# taz.de -- Onlinevorwahl für Spitzenkandidaten: Grüne für Europa? Was soll�… | |
> Ob grün oder nicht, alle wahlberechtigten EU-Bürger dürfen bis Ende | |
> Januar das grüne Spitzenduo zur Europawahl aussuchen. Dumm nur: Es macht | |
> fast keiner mit. | |
Bild: Rasend spannend: die Debatte zu den „Primaries“ der Grünen. | |
BERLIN taz | Nach einem Spaziergang klingt es nicht, was Reinhard Bütikofer | |
da beschreibt. „Das ist ein Demokratieexperiment“, sagt der Vorsitzende der | |
Europäischen Grünen. „Wir betreten unkartiertes Gelände.“ Und bei solchen | |
Expeditionen wisse man nie, „wie weit Amerika noch weg ist“. | |
Ende Januar endet ein Modellversuch zur Europawahl, den die Grünen seit | |
Wochen in 25 Sprachen großspurig bewerben: „Du entscheidest Europa.“ Als | |
erste Partei in der EU-Geschichte lassen sie ihr Spitzenduo für die | |
Europawahl im Mai per Onlinevorwahl bestimmen. | |
Bei der „Green Primary“ dürfen nicht nur Parteimitglieder mitvotieren – | |
sondern alle in der EU, die über 16 Jahre alt sind. Ein Signal soll es | |
sein: Die Kluft zwischen Europas Bürgern und Institutionen ist | |
überbrückbar. | |
Doch bisher läuft das Experiment schleppend. Die Beteiligung ist mau – laut | |
Bütikofer liegt die Teilnehmerzahl „im fünfstelligen Bereich“, aber | |
„deutlich näher an der 10.000 als an der 100.000“. Genau das hatten | |
Skeptiker befürchtet: dass sich die europäischen Massen nicht für eine | |
Abstimmung über vier Grüne begeistern, die kaum jemand kennt. | |
## Omas sollen voten | |
Samstagnachmittag, ein Tagungszentrum in Berlins Osten. Drei Bewerberinnen | |
um die Spitzenkandidatur stellen sich der Basis: Bütikofers Co-Chefin, die | |
Italienerin Monica Frassoni, 50, daneben ihre deutschen Konkurrentinnen – | |
Rebecca Harms, 57, Fraktionschefin der Grünen im EU-Parlament, und die | |
32-jährige Europaabgeordnete Ska Keller. Der Vierte, José Bové aus | |
Frankreich, hat krank abgesagt. | |
Der Konferenzraum ist gepackt voll. Bütikofer versucht es mit Humor: Alle | |
sollten doch noch ihre Omas für das Onlinevoting begeistern, witzelt er. Es | |
ist die fünfte von zehn so genannten Primary Debates in Europas Großstädten | |
– am 29. Januar wird das Ergebnis der Vorwahl verkündet. Bütikofer hofft | |
auf einen Ansturm kurz vor Schluss. | |
Doch auch die Kritik an den Sicherheitsstandards des Projekts reißt nicht | |
ab. Wer mitmachen will, muss Namen, Handynummer und eine E-Mail-Adresse | |
angeben. Das Alter wird nicht abgefragt. Der WDR demonstrierte jüngst, wie | |
einfach es ist, die Regeln zu verletzen: Er ließ eine Schülerin mit vier | |
Handys gleich vier Stimmen abgeben. | |
„Jeder, der genug europäische Handynummern hat, kann damit das | |
Abstimmungsergebnis manipulieren“, sagt Björn Swierczek, einer der | |
Entwickler von Liquid Feedback – jener Abstimmungssoftware, mit der die | |
Piraten für Aufsehen sorgten. Er wirft den Grünen vor, sie erweckten den | |
Eindruck, ihr System sei sicher. Dabei sei es „für die Teilnehmer komplett | |
unüberprüfbar“. Swierczeks Grundsatzbedenken gibt es auch unter Grünen: | |
„Man macht damit unseriöse Systeme hoffähig.“ | |
## System ist technisch unausgereift | |
Letztlich stoßen die Grünen auf ähnliche Probleme wie die Piraten bei ihrem | |
Versuch, die Demokratie zu digitalisieren. Die Piraten verirrten sich im | |
Streit um die perfekte Technik. Klaus Peukert, Exbundesvorstand der Piraten | |
und bis vor Kurzem zuständig für Liquid Feedback, hat gerade seinen | |
Austritt angekündigt. „Politisch ist das alles ein zweischneidiges | |
Schwert“, urteilt er. Das Onlinevotingsystem der Grünen sei zwar technisch | |
unausgereift, die Teilnehmer müssten „den Admins vertrauen“, dass diese | |
nicht Zahlen erfänden. | |
Aber dank der Onlineprimary könnten immerhin viele Menschen mitbestimmen – | |
wie schon bei zwei grünen Mitgliederentscheiden vor der Bundestagswahl. | |
„Und da muss man anerkennen, dass die Grünen hier Beteiligung bieten“, | |
findet Peukert. Seine selbstkritische Bilanz: „Grüne 3, Piraten weiter 0.“ | |
Der europäische Grünen-Chef Bütikofer äußert sich vorsichtig zur | |
Technikdebatte. Er schließt einzelne Mehrfachabstimmungen nicht aus. Die | |
Grünen hätten sich aber nicht von dem Experiment abschrecken lassen wollen, | |
„nur weil wir den goldenen Weg noch nicht kennen“. | |
12 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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