Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Nach Aus für schwarz-grüne Koalitionen: Puh, Glück gehabt
> Die Grünen nehmen das Scheitern der schwarz-grünen Sondierungen
> mehrheitlich mit Erleichterung auf. Doch eigentlich schielen alle auf
> 2017.
Bild: Frisch auf zum fröhlichen Sondieren! Die Stimmung zwischen den Verhandle…
BERLIN taz | Steffi Lemke, die scheidende Bundesgeschäftsführerin, steht
nun wirklich nicht im Verdacht, ein Schwarz-Grün-Fan zu sein. Lemke
argumentiert seit Jahren präzise und fundiert, warum das Glück der Grünen
in der Nähe der Sozialdemokratie liegt. In ihrem Büro in der
Geschäftsstelle stapeln sich Statistiken, die alle die tiefe Abneigung der
Grünen-Wähler gegen ein Bündnis mit den Schwarzen belegen. Ebenjener Steffi
Lemke obliegt es am Mittwochvormittag, eine Bilanz des Scheiterns zu
ziehen.
Und das hört sich an, als hätten die Grünen über Nacht ein Lemke-Double mit
neuem Sprachchip eingestellt. „Sehr sachlich, sehr konstruktiv und sehr
detailliert“ habe man über Inhalte gesprochen, fasst sie das zweite
Sondierungsgespräch der Unionsdelegation mit den Grünen zusammen. „Auf
beiden Seiten gab es ein ernsthaftes Ringen um Gemeinsamkeiten.“ Diese
Atmosphäre sei nicht zu erwarten gewesen, „da hat sich politisch relevant
etwas verändert“.
Nanu? Eigentlich geht es bei Lemkes Pressekonferenz doch darum, einen
Rückzug mit Ansage zu kommentieren. Sechs Stunden tagten die Verhandler im
Saal „Berlin“ der Parlamentarischen Gesellschaft, eineinhalb Stunden
besprach sich das achtköpfige Sondierungsteam der Grünen danach intern.
Dann, am sehr frühen Mittwochmorgen, war klar: Die Übereinstimmungen
reichen den Grünen nicht, um ihrem Parteitag am Wochenende zu empfehlen,
Verhandlungen aufzunehmen.
Ab in die Opposition also. Endlich. Bereits vor dem Gespräch hatten sich
führende Grüne in Sachen Regierungsbeteiligung mehr als skeptisch gegeben.
Zu verunsichert ist die auf gut 8 Prozent geschrumpfte Partei, zu
übermächtig ist Angela Merkels CDU, zu groß wäre das Risiko der
Selbstzerstörung. Dennoch, das zweite Gespräch überraschte selbst
Zweiflerinnen wie Lemke.
## „Ernsthaftes Ringen“
Von beiden Seiten sickerten Details durch, die in der Tat ein „ernsthaftes
Ringen“ belegen. Horst Seehofer, CSU-Chef im sauberen Bayern, eröffnete die
Runde mit veritablen Zugeständnissen. Ein Nein zur doppelten
Staatsbürgerschaft sei jungen Menschen heute schwer zu vermitteln, soll er
gegrummelt haben. So moderat ging es weiter. Residenzpflicht für
Asylbewerber? Vielleicht nicht mehr zeitgemäß. Arbeitsverbot? Auch da könne
man sich bewegen, signalisierten CDU und CSU.
Auch bei der Abneigung gegen genveränderte Lebensmittel und gegen die
industrielle Landwirtschaft entdeckten überraschte Spitzengrüne
Gemeinsamkeiten mit der CSU, die sich um Kleinbauern in Bayern sorgt. Die
Kanzlerin witzelte persönlich über „erstaunliche Koalitionen hier im Raum“
– etwa als Lemke und CSU-Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner ähnlich
argumentierten.
Doch das war es dann auch mit den Gemeinsamkeiten. Bei der Energiewende,
einem für die Grünen essenziell wichtigen Projekt, wurden die Unterschiede
größer, je tiefer die Verhandler in die Materie einstiegen – Anton
Hofreiter, der neue Grünen-Fraktionschef, hatte vor dem Gespräch mehrfach
darauf hingewiesen, dass ihm luftige Überschriften nicht reichten. Die
Grünen, die zu detailverliebten Verhandlungen neigen, deklinierten mit der
Union gnadenlos auch die Spiegelstriche durch. Ob die Grundlast der
Stromversorgung durch erneuerbare Energien getragen werden soll oder durch
Kohle, welcher Wirkungsgrad nötig sei, wie es mit Kapazitätsmärkten
aussieht.
Am Ende, da war sich das Sondierungsteam einig, bewege sich die Union bei
der ökologischen Modernisierung der Gesellschaft kaum oder gar nicht.
Steffi Lemke fasste das so zusammen: „Der Systemkonflikt zwischen
erneuerbaren und fossilen Energien konnte nicht aufgelöst werden.“ Auch bei
Themen wie der Bürgerversicherung, dem Mindestlohn oder der Beschränkung
von Rüstungsexporten habe es „relevante Dissense“ gegeben.
## Eine Grundlage für die Zukunft
Kein Schwarz-Grün dieses Mal also, aber eine Grundlage für die Zukunft. Bei
den Grünen wurde das Scheitern mit Erleichterung aufgenommen, aber auch mit
leisem Bedauern – je nach Standpunkt des Betrachters. „Es mag eine
atmosphärische Annäherung gegeben haben“, sagte NRW-Landeschef Sven
Lehmann. „Koalitionen fußen aber auf verlässlichen Inhalten. Es war also
richtig, auszusteigen.“
Sein Amtskollege aus Bayern, Dieter Janecek, schaut freundlicher auf
Bündnisse mit der Union. „Schwarz-Grün hätte eine Regierung sein können,
die Ökonomie und Ökologie konsequent in Einklang bringt“, sagte er. Es sei
bedauerlich, dass die Union „die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat“.
Die Grünen-Führung war erkennbar bemüht, die Gespräche als positives Signal
für die Zukunft zu deuten. „Die Tür ist nicht zugenagelt“, konstatierte
Grünen-Chef Cem Özdemir. Er meint natürlich das Jahr 2017, das der nächsten
Wahl. Der Parteitag am Wochenende wird sich ausführlich mit der Tatsache
befassen, dass eine rot-grüne Mehrheit im neuen Parteiensystem vollends
unwahrscheinlich geworden zu sein scheint.
Man kann Özdemirs Äußerung auch als Angebot für einen unwahrscheinlichen
Fall lesen. Falls sich die SPD-Mitglieder nach wochenlangen Verhandlungen
wider Erwarten gegen eine Große Koalition entscheiden sollten, stünden die
Grünen erneut vor der Frage, ob sie mit Merkel regieren wollen.
16 Oct 2013
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Grüne
CDU/CSU
Sondierungsgespräche
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Dieter Janecek
Jürgen Trittin
Steuererhöhung
Landespolitik
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025
Sondierung
Hessen-Wahl
Baden-Württemberg
## ARTIKEL ZUM THEMA
Grünen-Chef Özdemir: „Wir sind im besten Alter“
Auf dem Parteitag der Grünen spricht Cem Özdemir über die herbe
Wahlniederlage und seine Mitverantwortung. Alles anders machen, solle man
aber nicht.
Streitgespräch um Grünen-Zukunft: „Wahrgenommen als Spaßbremsen“
Bei den Grünen tobt ein Richtungsstreit zwischen Realos und Linken. Ein
Streitgespräch zwischen Vertretern beider Flügel: den Landeschefs in Bayern
und Berlin.
Nach der schwarz-grünen Sondierung: Wenn die Merkel nochmal klingelt
Falls die schwarz-roten Koalitionsgespräche scheitern: Was passiert dann?
Die Grünen-Spitze will die Tür für die Union offen halten. Doch der Sound
in der Partei ist dissonant.
SPD-Finanzpolitiker über Sondierung: „Es gibt Spuren von Realismus“
Der SPD-Finanzpolitiker Carsten Sieling sagt, dass die Union für eine
schwarz-rote Koalition ihr Wahlversprechen brechen muss. Steuererhöhungen
seien notwendig.
Kommentar zu Schwarz-Grün: Das Warm-up für 2016
Schwarz-Grün nach der nächsten Abgeordnetenhauswahl? Für CDU-General Wegner
und die grüne Fraktionschefin Pop ist das eine tolle Aussicht.
Kommentar Schwarz-grüne Perspektive: Eine große Inszenierung
Schwarz-grün ist geplatzt, die Stimmung zwischen den Parteien ist dennoch
prächtig. Für das Jahr 2017 bedeutet dieser angeblich neue Sound nichts.
Sondierung Union und Grüne: Grüne wollen nicht mit Mutti
Nach der zweiten Sondierungsrunde lehnen die Grünen eine Regierungsbildung
mit CDU und CSU ab. Die Union hält die Gegensätze der Parteien nicht für
unüberwindbar.
Schwarz-grüne Sondierung in Hessen: Keine Gräben, keine Hürden
In Wiesbaden kommen sich CDU und Grüne wieder ein paar Schritte näher.
Beide Seiten loben die Gespräche. Ein drittes Treffen ist geplant.
Kommentar Winfried Kretschmann: Der Seehofer der Grünen
Winfried Kretschmann will sich mehr in die Bundespolitik einmischen,
notfalls auf Kosten der eigenen Partei. So heizt er die Stimmung bei den
Grünen an.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.