# taz.de -- Alternativer Konsum in Deutschland: Wissen, was im Kochtopf schmurg… | |
> Direkt vom Hof oder gleich die regionale Vermarktungskette selbst | |
> organisieren? Drei unterschiedliche Konsumbeispiele aus Deutschland. | |
Bild: Jeder bekommt so viel, wie er braucht: Erdbeeren vom Biohof. | |
Einmal in der Woche herrscht auf dem Buschberghof, eine halbe Autostunde | |
östlich von Hamburg, Hochbetrieb: Leute laden ihren Kofferraum voll mit | |
diversen Gemüse- und Obstsorten, Brot, Milch, Käse und Fleisch. Sie halten | |
ein Schwätzchen und fahren wieder ab, ohne etwas zu bezahlen. „Der Geld- | |
und der Warenfluss sind bei uns komplett getrennt“, sagt Karsten | |
Hildebrandt, der zusammen mit fünf anderen Bauern den Demeter-Betrieb | |
bewirtschaftet. Hier wird nichts abgewogen oder verpackt: Jeder bekommt so | |
viel, wie er braucht und wie der Hof gerade hergibt. | |
Die Landwirte kalkulieren einmal im Jahr, wie viel Geld sie in den | |
kommenden zwölf Monaten benötigen, um die Nahrungsmittel für 300 bis 350 | |
Menschen herzustellen und die Gebäude und Maschinen instand zu halten. Am | |
letzten Sonntag im Juni ist dann großes Hoftreffen: Der Sitzungsleiter | |
verteilt mit Pferd und Pflug dekorierte Zettel, und wer im Folgejahr | |
versorgt werden will, notiert einen monatlichen Betrag, den er geben will | |
und kann. | |
„Für die, die keine Fantasie haben, gibt es einen Richtwert von 150 Euro im | |
Monat pro Erwachsenen und 70 Euro pro Kind“, sagt der langjährige | |
Schatzmeister Wolfgang Stränz. In der Regel sind anschließend die nötigen | |
350.000 bis 400.000 Euro beisammen. | |
Annemaria und Wolfgang Heitmann beziehen seit vielen Jahren mehr als 80 | |
Prozent ihrer Lebensmittel vom Buschberghof. Die 66-Jährige freut sich, zu | |
wissen, wie und wo das gewachsen ist, was in ihrem Kochtopf schmurgelt. Und | |
auch ihrem Mann vergeht jetzt nicht mehr der Appetit wie damals, als er mal | |
als Programmierer für den Schlachthof gearbeitet hat und mitbekam, wie | |
mehrfach eingefrorenes Fleisch durch Räuchern aufgepeppt wurde. | |
Zu Hause bei den Heitmanns im Geräteschuppen befindet sich die | |
Verteilstation für vier Familien; immer abwechselnd fährt jemand raus zum | |
Hof. Andere Gruppen organisieren die Auslieferung auf andere Weise. „Mich | |
nur um die Landwirtschaft kümmern zu können und mir keinen Kopf über den | |
Vertrieb machen zu müssen empfinde ich als großen Luxus“, sagt Eva | |
Otterbach, die auf dem Buschberghof für die kleine Herde aus Angler Rotvieh | |
zuständig ist, einer fast schon ausgestorbenen Rinderrasse. | |
Jahrelang war der Buschberghof ein Unikat in Deutschland. Doch inzwischen | |
wirtschaften schon über 30 Betriebe so, und dieses Jahr wird ein weiteres | |
Dutzend hinzukommen. | |
## Bauern, Müller, Molkereien | |
Noch mehr Menschen als bei dem Hamburger Bauernhof finden sich im Süden des | |
Landes zu einem Vorbildprojekt. Es begann vor ein paar Jahren in Dorfen, | |
östlich von München. Ein Bauer und ein paar Einwohner schlossen sich | |
zusammen, weil sie das eigene Tun „wieder durchschauen und verantworten“ | |
können wollten, wie es im Gründungsdokument heißt. | |
Inzwischen vereint die Genossenschaft „Tagwerk“ mehrere hundert Verbraucher | |
und 100 Erzeuger, vom Bauern über den Müller bis zur Käserei. Auf jeder | |
Packung steht genau, wo das Produkt herkommt. Beliefert werden spezielle | |
„Tagwerk“-Geschäfte in den umliegenden Dörfern und Wochenmärkte sowie | |
Regional- und Bioläden in München. Die Genossenschaft setzt knapp 5 | |
Millionen Euro im Jahr um, beschäftigt 39 Menschen und ist vor Ort ein | |
bedeutsamer Wirtschaftsfaktor. | |
Dabei geht es vielen Tagwerk-Genossen nicht allein um die Förderung der | |
regionalen Nahrungsproduktion, sondern auch um Spaß und die persönliche | |
Lebensqualität. Laufend entstehen hier neue Projekte: Ein Genosse hat | |
witzige Jahreszeitenkochbücher geschrieben, der ehemalige Bankvorstand | |
Rudolf Oberpriller organisiert Radeltouren zu Bauernhöfen und hat einen | |
deutschlandweiten Biofernradweg erfunden. „Meine frühere Arbeit war totaler | |
Blödsinn. In so einem Netzwerk wie unserem braucht man nicht viel Geld, um | |
was wirklich Sinnvolles auf die Beine zu stellen“, sagt er. | |
## Tragfähige Gewinnmargen | |
Eine dritte und eine der größten Formen von | |
Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaft ist die Regionalwert AG, die Christian | |
Hiss vor sieben Jahren in Freiburg gegründet hat. Bis zum Jahr 2000 hatte | |
er gut von seinem Demeter-Hof leben können, der wie der Buschberghof als | |
geschlossener Hoforganismus funktioniert: Es gibt Hühner und eine kleine | |
Kuhherde, auf den Äckern wachsen Rettiche und Rüben, Salate und Sellerie, | |
Bohnen und Erbsen. Doch seit Massenproduzenten Biogemüse in Supermärkten | |
anbieten, wird es für traditionelle Ökobauern immer schwieriger. | |
„Auf einem Hof, der 70 Gemüsesorten anbaut, betragen die Herstellungskosten | |
für ein Kilo Biokarotten vielleicht 2 Euro. Ein Biobetrieb, der | |
ausschließlich Karotten anbaut, hat nur 80 Cent Kosten“, beschreibt Hiss | |
das Problem. Deshalb gründete er die Regionalwert AG und brachte als Erstes | |
seinen eigenen Betrieb ein. Inzwischen ist das Unternehmen nicht nur an | |
mehreren Höfen, Gärtnereien und Weingütern beteiligt, sondern auch an einem | |
Bio-Caterer und einigen Verkaufsstätten. Weil die Gewinnmargen für | |
Verarbeiter und Verkäufer höher sind als für landwirtschaftliche Betriebe, | |
ist die Vermarktungskette wirtschaftlich tragfähig. | |
Knapp 500 Aktionäre haben sich mit Beträgen zwischen 500 und 150.000 Euro | |
inzwischen an der Regionalwert AG beteiligt; eine spezielle | |
Unternehmenskonstruktion verhindert, dass ein Großinvestor die Firma | |
übernehmen kann. Die Rendite der Beteiligten besteht nicht nur darin, | |
gesunde Nahrungsmittel aus dem Umland genießen zu können, sondern auch im | |
Erhalt einer kleinteiligen Kulturlandschaft. Das Beispiel macht Schule: In | |
München und Frankfurt entstehen derzeit ebenfalls Bio-Aktiengesellschaften. | |
22 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Annette Jensen | |
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