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# taz.de -- Urteil Verfassungsgericht: Der Trick mit dem Wegsperren
> Raus aus dem Knast, rein in die Therapie-Unterbringung. Karlsruhe billigt
> ein trickreiches Bundesgesetz. Ein Betroffener will das nicht
> akzeptieren.
Bild: Gefängnis für Sexual- und Gewaltverbrecher in Straubing
FRANKFURT/M. taz | Das Bundesverfassungsgericht hat das
Therapie-Unterbringungsgesetz (ThUG) für gefährliche Straftäter akzeptiert.
Das umstrittene Gesetz muss künftig allerdings strenger ausgelegt werden.
Sein ohnehin schmaler Anwendungsbereich wird damit weiter eingeschränkt.
Mit dem ThUG reagierte der Bundestag Ende 2010 auf Urteile des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die in Deutschland für große Unruhe
sorgten. Damals mussten Dutzende Straftäter aus der Verwahrung entlassen
werden – obwohl sie noch als gefährlich galten –, weil der EGMR die
rückwirkende Verlängerung und die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung beanstandete, Viele der entlassenen
Ex-Sicherungsverwahrten wurden rund um die Uhr von der Polizei beobachtet.
Das ThUG ermöglichte es, frisch entlassene Verwahrte gleich wieder
wegzusperren, wenn sie als „psychisch gestört“ eingestuft werden konnten.
Die Annahme einer „psychischen Störung“ war wichtig, weil dies nach der
Europäischen Menschenrechtskonvention einer der wenigen Gründe ist, um
einen Menschen auch ohne strafrechtliche Verurteilung einzusperren.
Gegen das Gesetz hatte der 64-jährige Walter H. geklagt, der im September
2011 in Saarbrücken in die Therapie-Unterbringung gesteckt worden war. Er
hatte seit 1969 immer wieder Frauen angegriffen, vergewaltigt und einmal
sogar ein 16-jähriges Mädchen getötet. Im Mai 2010 hatte ihn der
Bundesgerichtshof aus der nachträglich angeordneten Sicherungsverwahrung
entlassen, er hatte aber immer noch schlechte Prognosen.
Das Bundesverfassungsgericht hat H.s Klage nun aber im wesentlichen
abgelehnt und das ThUG im Kern als verfassungskonform bestätigt. So habe
der Bund die Gesetzgebungskompetenz gehabt, der Begriff der „psychischen
Störung“ sei bestimmt genug, außerdem sei es kein unzulässiges
„Einzelfallgesetz“. Nur an einem Punkt besserten die Verfassungsrichter das
Gesetz mit fünf zu drei Richterstimmen nach. Künftig muss ein Gutachter
eine „hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- und Sexualstraftaten“
prognostizieren. Bisher genügte die Gefahr „erheblicher“ Straftaten.
## Zur Tatzeit schuldfähig
Für Gefangene wie Gustl Mollath hat das ThUG keine Bedeutung. Mollath war
von vornherein als psychisch kranker Straftäter in die Psychiatrie
eingewiesen worden. Das ThUG zielt dagegen auf Täter, die bei Tatzeit als
schuldfähig galten. Sie landeten deshalb nicht in der Psychiatrie, sondern
im Gefängnis und nach Verbüßung der Strafe wegen fortdauernder
Gefährlichkeit in der Sicherungsverwahrung. Da fast alle
Sicherungsverwahrten auch psychische Probleme haben, galt das ThuG als
geeigneter juristischer Kniff, die Rechtsprechung des Straßburger
Gerichtshofs zu unterlaufen.
Entgegen der ursprünglichen Aufregung war das praktische Bedürfnis für das
ThUG dann aber doch recht gering. In Nordrhein-Westfalen kamen 67
gefährliche Straftäter für die Anwendung des ThUG in Frage. Das Land schuf
18 Plätze in einer Einrichtung in Oberhausen. Tatsächlich saß dort aber nur
ein über älterer Mann ein. Ende 2012 wurde die Einrichtung geschlossen. In
Baden-Württemberg wurden ThuG-Anträge abgelehnt, weil das Land gar keine
entsprechende Einrichtung schuf. Bundesweit soll es nach Medienangaben
immerhin aber rund 15 ThUG-Betroffene geben, davon elf in Bayern.
Walter H. hatte angekündigt, dass er eine negative Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts nicht akzeptieren werde und dagegen den EGMR in
Straßburg anrufen will. Er macht sich Hoffnungen, weil er selbst innerhalb
der kleinen Gruppe ein Sonderfall ist. Da seine Einweisung in die
Sicherungsverwahrung zum Zeitpunkt der Entlassung noch nicht rechtskräftig
war, passte das ThUG zunächst nicht richtig auf ihn, es wurde deshalb Ende
2012 vom Bundestag extra für seinen Fall nachgebessert.
9 Aug 2013
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
psychische Gesundheit
Bundesverfassungsgericht
Sicherheitsverwahrung
BGH
Gustl Mollath
Mollath
Gustl Mollath
Sicherungsverwahrung
Strafvollzug
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