# taz.de -- Neues Urteil zur Sicherungsverwahrung: Wegsperren reicht nicht | |
> Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erhöht Anforderungen an | |
> Behandlung „psychisch gestörter“ Sicherungsverwahrter. | |
Bild: Straßburger Gerichtshof entscheidet: Die Sicherheitsverwahrung von „ps… | |
BERLIN taz | Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat | |
Deutschland erneut im Zusammenhang mit der Sicherungsverwahrung verurteilt. | |
Dabei erhöhte der Straßburger Gerichtshof die Anforderung an die | |
Unterbringung „psychisch gestörter“ Sicherungsverwahrter. | |
Geklagt hatte der heute 66-jährige Christian G., der in Diez | |
(Rheinland-Pfalz) einsitzt. Er war 1997 wegen mehrfachen sexuellen | |
Missbrauchs von Kindern zu einer vierjährigen Haftstrafe mit anschließender | |
Sicherungsverwahrung verurteilt worden. | |
Obwohl Gutachter ihm eine dissoziale Persönlichkeit und eine pädophile | |
Störung attestierten, galt er als voll schuldfähig. Nach Verbüßung seiner | |
Strafe saß er ab 2001 in Sicherungsverwahrung, da er immer noch als | |
gefährlich galt. | |
Zum Zeitpunkt von G.s Verurteilung 1997 war die Sicherungsverwahrung noch | |
auf maximal zehn Jahre befristet. Der Bundestag hatte diese Grenze zwar | |
1998 aufgehoben, doch der EGMR hatte dies 2009 beanstandet. Deshalb | |
verlangte G., im Jahr 2011, also nach zehn Jahren, entlassen zu werden. | |
Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz lehnte dies jedoch ab. Denn | |
zwischenzeitlich hatten Bundestag und Bundesverfassungsgericht Regeln | |
aufgestellt, unter welchen Bedingungen man solche Entlassungen verhindern | |
kann. | |
## Patient oder Gefangener? | |
Erforderlich ist, dass Gutachter den Sicherungsverwahrten als zugleich | |
„hochgradig gefährlich“ und „psychisch gestört“ einstufen. Die „psy… | |
Störung“ ist deshalb wichtig, weil die Europäische Menschenrechtskonvention | |
hierfür einen eigenständigen Grund zur Freiheitsentziehung vorsieht. Auch | |
G. galt fortan als „psychisch gestört“ und blieb weiter verwahrt. | |
Der Straßburger Gerichtshof beanstandete jetzt aber den Koblenzer | |
Beschluss. Zwar hätte G. nicht zwingend entlassen werden müssen. Wenn er | |
aber als „Patient“ festgehalten werde, dann könne er nicht einfach in der | |
Sicherungsverwahrung bleiben. Er hätte zum Beispiel in ein psychiatrisches | |
Krankenhaus überwiesen werden müssen. G. bekommt deshalb 3.000 Euro | |
Entschädigung. | |
Seit Juni 2013 muss die Sicherungsverwahrung in Deutschland | |
therapieorientiert und mit deutlichen Unterschieden zur Strafhaft | |
ausgestaltet sein. Das hat auf Anforderung des Bundesverfassungsgerichts | |
inzwischen der Bundestag beschlossen | |
In Diez wurde dafür sogar ein neues Gebäude erstellt. Der Gerichtshof | |
entschied diesmal noch nicht, ob er die aktuelle Unterbringung | |
„therapeutisch“ genug findet. | |
Dauerhaft wichtig ist an der Straßburger Entscheidung vor allem, dass der | |
Begriff der „psychischen Störung“ klarer konturiert wurde. Nicht | |
ausreichend sei eine bloße „dissoziale Persönlichkeit“. Dagegen hatte dies | |
dem Bundesverfassungsgericht bisher genügt, weshalb in Deutschland fast | |
jedem Sicherungsverwahrten, wenn er als hochgefährlich galt, zugleich auch | |
eine „psychische Störung“ attestiert wurde. | |
28 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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