| # taz.de -- BGH-Urteil zur Sicherheitsverwahrung: Sexualtäter erstreiten Entsc… | |
| > Vier Männer saßen jahrelang in Sicherungsverwahrung – zu Unrecht. Der BGH | |
| > spricht ihnen insgesamt 240.000 Euro Schadensersatz zu. | |
| Bild: Berühmter Knast: JVA Stuttgart-Stammheim. | |
| KARLSRUHE taz | Wer rechtswidrig in Sicherungsverwahrung saß, hat einen | |
| Anspruch auf Schadensersatz. Das entschied an diesem Donnerstag der | |
| Bundesgerichtshof (BGH) in vier sogenannten Pilotfällen. Die Kläger | |
| bekommen zwischen 49.000 und 73.000 Euro. Zahlen muss das Land | |
| Baden-Württemberg, nicht der Bund. Das Urteil ist bundesweit auf einige | |
| Dutzend ähnlicher Fälle übertragbar. | |
| Geklagt hatten vier Straftäter, die heute etwa zwischen 57 und 67 Jahre alt | |
| sind. Sie waren vor Jahrzehnten wegen Sexualdelikten zu langjährigen | |
| Freiheitsstrafen mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. | |
| Ihre Gefängnisstrafen zwischen fünf und 15 Jahren hatten sie allesamt | |
| verbüßt. Weil sie noch als gefährlich galten, mussten sie anschließend aber | |
| in der Sicherungsverwahrung bleiben. | |
| Zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung galt noch eine Obergrenze für die | |
| Sicherungsverwahrung von zehn Jahren. Diese Obergrenze wurde jedoch 1998 | |
| von der damaligen Kohl-Regierung aufgehoben – auch für bereits Verurteilte. | |
| Als Konsequenz mussten die vier Männer deutlich länger als zehn Jahre – | |
| nämlich 18 bis 22 Jahre – in der Sicherungsverwahrung bleiben. | |
| Inzwischen haben sowohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte | |
| (2009) als auch das Bundesverfassungsgericht (2011) entschieden, dass die | |
| rückwirkende Verlängerung der Sicherungsverwahrung durch die Kohl-Regierung | |
| rechtswidrig war. Alle vier Männer wurden deshalb inzwischen entlassen. | |
| Auf ihre Klage hin sprachen ihnen zunächst das Landgericht Karlsruhe und | |
| später auch das Oberlandesgericht Karlsruhe 500 Euro für jeden Monat | |
| rechtswidrig erlittene Sicherungsverwahrung zu. Das Gericht orientierte | |
| sich dabei an Summen, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in | |
| ähnlichen Fällen zugesprochen hat. Nur wegen der extrem langen Zeit der | |
| illegalen Verwahrung kommen im Ergebnis so große Summen zusammen. | |
| ## Beschluss des Bundestages | |
| Der BGH bestätigte nun den Anspruch der Männer. Umstritten war in Karlsruhe | |
| nur noch, wer für die rechtswidrige Verwahrung haften soll. Die Straftäter | |
| hatten gegen das Land geklagt, weil Landesrichter die Sicherungsverwahrung | |
| angeordnet hatten und sie im Freiburger Gefängnis, einer Landeseinrichtung, | |
| vollstreckt worden war. Der Anwalt des Landes, Wendt Nassall, verwies | |
| dagegen auf den Bund: „Der Bundestag hat die nachträgliche Verlängerung der | |
| Sicherungsverwahrung beschlossen, die Landesrichter hatten keine | |
| Möglichkeit, hiervon abzuweichen.“ | |
| Doch der BGH entschied nun ebenfalls, dass das Land den Schadensersatz | |
| zahlen muss. „Es kommt darauf an, wer unmittelbar in die Freiheitsrechte | |
| eingegriffen hat“, sagte der Vorsitzende Richter Wolfgang Ball. Das Land | |
| wird vermutlich versuchen, das Geld vom Bund zurückholen. (Az.: III ZR | |
| 405/12 u. a.) | |
| Ebenfalls am Mittwoch sprach der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte | |
| einem Sexualstraftäter aus Berlin 5.000 Euro Entschädigung zu. Der Mann | |
| sitzt seit 2007 in Sicherungsverwahrung. Die Überprüfung nach zwei Jahren | |
| erfolgte allerdings rund einen Monat zu spät und vor allem ohne erneute | |
| psychiatrische Prüfung seiner Gefährlichkeit. Das letzte externe Gutachten | |
| stammte von 1997. Der Mann wird heute noch verwahrt. (Az.: 17167/11) | |
| 19 Sep 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Rath | |
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