Operationen von Scheidenfisteln finanziert – ein in Entwicklungsländern | |
häufig auftretendes gynäkologisches Problem. Oder eine Organisation, die | |
bäuerliche Gemeinden mit niedrigem Einkommen durch Hilfen bei der | |
Landwirtschaft und der Viehzucht unterstützt. Oder man kann Bücher an | |
Room-to-Read spenden, eine Nonprofit-Organisation aus San Francisco. | |
Im Verlauf des Spiels bewegen sich die Spielenden je nach erreichtem Level | |
von Indien nach Kenia, nach Vietnam und Afghanistan, bis sie schließlich in | |
den USA landen. Dabei können sie Mittel von Sponsoren freisetzen. | |
„Viele Menschen spenden Geld für eine gute Sache, wissen aber selten, wofür | |
das Geld ausgegeben wird“, sagt Tandan in Paris. „In diesem Spiel wissen | |
wir, wofür wir spenden, ob wir nun für Room-to-Read ein Buch kaufen oder | |
Impfungen für Kinder finanzieren.“ | |
Burak hofft, dass „Half the Sky“ zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt. Nach | |
dem Debüt auf Englisch und Französisch möchte er es vor allem in den | |
Entwicklungsländern bekannt machen, sodass die Menschen es dort in ihrer | |
Sprache spielen können. Das wünscht er sich vor allem für Indien, wo | |
aktuell heftig über die Rechte von Frauen und Mädchen diskutiert wird. | |
Da Spielen keine Grenzen kennt und kein Geld kostet, könnte das sehr gut | |
möglich sein. | |
Aus dem Englischen von Heike Brandt | |
23 Jun 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.halftheskymovement.org/ | |
[2] http://water.org/ | |
[3] http://water.org/zynga/ | |
## AUTOREN | |
Esha Chhabra | |
## TAGS | |
Onlinespiele | |
Spenden | |
Wasserversorgung | |
Computer | |
Computerspiel | |
Umsatz | |
Xbox | |
Erdbeben | |
Mobilfunk | |
Mexiko | |
Landwirtschaft | |
Schwerpunkt Afghanistan | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Digitale Medienpädagogik: Regeln lernen durch Computerspiele | |
Mehr als daddeln: Kinder können über Computerspiele Regeln erlernen wie | |
beim Fußball. Ein Pilotprojekt will Verständnis dafür auch bei Älteren | |
schaffen. | |
Moralische Computerspiele: Spielerische Kapitalismuskritik | |
Rollenspiele zwingen zur Interaktion: Der Konsument wird zum Akteur, der | |
emotional beteiligt ist. Das eröffnet neue Spielarten der | |
Gesellschaftskritik. | |
Umsatzeinbruch bei „Farmville“-Konzern: Zynga laufen Spieler davon | |
Die Krise beim Spiele-Entwickler Zynga nimmt immer größere Ausmaße an. Der | |
neue Chef will das ändern, glaubt aber nicht, dass das mit Glücksspiel | |
gelingt. | |
Chefwechsel bei Zynga: Xbox-Manger soll Wende bringen | |
Die Onlinespiele des US-Unternehmens Zynga verlieren immer mehr an | |
Anziehungskraft, der Umsatz schrumpft: Don Mattrick soll als neuer Chef nun | |
alles besser machen. | |
Wiederaufbau nach dem Erdbeben 2012: Italiens Trümmerfrauen | |
Ein Jahr nach dem Erdbeben in Reggio Emilia bauen Unternehmerinnen ihre | |
Läden wieder auf. Das Netzwerk „EmiliAmo“ hält sie davon ab, zu | |
verzweifeln. | |
Mobiles Banking auf dem Land in Indien: Aus dem Eckladen wird eine Eckbank | |
Für Menschen im ländlichen Indien ist die Eröffnung eines Bankkontos | |
mühselig. Sie können nun ein Konto per Handy einrichten und das Geld am | |
Kiosk holen. | |
Jugendkriminalität in Mexiko: Fußballspielen für die Zukunft | |
Viele der Jugendlichen im mexikanischen Fußballprojekt „A ganar“ waren | |
schon als Teenager im Gefängnis. Auf dem Sportplatz finden sie ihr | |
Selbstwertgefühl wieder. | |
Alternativer Konsum in Deutschland: Wissen, was im Kochtopf schmurgelt | |
Direkt vom Hof oder gleich die regionale Vermarktungskette selbst | |
organisieren? Drei unterschiedliche Konsumbeispiele aus Deutschland. | |
Billige Minenräumung in Afghanistan: „Bumm, und weg ist es“ | |
Als Kind spielte der Designer Massoud Hassani vor den Minenfeldern | |
Afghanistans. Nun hat er ein Gerät entwickelt, das Minen billig explodieren | |
lässt. |