# taz.de -- Lohndumping im Schlachthaus: So was Ekelhaftes | |
> Billiges Fleisch, billige Arbeitskräfte: An den Schweinereien ist auch | |
> unser Hygienebild schuld. Aber davon wollen wir nichts wissen. | |
Bild: Einblicke hinter die Kulissen wollen Konsumenten nicht haben. Fleisch sol… | |
Haben Sie schon mal ein großes Schlachthaus von innen gesehen? Es ist nicht | |
so leicht, eine Gelegenheit dazu zu bekommen. Und die wenigsten Menschen | |
finden, dass man einen solchen Ausflug gemacht haben sollte. | |
Ich war trotzdem mal in einer solchen Fleischverarbeitungsfabrik. Ein paar | |
Jahre ist das her. Gläserne Schlachterei nannte sich die, und es war am | |
Ende doch ein interessantes Erlebnis. Vor allem deshalb, weil der Besuch an | |
die Besichtigung einer Nuklearanlage erinnerte. Da musste | |
Hygieneschutzkleidung angezogen werden, vor allem mussten diese Tütchen | |
übers Haupt gezogen werden, immer wieder waren Hygieneschleusen zu | |
passieren, in denen man mit den Schuhen durch Desinfektionsbäder laufen und | |
die Hände waschen musste. | |
Nah ans Fleisch kam man trotzdem nicht. Die meiste Zeit lief der Besucher | |
über eine Galerie, von der man durch dicke schalldichte Scheiben in eine | |
Halle sah, wo Chrom glänzte und Kacheln blinkten. Wie Schweine zersägt | |
wurden, Keulen zerhackt und Fleisch verwurstet wurde, das sah man, konnte | |
es aber nicht hören. Eine blutige Angelegenheit schien das Fleischhandwerk | |
nicht zu sein. Der Mitarbeiter, der die Besucher führte, war ein | |
freundlicher und eloquenter Mensch. Er war am Ort geboren, wie er erzählte. | |
Aber wer waren die Menschen am Hackklotz, an der Kreissäge oder am Cutter? | |
Wenn man Einzelne zu lange ansah, drehten sie sich weg. Sie kamen sich wohl | |
vor wie im Zoo. | |
Ich möchte nicht glauben, dass diese Menschen zu einem Hungerlohn | |
gearbeitet haben und nach getaner Arbeit mit Bussen in ein Feriendorf im | |
Wald gebracht wurden wie Tiere aus dem Gehege in den Stall. Aber inzwischen | |
halte ich es für wahrscheinlich. Denn langsam kommt raus, welche | |
Sklavenmärkte es im Billiglohnland Deutschland gibt, nicht nur bei Amazon | |
oder DHL, sondern offenbar auch im fleischverarbeitenden Gewerbe. Wenn ich | |
schon einen chromblitzenden Anblick auf das Fleisch serviert bekam, | |
vielleicht dann auch auf die Menschen, die das Fleisch verarbeiteten. | |
## Terrain der Ausbeute | |
Niemand hat die Zustände, wie sie langsam ans Tageslicht kommen, besser | |
beschrieben als der amerikanische Romancier Upton Sinclair. Nur dass das | |
schon über hundert Jahre her ist. Sein Roman „Der Dschungel“, gerade im | |
Europa Verlag neu aufgelegt, ist ein Meisterwerk der Sozial- und | |
Investigativreportage. Monate recherchierte der Autor dafür im | |
Schlachthofviertel von Chicago, damals mit fast 50.000 Arbeitern die größte | |
Fleischerei der Welt. Die Parallelen zu den heutigen Verhältnissen in | |
Deutschland sind beängstigend. | |
Held des Romans ist ein litauischer Einwanderer, Jurgis Rudkus, der | |
verzweifelt den Einstieg in den amerikanischen Traum sucht, dabei aber wie | |
ein „Hans im Pech“ von Ausbeuter zu Ausbeuter gereicht wird und immer neue | |
Schicksalsschläge erleidet. Sinclair erzählt das in der Kulisse des | |
Schlachtviertels, einer Hölle der Akkordarbeit, wo TBC-Kranke ins Fleisch | |
husten oder Arbeiter vor Erschöpfung stolpern, in die Bottiche fallen und | |
mit eingedost werden. Wo die Arbeitskraft keinen Pfifferling wert ist. | |
Schlachtbetriebe in Deutschland bieten heute für das Zerlegen eines | |
Schweins in verkaufsfertige Portionen einen Pauschalpreis von 1,66 Euro pro | |
Stück an. Oder sogar weniger. Wegen des Werkvertragswesens machen sie dabei | |
sogar noch einen Schnitt. Die Rudkus von heute kommen wieder aus Osteuropa. | |
Dieser Dumpingarbeit steht die Erinnerung von älteren Leuten gegenüber, die | |
noch bei einer Hausschlachtung dabei gewesen sind. Ein Tag ging drauf. | |
Meist war die ganze Familie zugegen, wenn morgens der Schlachter kam, die | |
Haussau, die das ganze Jahr über liebevoll gemästet worden war, abstach und | |
das Tier dann zum Ausbluten an einem Balken an der Scheune aufgehängt | |
wurde. Anschließend begann die Zerlegung, wurden Schinken eingesalzen, | |
Blutwürste gezogen, Innereien gekocht. Warum sind solche Hausschlachtungen | |
zur Erinnerung geworden, was hat die Arbeit so billig gemacht? | |
## Hygienisch einwandfrei und bitte zum Schnäppchenpreis | |
Natürlich: Es ist die arbeitsteilige Welt, die Gier nach dem Schnäppchen, | |
die aus dem Ruder gelaufene Einstellung, was wie viel wert sein muss, die | |
zu solchen Entwicklungen führen. Aber es ist auch unser Begriff von | |
Hygiene. Es ist vor allem die Angst um die Gesundheit des Konsumenten, | |
warum nach jedem Lebensmittelskandal politische Kampagnen angeworfen | |
werden. Auch hier gibt es eine Parallele zum Chicagoer Schlachthof. Auf | |
Upton Sinclairs Enthüllungen folgte nur ein neues Lebensmittelgesetz, das | |
die Qualität der Fleischkonserven verbessern sollte. | |
Beim Pferdefleischskandal in diesem Frühjahr war es nicht anders. Es | |
bestand keine ernsthafte Gefahr für Leib und Leben, die | |
Verbrauchertäuschung entsprach nur der allgemeinen Discountlogik, | |
billigstes Fleisch in Tiefkühllasagne zu verstecken. Aber der verbreitete | |
Ekel war wieder ein ernsthafter Impuls für die Ordnungspolitik. | |
Kontinentweite DNA-Tests begannen, wieder wurden für Lebensmittel Maßnahmen | |
entwickelt, um ihre absolute Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten, aus | |
Gründen der Ernährungssicherheit. | |
Absolute Rückverfolgbarkeit und größtmögliche Keimfreiheit sind übrigens am | |
besten in geschlossenen Produktionsketten zu erreichen. Das ist auch der | |
Grund, warum Menschen und Tiere in fensterlosen Fabriken, hinter | |
Stacheldrähten und Hygieneschleusen irgendwo auf dem flachen Land gehalten | |
werden und ganz vereinzelt mal in einer glänzenden Umgebung hinter dickem | |
Glas. „Die Käseglocke schützt auch die Maden“, hat einmal ein deutscher | |
Aphoristiker geschrieben. Die Maden sind die, die in Deutschland mit | |
solchen Billiglöhnern ihr Geschäft machen. | |
## Die Käseglocke schützt vor der Realität | |
Aber kann denn das wirklich sein? Erst vor ein paar Monaten, als das | |
Rana-Plaza-Gebäude in Bangladesch einstürzte und 3.000 Näherinnen unter | |
sich begrub, nahm man in Deutschland auch in breiten Kreisen wahr, welche | |
himmelschreienden Zustände in einem solchen Billiglohnland herrschen. Und | |
nun soll Vergleichbares hierzulande geschehen, im Fleischereigewerbe der | |
menschenleeren deutschen Provinz. Aber es gibt da einen Zusammenhang. | |
Es ist der schöne Schein, an den wir uns gewöhnt haben. Den wir bewahren | |
möchten. Wer würde in einer Großstadt wie Berlin an einer Nähstube | |
vorbeigehen, in der Frauen im Akkord nähen, und um die Ecke diese T-Shirts | |
für 1,99 Euro kaufen? Wer möchte durch den blutigen Geruch aus dem Gully | |
darauf hingewiesen werden, dass irgendwo in der Nähe Tiere geschlachtet | |
werden? Und dort auch noch Fleisch kaufen? | |
Ganz im Gegenteil: Wo sich die kleinen Rana Plazas unserer eigenen | |
Geschichte abspielten, wird heute teuer renoviert und original instand | |
gesetzt, wird die Erinnerung an die gute alte Zeit der Industrialisierung | |
wiederbelebt. Nie war der Klinker an ehemaligen städtischen Schlachthöfen | |
besser in Schuss, weil Lofts, Cafés und Büros entstehen. Ob im ehemaligen | |
New Yorker Meatpacking District oder im Schlachthofviertel von Ostberlin, | |
ob in München, Karlsruhe oder Soest. Irgendwie auch eine Hygienemaßnahme | |
für die Erinnerungen. | |
Es ist eben auch der Ekel vor sozialen wie hygienischen Zuständen, warum | |
wir uns manches aus den Augen schaffen müssen, egal ob nach Bangladesch | |
oder ins Oldenburger Münsterland. Aber wenn das einmal geschehen ist, dann | |
ist es mit der Transparenz und Kontrolle so eine Sache. Stichwort | |
Käseglocke. | |
Seit Karl Marx wissen wir, dass zu den wesentlichen Merkmalen des | |
Kapitalismus die Entfremdung des Arbeiters von seiner Arbeit gehört. Die | |
Entfremdung des Kunden von seiner Ware gehört auch dazu. | |
30 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Jörn Kabisch | |
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