# taz.de -- Kommentar Syrische Flüchtlinge: Das Primat des Humanitären | |
> Flüchtlingspolitik ist kein sentimentaler Kram. Wer für Flüchtlinge keine | |
> Verantwortung übernimmt, macht sich mitschuldig am Massenmord. | |
Bild: Einer von Hunderttausenden: Syrischer Junge im Flüchtlingscamp Zattari | |
Wann handeln Leute? Wenn Nichthandeln für sie zu kostspielig wird. Also | |
muss der Preis für Ignoranz, Passivität oder Blockade erhöht werden. Genau | |
das ist in den letzten zwei Wochen passiert, auf sehr grausame Weise: Die | |
Bilder von den etwa 1.400 vergifteten SyrerInnen haben Obama dazu | |
gezwungen, sich des Krieges in Syrien doch noch anzunehmen und eine | |
ernsthafte diplomatische Initiative zu ergreifen. | |
Ein Land, das Flüchtlinge produziert, ist für die reichen Länder keine | |
Gefahr, eines, das Giftgastote produziert, schon. Bleiben sie dann immer | |
noch untätig, verlieren sie ihr Gesicht. So will es die internationale | |
Konvention. Und die speist sich aus einer langen Tradition: Militärisches | |
Eingreifen wird als mutig und lösungsorientiert gefeiert, humanitäre | |
Interventionen indessen gelten nur als Handeln im Kleinen, als reaktiv und | |
im Zweifel als vernachlässigbar. Kämpfen schlägt Fürsorge. | |
Flüchtlingspolitik, sentimentaler Mädchenkram. | |
Stellen wir uns aber einmal vor: Auch die reichen Länder müssten | |
Flüchtlinge im großen Maßstab aufnehmen. Es gäbe einen international | |
festgelegten Schlüssel, der Frankreich, Großbritannien, Deutschland und die | |
USA dazu verpflichteten, das Gros der ZivilistInnen zu versorgen, wenn | |
diese alles verloren haben. | |
Stellen wir uns vor, es wäre klar geregelt: Sind wie in Syrien rund 6 | |
Millionen Menschen auf der Flucht, dann bedeutet das, dass 2 Millionen nach | |
Deutschland kommen, hier arbeiten dürfen und bleiben können, so lange sie | |
wollen. Da wäre die Aufregung aber groß! Da würde es sich keine PolitikerIn | |
leisten können, zweieinhalb Jahre wegzusehen, wenn Diktatoren täglich | |
Tonnen von TNT auf Wohngebiete in ihrem Einflussgebiet abwerfen. | |
## Ignoranz des Westens | |
Eine solche Ignoranz würde sie viel zu viele WählerInnen kosten. Da fänden | |
alle, dass der Krieg in Syrien die Sicherheit, also den inneren Frieden von | |
Deutschland, den der USA und so weiter bedrohe. Die Realität sieht anders | |
aus. In der stempelt die wohlhabende Mehrheit Flüchtlinge zu Verlieren ab, | |
um die sich die armen Länder kümmern sollen. Diese Haltung trägt eine | |
Mitschuld für das Massenmorden in Syrien. | |
Was auch Herr Niebel begriffen hat, also in Teilen. Wegen Vetternwirtschaft | |
einmal mehr in die Kritik geraten, will der Entwicklungsminister jetzt | |
offenbar ein bisschen menscheln und forderte am Dienstag, der Familienzuzug | |
solle bitte erleichtert werden. Das heißt: Wenn SyrerInnen in Deutschland | |
sämtliche Kosten für ihre Verwandten übernehmen, sollten diese | |
„unbürokratischer“ aufgenommen werden. | |
Syrien ist im deutschen Wahlkampf angekommen. Prima. Umgehend forderten | |
auch die Grünen, 50.000 Flüchtlinge aufzunehmen, und aufgrund der genannten | |
Größenordnung ist das schon nicht mehr ganz so verlogen. Es bleibt, die | |
Konditionen auszubuchstabieren. | |
## Es braucht Mut | |
Erst aber, wenn kollektiv begriffen wird, dass Militärszenarien nur dann | |
Kriege beenden können, wenn sie als Drohung (die realistisch sein muss, | |
sonst funktioniert sie als Drohung nicht) angesetzt werden und humanitären | |
Zwecken untergeordnet bleiben, erst dann wird die internationale | |
Gemeinschaft nicht mehr von einem Desaster zum nächsten, nicht mehr von | |
Ruanda, Irak, Afghanistan und nun zu und über Syrien stolpern. | |
Erst wenn die Zivilgesellschaft humanitäres Handeln nicht mehr länger unter | |
der Hand als Pipifax abtut. Damit lässt sich jeden Tag beginnen. Bei jedem | |
Bier, jeder Redaktionskonferenz, jedem internationalen Treffen und jeder | |
Budgetverhandlung. Aber es verlangt natürlich Mut. | |
11 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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