# taz.de -- Flüchtlinge in Ägypten: Syrer nicht mehr willkommen | |
> Mit dem Sturz Mursis hat sich für syrische Flüchtlinge in Ägypten vieles | |
> geändert. Hunderte werden abgewiesen, andere festgenommen und | |
> abgeschoben. | |
Bild: Schwere Zeiten für syrische Flüchtlinge in Ägypten | |
KAIRO taz | Er wollte nicht lange bleiben. Nur ein paar Tage der Angst | |
entkommen, den Mörsereinschlägen und Maschinengewehrsalven, den | |
Entführungen, dem Tod. Hassan Ahmed Jimma, 48 Jahre alt, Arbeiter, | |
verheiratet, fünf Kinder, floh aus seinem Heimatland Syrien nach Ägypten. | |
Schließlich, so dachte er, seien Syrer hier willkommen. | |
Die damalige Regierung unter Präsident Mohammed Mursi, der aus der | |
Muslimbruderschaft stammt, lässt syrische Flüchtlinge ohne Visa ins Land. | |
Sie nimmt ihre Kinder in Schulen auf und versorgt sie medizinisch. 110.000 | |
Syrer sind in Ägypten registriert, 300.000 werden tatsächlich gekommen | |
sein, schätzt das Flüchtlingskommissariat der UNO. | |
Im Juni kommen die Jimmas in Kairo an, nehmen sich eine kleine Wohnung in | |
einem staubigen Hochhausviertel außerhalb der Stadt. In der Nähe ist eine | |
Einkaufsstraße, die sie hier „Kleinsyrien“ nennen. Es gibt syrische Falafel | |
und Kanafeh, einen Nachtisch aus Käse, Teigfäden und Zuckersirup. Ein | |
bisschen Heimat ohne Bomben. | |
Die Fahrer der Tuk Tuks begrüßen Jimma mit „ahlan wa sahlan“, wenn sie | |
hören, dass er aus Syrien kommt. Es ist ein arabischer Willkommensgruß, der | |
sich etwa so übersetzen lässt: Ihr seid wie Familie, fühlt euch wie zu | |
Hause. In ein paar Wochen sollen Jimmas fünf Kinder eingeschult werden. | |
Drei Wochen nach der Ankunft der Familie stürzt Präsident Mursi, und für | |
die Syrer ändert sich plötzlich alles. Das Militär geht mit aller Härte | |
gegen Dissens vor, verhaftet Führungskader und Unterstützer der | |
Bruderschaft, löst Proteste vor der Rabaa-al-Adawija-Moschee brutal auf, | |
tötet Hunderte Anhänger Mursis. Die militärtreuen ägyptischen Medien | |
liefern das Narrativ dazu: Die gestürzte Regierung und ihre Anhänger | |
deklarieren sie zu Terroristen, Syrer rechnen sie pauschal deren Seite zu, | |
bedrohen sie offen. | |
## Agitation gegen Syrer | |
„Könnt ihr hören, dass das Volk nicht spielt? Das Volk wird es nicht | |
erlauben, dass irgendein Spion oder Infiltrator diesen Sieg zerstört!“, | |
brüllt der prominente Fernsehmoderator Tawfik Okascha den Syrern entgegen. | |
„Wenn ihr nach 48 Stunden noch auf der Seite der Muslimbrüder steht, wird | |
das Volk eure Häuser zerstören. Sie haben all eure Adressen.“ Und viele im | |
Volk glauben ihm und seinen Mitagitatoren. | |
Auf der Straße vor der Wohnung der Jimmas wiederholt eine Ägypterin, was | |
sie ihm Fernsehen über die Syrer gehört hat: „Sie waren alle in Rabaa! Sie | |
waren es, die uns attackiert haben.“ Die Tuk-Tuk-Fahrer heißen Syrer nicht | |
mehr willkommen, sagt Jimma. „Jetzt reißen sie dir die Klamotten vom Leib.“ | |
Aber es sind nicht nur die Menschen auf der Straße, auch die Behörden | |
machen eine Kehrtwende. Die Regierung der Muslimbrüder stand der syrischen | |
Opposition nahe. Die Militärregierung wendet sich der syrischen Regierung | |
zu. Mursi hat die syrische Botschaft in Kairo geschlossen, das Militär hat | |
sie wieder aufgemacht. | |
Plötzlich brauchen Syrer Visa, Hunderte werden am Flughafen abgewiesen. | |
Syrische Eltern beklagen sich, dass Schulen es ihnen unmöglich machen, ihre | |
Kinder für das kommende Schuljahr zu registrieren. Jimma fürchtet, dass | |
seinen Kindern hier – wie in Syrien – Bildung versagt wird. | |
## Aufforderung zur Denunziation | |
Ein paar Tage nach dem Sturz Mursis klopft die Polizei an Jimmas Tür. Sie | |
brauchen seine Hilfe, sagen sie. Er solle ein paar Syrer aus der | |
Nachbarschaft identifizieren. Jimma geht mit. Die Polizei nimmt ihn und | |
seine Nachbarn fest. 143 Syrer wurden in den vergangen zwei Monaten laut | |
UNHCR festgenommen. Mehr als ein Drittel von ihnen wurde abgeschoben. Die | |
ägyptischen Behörden geben ihnen die Wahl zwischen Jordanien und der Türkei | |
– immerhin nicht zurück nach Syrien. | |
Ein großer Teil der Hilfsorganisation, die sich um Syrer gesorgt haben, | |
standen den Muslimbrüdern tatsächlich nahe oder wurden von ihnen | |
finanziert. Alle haben ihre Arbeit eingestellt. Von einem Tag auf den | |
anderen bekommen Syrer so gut wie keine Unterstützung mehr. Jimma sagt, es | |
sei ihm egal, wer in Ägypten an der Macht ist. „Wenn wir hätten | |
demonstrieren wollen, hätten wir das in Syrien gemacht.“ | |
Syrische Flüchtlinge wie die Jimmas sind kollaterale Opfer des Machtkampfs | |
in Ägypten. „Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich in Syrien geblieben“, | |
sagt er. | |
24 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Etter | |
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