# taz.de -- Grüne in Europa: Personality-Show für No-Names | |
> Die Grünen lassen die Bevölkerung über ihre Europa-Spitzenleute | |
> abstimmen. Doch was nutzt eine Primary über Kandidaten, die keiner kennt? | |
Bild: Ska Keller will europäische Spitzenkandidatin werden. | |
BERLIN taz | Reinhard Bütikofer sinniert in diesen Tagen gerne über die | |
Primaries vor US-Präsidentschaftswahlen. Die Show, die Debatten, die | |
Spannung, toll das alles. | |
„Ein Politiker wie Bill Clinton ist erst durch die Primaries zum Player | |
geworden“, schwärmt Bütikofer. „Diese Vorwahlen eröffnen Räume, sie | |
interessieren Menschen für Politik.“ So etwas ähnliches schwebt dem Chef | |
der Europäischen Grünen Partei für die Europawahl vor. Ein Hauch USA fürs | |
bräsige Brüssel. | |
Die Wahl des EU-Parlaments, die Ende Mai 2014 stattfindet, genießt bei den | |
Bürgern des Staatenbundes nicht den allerbesten Ruf. Zu bürokratisch | |
erscheint vielen der Apparat in Brüssel, zu regelverliebt, zu weit weg vom | |
eigenen Alltag. Die Wahlbeteiligung sank in den vergangenen Jahren stetig. | |
Bütikofer und seine Grünen glauben, ein Rezept gegen die | |
Europaverdrossenheit der gut 375 Millionen Wahlberechtigten aus 28 | |
Mitgliedsstaaten gefunden zu haben. „Es ist möglich, die Kluft zwischen | |
Institutionen und Bürgern zu reduzieren“, sagt Bütikofer. | |
## Eine tolle Sache. Oder? | |
Als erste Partei in der europäischen Geschichte wollen die Grünen ihre | |
beiden Spitzenkandidaten für die Europawahl in einer Primary bestimmen | |
lassen. Einer Vorwahl also, bei der das Volk die Spitzenleute bestimmt. Wie | |
in den USA. | |
Wählen darf bei den Grünen jeder, der über 16 Jahre alt ist und in der EU | |
lebt. Es ist ein offenes Verfahren, ein Mitgliedsausweis ist ausdrücklich | |
keine Bedingung. Niemand soll ausgeschlossen werden bei dem | |
basisdemokratischen Projekt. Das gekürte Duo soll dann nicht für seine | |
Herkunftsländer sprechen, kündigt die Partei an, sondern gemeinsame Stimme | |
„über nationale Grenzen hinweg“ sein. | |
All das klingt zunächst wie eine tolle Sache. Den Grünen liegt bekanntlich | |
Basisdemokratie sehr am Herzen, in Deutschland haben sie ihre | |
Spitzenkandidaten per Urwahl bestimmt, ebenso die wichtigsten Inhalte für | |
den Schlussspurt im Bundestagswahlkampf. | |
Die europäischen Grünen, so scheint es, schreiben nun eine Erfolgsstory | |
fort, welche die Aufmerksamkeit für den krisengeschüttelten Staatenbund | |
erhöht. Oder? | |
## Zersplitterte Öffentlichkeit | |
Wenn, ja, wenn da nicht ein paar Haken wären. Denn ganz so leicht lässt | |
sich das System der US-Primaries dann doch nicht auf Brüssel übertragen. Da | |
wäre zunächst einmal das kleine Problem, dass die Grünen in Europa keinen | |
charismatischen Bill Clinton haben. Fast noch wichtiger ist, dass die | |
europäische Öffentlichkeit zersplittert, weil nationalstaatlich organisiert | |
ist. | |
Während Primaries in den USA also eine bewährte, innig geliebte und von | |
Medien und Wahlvolk heiß diskutierte Tradition darstellen, sind sie in | |
Europawahlen ein Experiment mit ungewissem Ausgang, das auch peinlich enden | |
kann. Nämlich dann, wenn sich niemand für die grüne Personality-Show | |
interessiert. | |
Vier PolitikerInnen werden in dieser Situation um Aufmerksamkeit kämpfen. | |
Rebecca Harms, Fraktionschefin im EU-Parlament, und die Europaabgeordnete | |
Ska Keller kommen aus Deutschland. Der Franzose José Bové sitzt ebenfalls | |
im EU-Parlament, die Italienerin Monica Frassoni ist – neben Bütikofer – | |
die Vorsitzende der europäischen Grünen. | |
Allen Vieren tritt man nicht zu nahe, wenn man bemerkt, dass sie in der | |
breiten Bevölkerung aller Staaten völlig unbekannt sind. Eine normale | |
Familie aus Nordrhein-Westfalen kann mit dem Namen Bové wenig anfangen, | |
ebenso wird eine Pariser Familie rätseln, wer diese Ska Keller sein soll. | |
## Hoffen auf den Mitmach-Effekt | |
Lebt aber das Votum über eine Spitzenkandidatur nicht gerade davon, dass | |
man den, über den man abstimmt, auch kennt? Und weiß, wofür er steht? | |
Keller hält dieses Problem eher für eine Herausforderung. „Natürlich kennen | |
die wenigsten Menschen Europapolitiker“, sagt sie. „Aber die Primaries sind | |
ja gerade eine Chance, das zu ändern." Bütikofer argumentiert ähnlich. | |
Solcher Optimismus ist ehrenwert, aber selbst Grüne rechnen nicht damit, | |
dass plötzlich die breite Masse ihre Leidenschaft für die Primary entdeckt. | |
Stattdessen wird eine niedrige Beteiligung erwartet. Intern gibt es diverse | |
Skeptiker. Die Abstimmung werde allenfalls zeigen, wer über die besten | |
Netzwerke verfüge, sagt ein Insider in Brüssel. „Repräsentativ für die | |
Wahlbevölkerung wird das Ergebnis nicht sein.“ | |
Dazu trägt auch das Online-Verfahren bei, bei dem internetaffine Menschen | |
klar im Vorteil sind. Für die Abstimmung braucht man zwei Passwörter, eins | |
wird per SMS ans Handy geschickt, eins an die eigene E-Mail-Adresse. Dann | |
muss man sich durch mehrere Seiten im Netz klicken. | |
Die unterschiedlichen Unterstützerkreise werben schon eifrig für ihre | |
Kandidaten. Der länderübergreifend vernetzte [1][Jugendverband der | |
europäischen Grünen trommelt beispielsweise für Ska Keller] – auf Facebook, | |
Twitter und in Blogs. | |
Am Ende bleibt die Frage, wofür das Ergebnis eigentlich stehen soll. | |
Schließlich kann jeder abstimmen, der will, auch nicht wahlberechtigte | |
Jugendliche. Hätte zum Beispiel die Junge Union Lust, bei der grünen | |
Spitzenkandidaten-Kür ein Wörtchen mitzureden, wäre dies kein Problem. | |
Vielleicht ist es angesichts dessen nur konsequent, vor allem den | |
„mobilisierenden Effekt“ für die eigene Partei hervorzuheben, wie es | |
Rebecca Harms tut. „Die Primary ist eine Mitmach-Kampagne." | |
13 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.fyeg.org/main/index.php/ska2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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