# taz.de -- Grünen-Chefin Peter über ihr neues Amt: „Unser Programm ist nic… | |
> Nach dem Wahlfiasko der Grünen will Parteichefin Simone Peter „schnell | |
> wieder angreifen“ – und sich zur Linkspartei öffnen. Einen radikalen | |
> Kurswechsel will sie nicht. | |
Bild: Sie will keine „selbstquälerische Vergangenheitsbewältigung“: Grün… | |
taz: Frau Peter, muss man sich Ihren Job wie den einer Dompteurin | |
vorstellen? | |
Simone Peter: Nein, das trifft es nicht. Eine Grünen-Chefin ist keine | |
Dompteurin. Ich will ohne Kommandoton auskommen, aufs Miteinander setzen | |
und den Teamgedanken leben. | |
Sind Sie dann eher so etwas wie eine Therapeutin? | |
Das ist auch eine schiefe Metapher. Therapien dauern sehr lange. Aber die | |
Grünen dürfen sich keine lange Trauerphase gönnen, wir müssen schnell | |
wieder handeln und angreifen können. | |
Ist der Vergleich schief? Die Partei wirkt, als hätten sich Selbstzweifel | |
tief eingefressen. | |
Sicher, das Wahlergebnis war für uns ein Schock. Wir haben die Ursachen | |
diskutiert, aber sicher noch nicht alle nötigen Schlüsse gezogen. Aber ich | |
bin nicht der Typ für selbstquälerische Vergangenheitsbewältigung. Ich | |
konzentriere mich lieber auf das, was ansteht. | |
Wovor hatten Sie Angst, als Sie Parteichefin wurden? | |
Wenn ich Angst gehabt hätte, dann hätte ich es nicht gemacht. | |
Was qualifiziert Sie für das Amt? | |
Wenn ich die vielen Rückmeldungen auf meine Kandidatur als Maßstab nehme: | |
Viele glauben, dass ich bei den grünen Kernthemen Klimaschutz und | |
Energiewende Kompetenz besitze, dass ich wegen des Ministeramtes | |
Führungserfahrung habe und ein integrativer und ausgleichender Charakter | |
bin. Nicht unwichtig ist wohl auch, dass ich Erfahrungen auf Länderebene | |
gesammelt habe. Die Ländersicht muss sich bei den Grünen stärker im Bund | |
wiederfinden. | |
Was hat Sie bisher am meisten überrascht? | |
Das Presseecho nach meiner Antrittsrede und meiner Wahl auf dem Parteitag | |
im Oktober war sehr gemischt. | |
Vorsichtig formuliert. | |
Es ist schon gewöhnungsbedürftig, wenn die eigene Person plötzlich so im | |
Fokus einer breiten Medienöffentlichkeit steht, die jeden Schritt | |
beobachtet und bewertet. Der Bund und das überschaubare Saarland, das ist | |
ein Unterschied. Das hatte ich aber auch nicht anders erwartet. | |
Wann haben Sie entschieden, sich zur Wahl zu stellen? | |
Sehr schnell. Ich hatte schon länger mit dem Gedanken gespielt anzutreten, | |
falls sich Claudia Roth zurückzieht. Richtig konkret wurde es, als die | |
Telefone nach dem Wahlabend am 22. September nicht mehr stillstanden. Ich | |
habe drei Tage überlegt, mich mit Parteifreunden beraten. | |
Gab es einen Familienrat? | |
Gab es. Mein Mann und ich sind es gewohnt, das Familienleben gut zu | |
organisieren. In meiner Zeit als Landesministerin und Abgeordnete in | |
Saarbrücken gab es auch keine großen Freiräume. Jetzt pendeln wir erst mal. | |
Sie stammen aus einer durch und durch sozialdemokratischen Familie. Ihre | |
Mutter war Arbeitsministerin im Kabinett von Oskar Lafontaine … | |
… und stellvertretende Ministerpräsidentin. | |
Das heißt, bei Ihnen zu Hause wurde früher ständig über Politik geredet? | |
Ja, das war so. Das ging schon am Frühstückstisch los. Auch mein Vater war | |
politisch aktiv, im Kommunalen. Meine beiden Brüder sind acht und zehn | |
Jahre älter als ich, die engagierten sich bei den Jusos. All das prägt und | |
reißt mit. | |
Die kleine Schwester wurde mal zur Demo mitgenommen? | |
Zum Beispiel. Meine Brüder haben in den 80ern gegen das Atomkraftwerk | |
Cattenom demonstriert, das direkt an der deutsch-französischen Grenze | |
liegt, oder gegen den Nato-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten. Da fuhr ich | |
gerne mit. | |
War es ein rebellischer Akt, dass Sie bei den Grünen eingetreten sind? | |
Überhaupt nicht. Meine Eltern haben mit uns sehr offen diskutiert. Es | |
herrschte keine Doktrin, ständig „Glückauf, der Steiger kommt“ zu singen. | |
Ich bin durch mein Interesse für ökologische Themen zu den Grünen gekommen. | |
Wegen dieses Interesses habe ich damals auch mein Studienfach gewählt – die | |
Biologie. | |
Sind Ihre Eltern stolz auf Sie? | |
(lacht) Stolz wie Oskar. | |
Was ist das Wichtigste, was Sie bei den Grünen ändern wollen? | |
Besonders wichtig war mir, dass wir auf dem Parteitag im Oktober | |
festgestellt haben: Die Grünen brauchen keinen radikalen Kurswechsel. Es | |
war nicht alles schlecht, sondern das allermeiste war ziemlich gut. | |
Im Ernst? Weiter so trotz 8,4 Prozent? | |
Nein. Die Grünen müssen ihre Grundwerte – Ökologie, Gerechtigkeit, | |
Selbstbestimmung, offene Gesellschaft – wieder stärker in den Vordergrund | |
rücken. Die sind im Wahlkampf angesichts doch sehr mathematischer Debatten | |
zu kurz gekommen – siehe Steuerkonzept. | |
Gut, das sagen jetzt alle Grünen. | |
Ich will stärker Ideen von der Parteibasis aufgreifen und alle Mitglieder | |
mitnehmen. Und ich möchte, dass die Grünen stärker mit Gewerkschaften und | |
Verbänden ins Gespräch kommen. Mehrheiten entstehen durch breite | |
Verankerung in der Gesellschaft. | |
Starke Landesverbände, etwa Baden-Württemberg, finden, dass die Partei mit | |
ihrem linken Programm die bürgerliche Mitte verschreckt hat. | |
Unser Programm ist nicht zu links. Das ist nicht der Punkt. Es ist | |
vernünftig, über die Jahre gewachsen, und es wurde mit sehr großer Mehrheit | |
beschlossen. Es wird sich aber selbstverständlich weiterentwickeln. | |
Viele Realos sähen gerne, dass die Grünen ihr Steuerprogramm abspecken, die | |
Linken sehen das anders. Wie werden Sie diesen Konflikt managen? | |
Ich glaube: Wer seriös rechnet, wird nicht darum herumkommen, auch in | |
Zukunft die Frage nach Steuererhöhungen für hohe Einkommen und Vermögen zu | |
stellen. Stattdessen sollen nach den Plänen von Union und SPD jetzt alle, | |
auch Geringverdiener, über die Sozialbeiträge belastet werden. Und wenn wir | |
Milliarden in Bildung, Infrastruktur und die Energiewende investieren | |
wollen, müssen wir sagen, wo das Geld herkommen soll. | |
Also auch ein „Weiter so“? Für Winfried Kretschmann sind die Grünen aus d… | |
Spur geraten. | |
Gerade der Investitionsbedarf in Ländern und Kommunen ist riesig. Deshalb | |
bin ich sicher, dass Winfried und ich am Ende gar nicht weit | |
auseinanderliegen. | |
Baden-Württembergs Ministerpräsident fordert einen „neuen Sound“ der | |
Grünen. Hat er recht? | |
Ein anderer Sound ergibt sich schon deshalb, weil jetzt neue Leute in der | |
ersten Reihe stehen. Und klar, es schadet nicht, wenn die Grünen wieder | |
stärker auf Themen setzen, die Emotionen wecken, denn dann sind sie | |
kampagnenfähiger. | |
Was bedeutet das eigentlich – neuer Sound? | |
Es geht vor allem um die Art der Ansprache. Politik ist dann spannend, wenn | |
sie konkret ist. Wenn Unternehmen oder Kommunen in den Ländern im Bereich | |
Erneuerbare Energien beispielhaft zeigen, wie es vorangehen kann. Von | |
solchen Modellen kann auch Bundespolitik profitieren, die ja oft etwas über | |
den Dingen schwebt. | |
Die Grünen wollen sich neue Machtoptionen eröffnen. Warum erklärt ihr | |
Kovorsitzender Cem Özdemir dann, Rot-Rot-Grün sei für die nächsten vier | |
Jahre keine Option? | |
Wir gehen gemeinsam davon aus, dass die Große Koalition kommt und dann auch | |
eine Legislaturperiode und damit vier Jahre hält. Wenn sie aber wider | |
Erwarten vorher auseinanderbricht, müssen auch Gespräche mit der | |
Linkspartei geführt werden können. Deshalb geht es darum, jetzt damit zu | |
beginnen, auch in diese Richtung Gesprächsfäden zu knüpfen. | |
Sie selbst sagen, Sie wollten nicht Merkels Notnagel sein, falls die | |
Gespräche mit der SPD scheitern. | |
Ja. Wir stehen doch jetzt nicht Gewehr bei Fuß, wenn Merkel nicht mit der | |
SPD zusammenkommen sollte, weil sie einfach so weitermachen will wie | |
bisher. Die Sondierungen haben ergeben, dass die gemeinsame Basis nicht | |
trägt. Mit Merkel ist ein ambitionierter Klimaschutz nicht zu machen, das | |
wäre für uns aber eine notwendige Bedingung. | |
Merken Sie es? | |
Was? | |
Der eine Chef verschließt die Tür zur Linken, die andere Chefin die zur | |
CDU. Ist das jetzt Eigenständigkeit? | |
Unfug. Wir machen keine einzige Tür dicht. Die gemeinsame Linie von Cem und | |
mir ist klar: Wir führen Gespräche mit allen Parteien, der klare Leitfaden | |
dafür sind unsere Inhalte. | |
Haben Sie die Handynummer von Angela Merkel? | |
Nein, die habe ich noch nicht. | |
Die von Hermann Gröhe? | |
Nein. Aber wir kennen uns. | |
Die von Gregor Gysi? | |
Bisher nicht, aber mit seinem Vorsitzenden habe ich mich schon mal | |
verabredet. | |
Na, dann steht guten Kontakten ja nichts mehr im Wege. | |
An den Handynummern wird es bestimmt nicht scheitern. | |
21 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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