# taz.de -- Sudanese über Flucht: „Das ist fast Selbstmord“ | |
> Emad Hassan sagt, er würde in jedes Land gehen, das Sicherheit biete. Er | |
> kennt das Risiko einer Flucht, hat aber nichts mehr zu verlieren. | |
Bild: Das Flüchtlingslager im tunesischen Choucha. | |
taz: Herr Hassan, Sie sitzen als Flüchtling seit dem Libyenkrieg in | |
Tunesien fest. Welche Perspektiven haben Sie? | |
Emad Hassan: Ich bin als Flüchtling vom UNHCR anerkannt, aber es gibt kein | |
Land, das uns aufnehmen will. Wir demonstrieren daher seit sechs Monaten | |
vor dem UN-Büro in Tunis. Wir wollen in ein Land, wo wir mit unseren | |
Familien leben können. | |
Nach Europa? | |
Nicht unbedingt. Das ist ein europäisches Vorurteil. Wenn es ein anderes | |
Land gäbe, auch in Afrika, wo wir in Sicherheit und Würde leben könnten, | |
würden wir morgen dorthin gehen. | |
Sie haben zwei Jahre mit vielen Tausend anderen Flüchtlingen im UN-Lager | |
Choucha in der tunesischen Wüste gelebt. Das ist mittlerweile geschlossen. | |
Was geschieht mit den Menschen? | |
Vielen wurde die Anerkennung als Flüchtling verwehrt, oder es gab keine | |
Resettlement-Plätze. Immer wieder waren einige so verzweifelt, dass sie auf | |
Boote gegangen sind. Ein Teil ist ertrunken, ein Teil hat es nach Europa | |
geschafft. Als die UN das Lager geschlossen haben, haben einige 1.500 Dinar | |
[etwa 670 Euro; d. Red.] als Eingliederungshilfe für Tunesien bekommen. | |
Doch hierher kann man seine Familie nicht nachholen. Es gibt für uns keine | |
Möglichkeit, unsere Existenz zu sichern. Man hängt im Nichts, es fühlt sich | |
an wie ein Gefängnis. Deshalb haben viele das Geld genommen, um damit eine | |
Überfahrt zu bezahlen. | |
Reicht das? | |
Vielleicht nicht ganz, aber es hilft ein gutes Stück weiter. | |
Warum gehen die Flüchtlinge nicht in ihr Land zurück? | |
Die Leute kommen aus Diktaturen oder Kriegsgebieten, Eritrea, Somalia, | |
Sudan. Dorthin kann man nicht zurück. Und in Libyen ist die Lage für | |
subsaharische Migranten extrem gefährlich. | |
Am Donnerstag hat sich vor Lampedusa eines der größten Unglücke mit | |
Flüchtlingsbooten ereignet. Was haben Sie gedacht, als Sie davon hörten? | |
Wir haben alle davon gehört, und es macht uns alle sehr betroffen. Man weiß | |
bei solchen Nachrichten immer nicht, ob nicht auch welche aus Choucha dabei | |
sind, Menschen, die wir kannten. | |
Dennoch entscheiden sich immer wieder Flüchtlinge, die Überfahrt zu wagen. | |
Weshalb? | |
Man kommt an einen Punkt, an dem man sich blockiert fühlt, es gibt keine | |
Zukunft, nichts, was man ein Leben nennen könnte, kein Vorwärts, kein | |
Zurück. Dann ist einem alles egal. Man weiß, dass man ein 80-zu-20-Risiko | |
hat zu sterben. Das ist fast wie Selbstmord, ja, das ist dann auch klar, | |
aber wenn man nichts mehr zu verlieren hat, ist es egal. Die Menschen sind | |
so verzweifelt, dass ihnen das Risiko nichts mehr ausmacht. Sie haben vor | |
gar nichts mehr Angst. Entweder geht es weiter, oder man stirbt eben. | |
4 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Jakob | |
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