# taz.de -- Doping in der BRD: Gift im Organismus | |
> Im deutschen Sport setzten sich ab Mitte der 70er Jahre die | |
> Dopingbefürworter durch. Eine Allianz der Entscheider war für den | |
> Anabolikaeinsatz. | |
Bild: Gut ausgebildetes Muskelgewebe war nicht nur in der bildenden Kunst gefra… | |
BERLIN taz | Nach einer monatelangen Verzögerungstaktik hat sich das | |
Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Bisp) nun endlich dazu durchgerungen, | |
die Studie der Berliner Humboldt-Uni zum Doping in Westdeutschland einer | |
breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auf der Internetseite des Bisp | |
kann sie nun jeder Interessierte studieren. | |
Sie enthält einige wichtige neue Erkenntnisse. So hat es in der | |
Bundesrepublik bereits in den 50er Jahren Doping mit Sexualhormonen und | |
Hormonen der Nebennierenrinde gegeben, vor allem im Radsport. Am Rande der | |
Fußball-Weltmeisterschaft 1966 in England sind drei mit Aufputschmitteln | |
gedopte deutsche Kicker aufgefallen – ein Befund, der nie öffentlich und | |
schon gar nicht sanktioniert wurde. | |
Zudem sei das Westdoping keine Reaktion auf das Treiben im Ostblock | |
gewesen, sondern die Forschung, die Duldung und Anwendung von | |
Muskelmastmitteln und anderen Arzneimitteln sei vielmehr zeitlich parallel | |
erfolgt. | |
Um BRD-Sportler auf unerlaubte beziehungsweise ethisch fragwürdige Weise | |
schnell und ausdauernd zu machen, gab es eine Allianz deutscher | |
Sportfunktionäre und Sportmediziner im Bisp, dem Deutschen Sportbund und | |
Forschungsstätten wie in Freiburg, Saarbrücken, Köln und Heidelberg. Zwar | |
habe es immer auch kritische Stimmen und einen Wettstreit der Argumente von | |
Dopingbefürwortern und Dopinggegnern gegeben, doch etwa Mitte der 70er | |
Jahre hätten Erstere die Überhand gewonnen und die Kritiker mehr und mehr | |
kaltgestellt. | |
## Der Fall Fric | |
In einer Zeit, 1968, als Anabolika bereits flächendeckend im Leistungssport | |
angewendet wurden, rang der westdeutsche Sport noch um eine klare Position. | |
Das wird in der Berliner Studie sehr gut am Fall Fric deutlich. Dieses | |
„Schlüsseldokument“ des bundesdeutschen Sports soll an dieser Stelle | |
ausführlicher dokumentiert werden: Der sogenannte Leistungsrat des | |
Deutschen Leichtathletikverbands, der sich der „Leistungsforschung“ | |
verschrieben hatte, kam 1968 zusammen, um Heikles zu erörtern. | |
Geladen war der Tscheche Jaromir Fric, der den Vortrag „Wirkungen anaboler | |
Steroide auf Skelettmuskel, Kraft und Leistung“ halten durfte. Fric, ein | |
ehemaliger Kugelstoßer aus Hradec Králové, der auch in den Folgejahren wie | |
selbstverständlich vom Ostblock in den Westen und zurück reisen durfte, | |
unterrichtete das Gremium aus Biomechanikern, Sportmedizinern und | |
Trainingswissenschaftlern, Funktionären und Trainern. | |
Er stellte die wichtigsten Präparate Dianabol, Primobolan und Docabolin vor | |
sowie einige Nebenwirkungen – im Vergleich zu späteren Erkenntnisse solch | |
harmlose wie Blutdruckanstieg. Fric kam schließlich zu der Erkenntnis, dass | |
man anabole Steroide als Doping bezeichnen könne. Nicht alle sahen das so. | |
Max Danz, der damalige Präsident des DLV, sagte nur einen Tag vorm Meeting | |
des Leistungsrats in der Zeit: „Ich halte Dianabol nicht für ein | |
Dopingmittel, sondern für ein langsam echt aufbauendes Kräftigungsmittel, | |
das ich laufend in meiner Praxis verordne. Ich kann nicht verstehen, wie | |
man zur der Auffassung kommt, es sei mit der Einnahme von Dianabol eine | |
Wirkung zu erzielen wie mit der Doping-Peitsche.“ Unterstützung bekam er | |
vom Ruder-Achter-Coach Karl Adam, der ein Verbot von Anabolika kategorisch | |
ablehnte. „Die Anabolika verbessern lediglich die physiologischen | |
Leistungsvoraussetzungen. Den Athleten das verbieten zu wollen, bedeutet | |
einen unnötigen und unberechtigten Eingriff in ihre persönliche | |
Entscheidungsfreiheit“, meinte Adam. | |
## Viel getan, um den Anabolika-Einsatz zu ermöglichen | |
Anders der Mainzer Sportmediziners Manfred Steinbach. Er kam zu dem Urteil: | |
„Rein vom ärztlichen Standpunkt aus sind Einwände angebracht, ein so | |
differenziertes Medikament kerngesunden Menschen zu verordnen. Aber selbst | |
wer die Gabe der Anabolika für harmlos hält und den Dopingbegriff nur eng | |
an jene (Antidoping-)Listen orientiert, sollte es sich als | |
verantwortungsbewusster Arzt genauestens überlegen, hier Schleusen zu | |
öffnen. | |
Die Anabolika könnten nur der Anfang einer chemischen Athletenproduktion | |
sein, und dem muss entgegengewirkt werden.“ Der Leistungsrat stützte | |
letztlich im Protokoll der Sitzung die Meinung von Steinbach, indem er den | |
Einsatz von Anabolika nicht empfahl und auch recht klar von Doping sprach. | |
Doch an der Vereinsbasis setzte sich diese Sichtweise oft nicht durch, und | |
auch auf der Führungsebene wurde viel getan, um den Einsatz von Anabolika | |
zu ermöglichen. Sportmediziner wie der Freiburger Joseph Keul gaben | |
wissenschaftlich untermauerte Unbedenklichkeitserklärungen für den Einsatz | |
von Medikamenten ab und wurden dafür vom deutschen Sport, namentlich dem | |
Bisp, mit Geld und Forschungsaufträgen versorgt, auch solchen zur | |
Erforschung von Testosteron. Es waren oft Gefälligkeitsstudien, deren Gift | |
in den Organismus des BRD-Sports lief und sich dort verbreitete. | |
6 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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