# taz.de -- Parlamentswahl in Tschechien: Der Berlusconi von Prag | |
> Die Protestpartei ANO des Milliardärs Andrej Babis mischt die am Freitag | |
> beginnenden Parlamentswahlen auf. Kritiker fürchten die Macht des | |
> Unternehmers. | |
Bild: Probieren Sie doch mal: Tschechiens zweitreichster Mann im Wahlkampf | |
PRAG taz | Federnden Schrittes geht Andrej Babis auf die Menschen zu, die | |
die Prager U-Bahn-Station Muzeum an diesem verregneten Mittwochmorgen | |
ausspuckt. Sie liegt direkt unter der Statue des Heiligen Wenzel, des | |
tschechischen Nationalheiligen, am Wenzelsplatz. „Nehmen Sie einen Krapfen, | |
junge Frau“, ruft Babis und drückt einer Passantin ein weißes Papiertütchen | |
in die Hand. ANO steht darauf, in großen, dunkelblauen Druckbuchstaben. | |
Im Tschechischen steht ANO für „Aktion unzufriedener Bürger“. Es bedeutet | |
aber auch schlicht „Ja“. Genau das will Andrej Babis mit Hilfe seiner | |
Krapfen erreichen: Das Ja der unzufriedenen Bürger bei den vorgezogenen | |
Parlamentswahlen, die am heutigen Freitag und morgen in Tschechien | |
stattfinden. | |
„Ich verfolge jetzt eine Idee, die schon länger in mir reift. Es tut mir | |
leid, dass sich dieses Land so perspektivlos entwickelt“, so begründet | |
Babis sein politisches Engagement. Als Agrar-Chemie- und | |
Lebensmittelunternehmer hat es Babis weit gebracht. Der gebürtige Slowake, | |
Jahrgang 1954, ist mit einem geschätzten Privatvermögen von zwei Milliarden | |
Dollar Tschechiens zweitreichster Mann. | |
Jetzt gibt er den Milliardär zum Anfassen. Er ist durch Böhmen und Mähren | |
gereist, hat auf Marktplätzen Hände geschüttelt und in Kulturzentren mit | |
Wählern diskutiert. Und Tausende Krapfen verteilt. Immer mit | |
Aprikosenfüllung. Kaum hat Babis einem Passanten ein Papiertütchen mit dem | |
süßen Inhalt in die Hand gedrückt, steht ein Mitarbeiter bereit, der ein | |
Flugblatt der Bewegung nachreicht. | |
## Der Chef ist das Programm | |
Das Programm der Bewegung ANO ist eigentlich Andrej Babis selbst. Seine | |
Botschaft: Schaut mich an, ich habe es weit gebracht, bin genauso | |
unzufrieden wie ihr und werde etwas tun. Im ganzen Land lächelt ein durch | |
Photoshop verschönerter Babis von Wahlplakaten herab aufs Volk. Die Hände | |
lässig in den Hosentaschen, verkündet er da sein Ziel: „Damit unsere Kinder | |
wieder hier leben wollen.“ | |
Seinen Anhängern gilt er als Messias der tschechischen Politik, gekommen, | |
um die Bürger zu erlösen von der Ohnmacht gegenüber allgegenwärtiger | |
Korruption und Klüngelei. Er habe sein Imperium, die Agrofert Holding, ohne | |
Bakschisch aufgebaut, rühmt sich Babis. Er gebe fast 30.000 Leuten Arbeit. | |
Wie mit ihnen, will er auch mit dem Staat verfahren. | |
Babis sagt, er wolle mehr Experten statt Bürokraten einsetzen: „Das Problem | |
hier ist ja nicht nur die Korruption, sondern auch der Mangel an Kompetenz. | |
Hier wird für so viele überflüssige Dinge Geld ausgegeben. Staatliches | |
Eigentum wird unter seinem Wert verkauft, Staatsdiener schaffen sich auf | |
Kosten des Steuerzahlers überteuerte Möbel an.“ | |
Beispiele für die Inkompetenz des Staatsapparats liegen buchstäblich auf | |
der Straße, so Babis: „Das Autobahnnetz ist klein, das Eisenbahnnetz zu | |
veraltet für Schnellzüge. Und Prag ist eine der wenigen Metropolen, in der | |
es keine öffentliche Direktverbindung vom Flughafen in die Stadt gibt.“ | |
## Platz zwei für die Neuen? | |
„Babis“, sagt ein Passant, der an der U-Bahn-Haltestelle Muzeum gerade | |
umsteigt, „der hat es wenigstens nicht nötig zu klauen, der hat schon | |
Geld.“ Wie fast alle hält er ein weißes Tütchen in der Hand. Ob er die ANO | |
wählen wird, will er nicht sagen. Umfragen sprechen dafür, dass die ANO die | |
Front aus Sozialdemokraten und Kommunisten aufbrechen wird, die Umfragen | |
seit Monaten heraufbeschwören. | |
Aktuell liegt ANO mit 16 Prozent hinter den Sozialdemokraten, die mit 23 | |
Prozent am stärksten abschneiden. Und vor den Kommunisten, die bei 14 | |
Prozent stehen. Er wolle lieber in die Opposition, verkündet Babis. Aber | |
wenn es schon die Regierung sein muss, ließ er verlauten, würde er gerne | |
Finanzminister sein. | |
So abwegig ist das nicht, meint der Politologe Roman Joch: „Als | |
Koalitionspartner wird die ANO jeder Partei passen. Sie gibt sich als | |
Partei der Mitte und spricht die Wähler an, die mit den etablierten | |
Parteien unzufrieden sind.“ Besonders attraktiv aber sei die ANO für die | |
Sozialdemokraten. „Die können mithilfe von ANO vielleicht eine | |
Mehrheitsregierung bilden und müssen sich dann nicht von der Duldung der | |
Kommunisten abhängig machen“, urteilt Joch. | |
Babis lacht. Auch wenn er noch nicht ganz in der Politik angekommen sei, | |
sagt er, so wisse er sehr wohl, dass Koalitionen erst nach der Wahl | |
besprochen werden. In der Rolle der Schlüsselfigur gefällt er sich gut. | |
## Einträgliche Freundschaften | |
Doch das Saubermann-Image des Unternehmers bekommt Risse. Denn so | |
transparent, wie er behauptet, ist sein Weg vom Außenhandelsdelegaten der | |
kommunistischen Tschechoslowakei zum Superreichen nicht. | |
Als Sohn eines slowakischen Diplomaten verbrachte Babis einen großen Teil | |
seiner Kindheit und Jugend im Ausland. So ging er zum Beispiel im | |
schweizerischen Genf in die Schule. Dort muss er feste Freundschaften | |
geknüpft haben, die über Grenzen und Jahre hinweg hielten. | |
Zumindest behauptet Babis, dass es alte Freunde aus Schweizer Zeiten waren, | |
die mit einer obskuren Briefkastenfirma namens Ostfinanz 1995 bei Agrofert | |
einstiegen. Agrofert war damals die tschechische Tochtergesellschaft der | |
slowakischen staatlichen Chemiefirma Petrimex. Für sie arbeitete Babis seit | |
den 80er Jahren. | |
„Woher das Geld in Wirklichkeit stammte, das wissen nur Gott und Andrej | |
Babis“, sagt Pavel Safr. Der Chefredakteur des Wochenmagazins Reflex hat | |
die tschechische Medienszene seit den 90er Jahren geprägt wie kaum ein | |
anderer. | |
## Wie errang Babis sein Vermögen? | |
Niemand kann ausschließen, dass das Geld von der Muttergesellschaft | |
Petrimex selbst stammt, abgezapft über dunkle Kanäle. „Tunnelieren“ nennen | |
die Tschechen die Praxis: Während der Privatisierung der frühen 90er Jahre | |
verschoben Manager staatlicher Firmen Geld auf ihre Privatkonten. | |
Jedenfalls übernahm Babis kurz nach der angeblichen Übernahme eines | |
Schweizer Briefkastens die Agrofert. | |
Doch der Verdacht, nicht ganz koscher zu seiner Firma gekommen zu sein, | |
prallt am Kandidaten ab. „Andrej Babis ist nicht mehr aufzuhalten“, | |
fürchtet Reflex-Chefredakteur Safr. Ähnlich ist es bei der Frage nach | |
Babis’ Tätigkeit für die tschechoslowakische Staatssicherheit StB. Die | |
slowakische Tageszeitung Sme hat Akten gefunden, in denen Babis als | |
StB-Agent „Bures“ aufgeführt ist. Wissentlich soll er in den 1980ern mit | |
der kommunistischen Geheimpolizei zusammengearbeitet haben. | |
Dagegen wehrt sich Babis: „Ich war im Außenhandel beschäftigt und musste, | |
wie jeder, Auslandsreisen melden. Aber ich hatte nie mit denen zu tun, die | |
andere bespitzelten oder Existenzen zerstörten.“ In seiner Heimatstadt | |
Bratislava ist er jetzt vor Gericht gezogen, um seinen Namen reinzuwaschen. | |
„In Zukunft wird in unseren Medien kaum noch über solche Fälle berichtet | |
werden“, meint Pavel Safr und zuckt resigniert die Schultern. Der | |
Journalist sieht in Babis vor allem eine Gefahr für die Meinungsfreiheit im | |
Land. Denn der Kandidat scheint mehr zu seinem Glück zu brauchen als eine | |
Politkarriere und die 200 Chemie-, Agrar- und Lebensmittelfirmen, die sich | |
in der Agrofert-Holding vereinigen. | |
## In drei Jahren zum Medienmogul | |
Seine Zukunft sieht Babis in den Medien, wie er dem tschechischen Webportal | |
motejlek.com mitteilte: „In drei Jahren will ich das größte Medienhaus des | |
Landes haben.“ Im Juni dieses Jahres kaufte Babis von der | |
Rheinisch-Bergischen Verlagsgesellschaft das Medienhaus Mafra. Und damit | |
die beiden einflussreichen Tageszeitungen Mladá fronte Dnes und Lidové | |
noviny, dazu Radiosender, einen Fernsehsender, mehrere Webportale und einen | |
Mobilfunkanbieter. Inzwischen wird gemunkelt, dass Babis ein Auge auf den | |
größten Privatsender, TV Nova, geworfen hat. | |
Auch die Ringier Axel Springer Media AG, die Safrs Reflex herausgibt, hat | |
das Interesse Babis’ geweckt. „Ich habe ihm klar gesagt, dass ich meine | |
Stelle bei Ringier kündigen würde, sollte er den Verlag übernehmen“, sagt | |
Safr bestimmt. Als Vollblutjournalist könne er nicht für jemanden arbeiten, | |
der nach politischer Macht strebe. „Unsere Aufgabe ist es, solche | |
Machtmenschen zu kontrollieren, nicht in ihrem Sold zu stehen.“ | |
Dieser nimmt die Ansage persönlich. „Pavel Safr ist ein Psychopath“, | |
erklärte Babis wütend im Fernsehen. Entschuldigen werde er sich dafür | |
nicht: „Und wenn ich mich bis zu meinem Lebensende mit Safr vor Gericht | |
streiten werde.“ | |
Safr seufzt resigniert. Wenn Babis die Medienszene beherrschen wird, | |
„werden viele Geschichten nicht veröffentlicht werden. Ich werde dann wohl | |
in den Untergrund im Internet müssen. Oder nach Deutschland auswandern.“ | |
Doch so einfach entkommt man Andrej Babis nicht. Auch in Deutschland backt | |
Babis seine Brötchen. Oder lässt sie backen. Von der Firma Lieken zum | |
Beispiel, mit der er vor Kurzem seine Agrofert Deutschland auf sechs | |
Unternehmen erweiterte, mit einem Jahresumsatz von 1,8 Milliarden Euro. | |
25 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Alexandra Mostyn | |
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