# taz.de -- Debatte Umgang mit Flüchtlingen: Rechtsstaat geht auch menschlich | |
> Die Hauptstadt zeigt, dass ein liberaler Umgang mit Flüchtlingen möglich | |
> ist: Dort klappt, was in München und Hamburg angeblich nicht erlaubt ist. | |
Bild: Hilfe ohne Paragrafenreiterei: Berlin macht's vor. | |
Na also, es geht doch: Berlin zeigt, welche Möglichkeiten ein Bundesland | |
hat, Flüchtlinge humaner zu behandeln als anderswo in Deutschland. Formal | |
liegt die Zuständigkeit zwar beim Bund und bei Europa. Aber auch Länder und | |
Kommunen haben kleine Spielräume, die einen großen Unterschied für die | |
Betroffenen ausmachen. Berlin straft damit die Hardliner in anderen Städten | |
Lügen: Die behaupten, solche Spielräume gäbe es nicht. | |
Nirgendwo zeigt sich das so deutlich wie bei der Unterkunft für die | |
Flüchtlinge, die seit einem Jahr in Berlin-Kreuzberg campieren: [1][Am | |
Sonntag sind sie in ein ehemaliges Seniorenwohnheim umgezogen]. | |
CDU-Sozialsenator Mario Czaja: „Ein erfahrener Träger der | |
Wohnungslosenhilfe konnte für diese Aufgabe gewonnen werden. Zusätzlich hat | |
der Senat Mittel in Höhe von 136.000 Euro zugesagt, um die temporäre | |
Unterbringung zu gewährleisten.“ | |
Seit Monaten hatten die Mehrheit der Flüchtlinge aus dem Camp für eine | |
solche menschenwürdige Behandlung gekämpft. Und seit Monaten hatte der | |
Bezirk angekündigt, die Schlafzelte auf dem Berliner Oranienplatz nach | |
einem Umzug abzubauen. Deshalb ist es konsequent, wenn das jetzt | |
durchgesetzt wird, obwohl nach dem Auszug der Flüchtlinge dort neue | |
Bewohner aufgetaucht sind. | |
In Berlin passiert also genau das, was der Senat in Hamburg für unmöglich | |
erklärt hat. Auch dort protestiert eine Gruppe von Lampedusa-Flüchtlingen | |
gegen ihre menschenunwürdige Behandlung. Der von der SPD gestellte Senat | |
unter Führung von Olaf Scholz reagierte im Frühjahr mit der Aussage: Nur | |
wenn die Flüchtlinge ihre Identität offenlegen, dürfe die Stadt sich um sie | |
kümmern. | |
Doch geben die Flüchtlinge ihre Identität preis, dann droht ihnen die | |
sofortige Abschiebung. Deshalb beantragen sie auch kein Asyl. Das wiederum | |
führt dazu, dass Hamburg diesen Menschen kein Dach über dem Kopf gibt, | |
nichts zu essen und auch keine Medikamente. SPD-Innensenator Michael | |
Neumann begründet das so: „Rechtsstaatliche Grundsätze sind nicht | |
verhandelbar.“ Sein Sprecher ergänzt prompt, es gebe „in der ganzen Welt | |
keinen Rechtsstaat“, in dem jemand staatliche Leistungen erhalte, „der | |
seine Identität nicht preisgibt“. | |
Der Hamburger Senat hat mit diesen Behauptungen die öffentliche Debatte in | |
der Stadt geprägt. Sogar die Unterstützer der Flüchtlinge gehen ihm auf den | |
Leim: Sie verlagern die Debatte auf die rechtliche Ebene und suchen nach | |
Paragrafen, die doch noch einen legalen Aufenthaltsstatus erlauben. Die | |
Flüchtlinge überleben unterdessen nur dank der privaten Hilfe von Kirchen | |
und Unterstützern. | |
## Kriminalisierung der Unterstützer | |
Doch der Hamburger Senat kriminalisiert auch diese Unterstützer. Eine | |
Kirchengemeinde beantragte, Baucontainer für die Flüchtlinge aufstellen zu | |
dürfen. SPD-Staatssekretär Michael Sachs warnte den zuständigen Bezirk: | |
„Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass sich Ausländer, die sich ohne | |
den erforderlichen Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufhalten, strafbar | |
machen. Auch die Hilfeleistung dazu ist strafbar.“ | |
Der Berliner CDU-Innensenator Frank Henkel konterte: „Auch wenn der | |
Berliner Senat rechtlich nicht zuständig ist, hat er aus humanitären | |
Gründen seine Unterstützung angeboten, um noch vor dem Winter eine Lösung | |
zu finden.“ Und zwar ganz ohne Identitätsprüfung. So leicht geht es, wenn | |
man will. | |
Das zeigt auch der Vergleich mit München. Das Protestcamp der | |
hungerstreikenden Flüchtlinge auf dem Rindermarkt wurde dort im Juni von | |
350 Polizisten geräumt. Seit sieben Tagen hatten sie das Essen verweigert, | |
einige seit ein paar Tagen auch Getränke. Die Polizei ging rabiat gegen die | |
Flüchtlinge und Unterstützer vor, die sich gegen die Auflösung des Camps | |
wehrten. Sie wurden zu Boden geworfen, fixiert und weggetragen. 24 von | |
ihnen wurden vorläufig festgenommen wegen Widerstands gegen die | |
Staatsgewalt und Nötigung. | |
Diesen Einsatz rechtfertigten die Verantwortlichen mit dem geltenden Recht: | |
Das Gesetz habe keine andere Wahl gelassen. „Das war eine Entscheidung auf | |
der Basis des Versammlungsrechts“, sagte der Münchner Krisenstableiter | |
Wilfried Blume-Beyerle kurz nach der Räumung im Interview mit der | |
Süddeutschen Zeitung. „Diese Entscheidung war für uns im Ergebnis | |
eindeutig. Wenn Gefahr für Leib und Leben besteht, sind Sicherheit und | |
Ordnung bedroht. Das ist die Voraussetzung dafür, dass eine Versammlung | |
aufzulösen ist.“ | |
## Protest sichtbar werden lassen | |
Blume-Beyerle berief sich auf Artikel 15 des Versammlungsgesetzes. Darin | |
heißt es: „Die zuständige Behörde kann eine Versammlung beschränken oder | |
verbieten, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung | |
der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.“ | |
Das Gesetz in Berlin ist identisch. | |
Und doch handelten die Behörden dort anders, als Flüchtlinge im Oktober vor | |
dem Brandenburger Tor einen Hunger- und Durststreik begannen. Zwar konnte | |
auch Berlin mangels Zuständigkeit die Forderungen nach Asyl für alle | |
Flüchtlinge, Abschaffung der Residenzpflicht oder Aufhebung des | |
Arbeitsverbots nicht erfüllen. Aber das Land konnte sich entscheiden, ob es | |
den Flüchtlingen erlaubt, ihren Protest sichtbar zu machen. Oder ob es sie | |
wegtragen lässt, damit in der Innenstadt auf keinen Fall etwas an sie | |
erinnert. | |
Sogar nach elf Tagen Hungerstreik und sechs Tagen Durststreik machte die | |
Polizei deutlich, dass sie keinen Grund für ein Eingreifen sieht. Die | |
Flüchtlinge würden medizinisch betreut, sagte eine Sprecherin. Pläne für | |
eine Räumung gebe es nicht. Es blieb also ihnen überlassen, wann sie den | |
Hungerstreik abbrachen. | |
Übrigens gab es auch in München medizinische Hilfe, sobald einer der | |
Flüchtlinge kollabierte. Dessen ungeachtet ließen die Hardliner das Camp | |
räumen – und zimmerten sich dann eine Pseudoargumentation zusammen. Doch | |
genau wie in Hamburg, so sind auch in München die angeblichen juristischen | |
Zwänge nur vorgeschoben: Sie sollen verschleiern, dass es sich um eine | |
politische Entscheidung handelt. | |
25 Nov 2013 | |
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[1] /Fluechtlinge-in-Kreuzberg/!128193/ | |
## AUTOREN | |
Sebastian Heiser | |
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