| # taz.de -- Debatte Zukunft der Grünen: Auftritt der Spaßbremsen | |
| > Nach dem Flop bei der Bundestagswahl reden die Grünen viel vom | |
| > Generationenwechsel. Tatsächlich fehlt es der Partei aber an Kreativität. | |
| Bild: Hängende Köpfe: Ist den Grünen die Frische abhandengekommen? | |
| Der viel diskutierte Absturz der unlängst noch als Volkspartei gehypten | |
| Grünen bei der Bundestagswahl hatte viele Ursachen: das Fehlen eines | |
| urgrünen Mobilisierungsthemas, ein Wahlkampf ohne realistische Machtoption, | |
| die extreme Personalisierung, die Steuerpolitik. Dazu dann die Heimsuchung | |
| der Partei durch ihre schlimmeren Jugendsünden. | |
| Aber der grüne Misserfolg hatte auch mit ihrer Performance zu tun. Erstmals | |
| seit 1998 hat das Etikett der Spaßbremsen- und Verbotspartei Wirkung | |
| gezeigt. Nur so konnte der Veggie-Day eine Rolle spielen. Hinzukam ein | |
| Spitzenpersonal, dem es an Witz und Schlagfertigkeit fehlte. | |
| Dass den Grünen eine gewisse Frechheit und Frische abhandengekommen ist, | |
| lässt sich am besten an den Stimmenanteilen der Partei in den verschiedenen | |
| Altersgruppen zeigen. Wo ihre Verluste in der Altersgruppe zwischen 45 und | |
| 59 am geringsten ausgefallen sind, waren sie bei den Erst- und Jungwählern | |
| am höchsten. Hier hat die Partei mehr als ein Drittel ihres traditionell | |
| überdurchschnittlichen Stimmenanteils eingebüßt. So war denn auch bald nach | |
| der Wahl viel von Generationswechsel die Rede. | |
| Die ersten Auftritte der neuen Spitze sprechen kaum für echten Wandel. Wie | |
| auch: Katrin Göring-Eckart ist zwar deutlich jünger als Roth und Trittin, | |
| zählt aber schon lange zum Partei-Establishment. Und Simone Peter wirkt | |
| bislang mehr wie der Prototyp einer Parteifunktionärin, die sich auf die | |
| Artikulation der üblichen Floskeln des grünen Parteisprechs beschränkt. | |
| ## Wiederkehr der Selbstvergewisserung | |
| Je älter die Grünen werden und je mehr sie in die etablierte Gesellschaft | |
| hineingewachsen sind, umso stärker werden auch sie dominiert vom Typus des | |
| Parteifunktionärs mit all seinen Stärken und Schwächen, wie sie schon | |
| Robert Michels vor hundert Jahren analysiert hat. Immer mehr bestimmt die | |
| Organisationslogik die Sachlogik, spielt das Selbsterhaltungsinteresse der | |
| Organisation eine entscheidende Rolle, bieten Parteitagsreden die | |
| Wiederkehr der immer gleichen Selbstvergewisserung, schwindet die Übung in | |
| echter, lebendiger und kontroverser Debatte. | |
| Mit der Zunahme ermüdender Rituale einher geht ein Verlust an | |
| intellektueller Kreativität. Nicht die Zukunft der digitalen Welt mit ihren | |
| Chancen und Risiken, sondern das Auftauchen der Piraten als politische | |
| Konkurrenz sind dann das Problem. Tatsächlich ergänzen sich die grünen | |
| Eliten inzwischen im Wesentlichen aus sich selber. | |
| Immer mehr Mandatsträger haben eine klassische Parteikarriere absolviert, | |
| immer geringer werden umgekehrt die Chancen für politische Quereinsteiger. | |
| Bei den Grünen sind diese Chancen inzwischen auch nicht mehr höher als bei | |
| der politischen Konkurrenz. Wer außer dem MdEP Sven Giegold wäre da noch zu | |
| nennen? | |
| Das Vordringen des Funktionärstums ist für den politischen Alltag zunächst | |
| nützlich. Es steigert das organisatorische Effizienzdenken, auch das | |
| gewöhnliche Streitritual mit den anderen Parteien geht reibungsloser von | |
| der Hand. Jeder lernt, wie man in die Zeitung kommt. Querschläger und | |
| Peinlichkeiten werden seltener. | |
| Auf die Dauer freilich leiden nicht nur die kreativen Anstöße, sondern der | |
| politische Diskurs überhaupt. Erst leidet der Mut, für einen eigenen | |
| Gedanken auch einmal etwas zu riskieren. Dann fehlen die Leute, die | |
| überhaupt noch einen eigenen Gedanken haben. | |
| ## Zustrom von außen nötig | |
| Es ist erstaunlich, dass in Zeiten hoher Parteienverdrossenheit gerade die | |
| Grünen so wenig Raum für Leute ohne Stallgeruch bieten. Im Grunde hat die | |
| Partei das glatte Gegenteil von dem erreicht, was die Mehrheit der | |
| Parteigründer mit ihren überspannten und weltfremden Vorstellungen von | |
| Rotation und Amtszeitbegrenzung wollte. | |
| An die Stelle der Verhinderung des Funktionärstums ist eine totale | |
| innerparteiliche Vermachtung getreten. Das ganz normale Karrierestreben | |
| dominiert die politische Innovation. Besonders sichtbar wird das an einer | |
| oft blutleeren und formelhaften Funktionärssprache, die in ihrer | |
| Künstlichkeit den Eindruck mangelnder Lebendigkeit und geistiger Frische | |
| hinterlässt. | |
| Weil das so ist, geht es bei den Grünen der Zukunft nicht nur um eine | |
| Verjüngung nach Jahren. Mehr noch stellt sich die Frage, wie sich die | |
| Partei mehr öffnen kann für den Zustrom innovativer Impulse von außen. | |
| Natürlich werden dabei auch diejenigen eine wichtige Rolle spielen müssen, | |
| die bislang in Ländern und Kommunen geblieben sind und sich aus der | |
| Bundespolitik herausgehalten haben. | |
| ## Geistige Trägheit | |
| Der Etablierungsprozess von Organisationen befördert Karrieremotive ebenso | |
| wie geistige Trägheit. Wo ist denn heute die grüne Debatte über die | |
| digitale Gesellschaft oder die Konsequenzen des demografischen Wandels? | |
| Während intelligente Kritiker eine „digitale Demenz“ prognostizieren, | |
| reicht den Grünen die Behauptung, dass sie die Netzaffinsten von allen | |
| seien. Toll. Und zur Zukunft der Demokratie im Zeitalter schwindender | |
| Parteienbindung fällt ihnen auch wenig mehr ein, als dass Plebiszite eine | |
| gute Sache sind. | |
| Selbst bei einem so aktuellen Thema wie dem Anstieg der Strompreise hat man | |
| den Eindruck, dass das soziale Problem vor allem dementiert wird. Was waren | |
| das noch für schöne Zeiten, als die anderen noch für die Atomkraft waren | |
| und man selber ordentlich dagegenhalten konnte. | |
| Niemand kann wissen, wo die Grünen in vier Jahren stehen werden. Mag sein, | |
| dass ihnen die Oppositionsrolle fast automatisch wieder neue Chancen | |
| beschert – ohne großes eigenes Zutun. Die Demokratie kennt auch die | |
| leichten Siege. | |
| Sicher freilich ist das nicht. Denn zur parlamentarischen Konkurrenz der | |
| Linkspartei tritt auch allerhand Konkurrenz außerhalb der Parlamente, die | |
| Kritik und Proteststimmungen nutzen können: FDP, AfD, auch die Piraten. Gut | |
| möglich also, dass auch das Management des Generationenwechsels und die | |
| künftige Offenheit und geistige Beweglichkeit der Partei über ihre Zukunft | |
| entscheiden werden. Die Innovationsrendite der 80er Jahre wird bald | |
| verbraucht sein. Dann wird Neues kommen müssen. Und neue Leute. Heute ist | |
| noch nicht zu sehen, wer und was das sein soll. | |
| 30 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Hubert Kleinert | |
| ## TAGS | |
| Politikverdrossenheit | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Piraten | |
| Liberalismus | |
| Kritik | |
| Michael Kellner | |
| Steuererhöhung | |
| Cem Özdemir | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Der sonntaz-Streit: „Ein weiter Weg“ | |
| Die Piraten seien unnötig, sagt ein Politikwissenschaftler. Ein Kollege | |
| behauptet das Gegenteil: Von den Piraten könne man noch viel lernen. | |
| Liberalismus bei John Stuart Mill: Eine mögliche gute Regierung | |
| Von der repräsentativen Demokratie sind heute viele Menschen | |
| ausgeschlossen. John Stuart Mill erinnert daran, was Liberalismus sein | |
| könnte. | |
| Grüne streiten über Europapolitik: Merkel-Bashing nutzt Merkel | |
| Cem Özdemir spielt die parteiinterne Kritik an der Europapolitik herunter. | |
| Der Eindruck ist aber ein anderer. Und die Kanzlerin profitiert von der | |
| Uneinigkeit. | |
| Kommentar Grüne Bündnisstrategie: Reden ist Silber, Kante zeigen Gold | |
| Die Berliner Grünen wollen sich in Zukunft alle Koalitionsoptionen offen | |
| halten. Ob das so clever ist? Könnte auch zu Identifikationsproblemen | |
| führen. | |
| Debatte Grüne und Koalitionen: Rot-Rot-Grün ist möglich | |
| Die Grünen stehen vor der Aufgabe, ihre Bündnisoptionen zu erweitern. Ihre | |
| grünen Inhalte dürfen sie dabei aber nicht aufgeben. Fünf Thesen. | |
| Grünen-Chefin Peter über ihr neues Amt: „Unser Programm ist nicht zu links�… | |
| Nach dem Wahlfiasko der Grünen will Parteichefin Simone Peter „schnell | |
| wieder angreifen“ – und sich zur Linkspartei öffnen. Einen radikalen | |
| Kurswechsel will sie nicht. | |
| Kommentar Neue Grünen-Spitze: Meisterstrategen unter sich | |
| Bündnisse mit der CDU? Die Grünen-ChefInnen verfallen wieder in | |
| Ausschließeritis – und offenbaren ein seltsames Demokratieverständnis. |