# taz.de -- Die Vergangenheit des BND: Braune Kameraden unter sich | |
> Ex-Nazis stellten Ex-Nazis an. Historiker ziehen eine Zwischenbilanz über | |
> die Naziverstrickungen des Bundesnachrichtendienstes. | |
Bild: Die Ahnengalerie der BND-Präsidenten: Den Anfang macht Reinhard Gehlen. | |
BERLIN taz | Hermann Wondrak, SS-Untersturmbannführer, stammte aus dem | |
Sudetenland. Im Jahr 1938 hatte er als Agent den Einmarsch der | |
Hitler-Truppen in die Tschechoslowakei mit vorbereitet. Bis 1945 leitete | |
Wondrack den SD, den SS-Sicherheitsdienst, in Reichenberg. Ein Jahr nach | |
dem Ende des Hitler-Regimes ergab sich für den Ex-SS-Mann eine günstige | |
Karrieremöglichkeit. Er heuerte bei der Organisation Gehlen an, dem | |
Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes (BND). | |
Wondrak baute die Dienststelle 120 auf, die für Polen und die | |
Tschechoslowakei zuständig war – und wie dies geschah, war typisch: Der | |
SD-Mann stellte seine alten SD-Leute ein, von der Sekretärin bis zum | |
Stellvertreter. So rekrutierte sich die Hälfte der Dienststelle 120 aus | |
Reichenberger SD-Mitarbeitern. Hinzu kamen zwei Offiziere der Waffen-SS und | |
ein Gestapomann. Ein Schneeballsystem. | |
Die Leitung des BND, so das Resümee des Historikers Gerhard Sälter, machte | |
„die im Nationalsozialismus entstandene Kameradschaft zur Grundlage ihrer | |
Personalpolitik“. Das ging ohne Masterplan, es geschah wie von selbst. So | |
ähnlich wurde in der Frühphase die Verwaltung in Westdeutschland aufgebaut. | |
Beim BND indes blieb man bei diesem System, auch als die Öffentlichkeit | |
allzu krasse NS-Karrieren zaghaft als kritikwürdig anzusehen begann. Im | |
abgeschotteten Geheimdienstmilieu in Pullach fehlt die Sauerstoffzufuhr | |
öffentlicher Kritik, demokratische Kontrolle sowieso. | |
## Massenmörder im Apparat | |
Das war nicht nur moralisch skandalös. Dass in dem Apparat Massenmörder wie | |
Emil Augsburg arbeiteten (der in der Einsatzgruppe B an Erschießungen vor | |
Moskau mittat), war auch professionell problematisch. Agenten mit falschen | |
Biografien waren potenziell erpressbar. | |
Noch Mitte der 60er Jahre, während des Auschwitz-Prozesses, fiel in Pullach | |
ein milder Blick auf NS-Täter. Wolfgang Otto, Leiter einer BND-Dienststelle | |
in Westberlin, war nicht nur Hauptsturmführer der SS-Division Das Reich | |
gewesen, er hatte auch im KZ Dachau zur Wachmannschaft gehört. In einem | |
internen Bericht hieß es 1964, dies sei „eine rein optische Belastung“. | |
Diese Einblicke verdanken sich der Unabhängigen Kommission, in der zehn | |
Historiker arbeiten. Das Projekt soll nicht nur die NS-Verstrickung des | |
Apparates durchleuchten, auf dem Plan steht eine Gesamtgeschichte des BND | |
und seiner Rolle in der Republik bis 1968. | |
## Lücken in den Aktenbeständen | |
Eine naheliegende Frage lautet: Wie viele Ex-Nazis arbeiteten für den BND? | |
Die Bundesregierung erklärte in den 1960er Jahren: weniger als ein Prozent. | |
Das war genauso falsch wie die meisten Lebensläufe der Ex-NS-Täter in | |
Pullach. Doch exakte Angaben sind schwierig. Die Akten sind lückenhaft. | |
Manche Verträge wurden mündlich geschlossen. Von 12.000 Personalakten | |
existieren noch 3.500. | |
Christoph Rass hat davon in Stichproben ein Drittel ausgewertet. Der | |
Befund: Im Jahr 1950 kamen rund 90 Prozent des Dienstpersonals aus der | |
Wehrmacht oder waren NS-belastet, 1965 war es noch jeder Zweite. Diese | |
Zahlen sind spektakulär hoch, aber nur von begrenzter Aussagekraft. Denn | |
damit werden unterschiedslos NS-Spitzenfunktionäre und Täter wie Emil | |
Augsburg mit einfachen NSDAP-Mitgliedern und Wehrmachtssoldaten in einen | |
Topf geworfen. | |
## Widerstandskämpfer hatten keine Chance | |
Aus der Funktionselite des NS-Systems kam in den 1950er Jahren, so eine | |
Schätzung, etwa jeder Zehnte BND-Mann. Dabei, so Rass, gab es relativ viele | |
Ex-Nazis auf der mittleren Ebene des Apparats. Den Karrieresprung nach oben | |
Richtung Abteilungsleiter schafften indes nur wenige. Und: Es gab damals | |
zwei biografische K.-o.-Kriterien für Karrieren in Pullach. Wer in der | |
Emigration oder im Widerstand gegen Hitler gewesen war, hatte keine Chance. | |
Der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller erforscht die Biografie des | |
BND-Gründers Reinhard Gehlen, eine in der alten Bundesrepublik legendäre | |
Figur. Gehlen war an der Planung des Überfalls auf die Sowjetunion | |
beteiligt und ab 1942 Chef der Spionageabteilung Fremde Heere Ost im Osten. | |
Der konservative Historiker lobte Gehlen als „hochbegabten Offizier“ und | |
„asketischen Pflichtmensch“ und ließ offen, ob der sich nicht doch „um d… | |
Bundesrepublik verdient gemacht hat“. | |
Als Forschungsergebnis präsentierte Müller Neues über Intrigen. Im Jahr | |
1947/48 gab es offenbar Kritik an Gehlens hermetischem Führungsstil. Müller | |
deutete dies als Beweis, dass der BND kein „monolithischer Männerbund“ war. | |
Eine mehr als kühne Schlussfolgerung: Ränke und Konkurrenzgerangel waren | |
doch gerade Kennzeichen der männerbündischen Militär- und | |
Naziorganisationen, aus denen Gehlen & Co kamen. | |
## Archive für Historiker geöffnet | |
Der BND hat sich lange zäh dagegen gewehrt, seine Archive für Historiker zu | |
öffnen. Das hat sich nun geändert. Die Wissenschaftler haben keinen Grund | |
zur Klage. Klaus-Dietmar Henke bekannte auf dem Symposion in Berlin am | |
Montag: „Bisher gab es keine Verletzten.“ | |
Es ist offenbar eine Win-win-Situation: Die Historiker bekommen Geld und | |
öffentliche Aufmerksamkeit, die Behörde darf sich als selbstkritisch in | |
Szene setzen. Hans Vorbeck, im Kanzleramt für die BND-Geschichte zuständig, | |
erklärte frohgemut: Die historische Aufarbeitung der Geschichte der Behörde | |
werde „Kern einer neuen Corporate Identity des BND“. | |
Die Behörde hat ihren Widerstand gegen den Blick von außen aufgegeben. Die | |
neue Direktive lautet: If you can’t beat them, join them. | |
7 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
## TAGS | |
Bundesnachrichtendienst | |
BND | |
Nazis | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
NSA-Affäre | |
Geheimdienst | |
Guardian | |
Verfassungsschutz | |
BND | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Vergangenheit des Verfassungsschutzes: Mitarbeiter mit braunen Flecken | |
Historiker finden bei der Behörde personelle Kontinuitäten zum NS-Staat. | |
Verfassunsschutzchef Maaßen lobt die Arbeit – und seine Institution. | |
Doku über NS-Täter: Alles was man falsch machen kann | |
Der Filmemacher Stefan Ruzowitzky versucht sich mit „Das radikal Böse“ in | |
Täterpsychologie. Dabei ist er sich für nichts zu schade. | |
Neue Enthüllung von Snowden: NSA nutzt Google-Cookies | |
Online-Werbekonzerne wie Google nutzen Cookies, um das Verhalten der Nutzer | |
im Web nachzuverfolgen. Die NSA soll diese für ihre Überwachung nutzen. | |
Netz-Überwachung der Geheimdienste: Google und Co wollen Reform | |
Apple, Facebook, Microsoft und Google gehen nach den NSA-Enthüllungen in | |
die Offensive. Sie fordern von Regierungen, ihre Geheimdienste stärker zu | |
konrtrollieren. | |
LKA Sachsen entwickelt Software: Keine Nazi-App auf Streife | |
Der „Guardian“ schreibt über eine Nazi-App und das LKA Sachsen wundert | |
sich. Illegale Musik soll nun in Sekundenschnelle erfassbar sein. | |
Zwischenbericht zum Verfassungsschutz: Nur angebräunt | |
Dem Geheimdienst bescheinigen Historiker eine eher geringe | |
Beschäftigungsquote ehemaligen NSDAP-Personals. Doch die Quellenbasis ist | |
unvollständig. | |
Arte-Doku über Nazis im BND: Fragen unerwünscht | |
War der Bundesnachrichtendienst ein Treffpunkt für Nazis? „Nazis im BND – | |
Neuer Dienst und alte Kameraden“ geht dieser Frage nach. | |
Historiker untersuchen Geschichte des BND: Öffnung mit Einschränkungen | |
Der Enthüllungserfolg des Buches "Das Amt" hat dazu beigetragen: Eine | |
Historikerkommission konnte nun endlich die Aktensichtung beim BND | |
aufnehmen. | |
BND bezahlte Gestapo-Mann: Die Akte Klaus Barbie | |
Der Student Peter Hammerschmidt bat beim BND um Akteneinsicht, ließ nicht | |
locker und fand heraus: Nazi-Schlächter Klaus Barbie spitzelte in den 60ern | |
für den BND. | |
Jagd auf Adolf Eichmann: BND wusste, wo Judenmörder ist | |
Schon 1952 wusste der BND-Vorgänger "Organisation Gehlen", dass der | |
Holocaust-Organisator Adolf Eichmann in Argentinien lebte. Doch es geschah | |
nichts. |