| # taz.de -- Historiker untersuchen Geschichte des BND: Öffnung mit Einschränk… | |
| > Der Enthüllungserfolg des Buches "Das Amt" hat dazu beigetragen: Eine | |
| > Historikerkommission konnte nun endlich die Aktensichtung beim BND | |
| > aufnehmen. | |
| Bild: Muss auch er sich öffnen? Mitarbeiter vor der BND-Zentrale. | |
| BERLIN taz | Jedes demokratisch verfasste Land steht vor einem Dilemma, | |
| wenn es um seine Geheimdienste geht. Im Selbstverständnis der Demokratie | |
| gehört Offenheit und Transparenz gegenüber den Bürgern zu den Grundlagen | |
| jeder Regierung. | |
| Andererseits entziehen sich die Geheimdienste definitionsgemäß dieser | |
| Anforderung. Die Methoden der Nachrichtenbeschaffung und ihre Auswertung | |
| unterliegen keiner öffentlichen Prüfung. Die geheimdienstlichen Operationen | |
| bewegen sich häufig in einer rechtsstaatlichen Grauzone, sie können mit | |
| gravierenden Gesetzesverstößen verbunden sein. | |
| Und kraft ihrer Aufgabenstellung sind die Dienste invariant auf Feindbilder | |
| konzentriert. Die bösartigen Absichten dieser Feinde gilt es zu erforschen. | |
| Deshalb fällt es den Geheimdiensten schwer, auf veränderte politische | |
| Bedingungen zu reagieren. Ihre Lernfähigkeit hat enge Grenzen. | |
| Angesichts dieses Dilemmas gibt es nur zwei Lösungen. Entweder die | |
| "Dienste" abschaffen oder sie einer demokratischen Kontrolle zu | |
| unterwerfen. Die erste Möglichkeit scheitert am Sicherheitsbedürfnis der | |
| Bürger, die eine möglichst umfassende Aufklärung über reale oder | |
| potenzielle Gefährdungen fordern. Die zweite sieht sich, was das bisherige | |
| Scheitern jedes Versuchs von Kontrolle anlangt, Blockaden ausgesetzt, die | |
| sowohl von den "Diensten" selbst als auch von den jeweiligen Regierungen | |
| ausgehen. | |
| Im Fall des Bundesnachrichtendienstes (BND), also des | |
| Auslandsgeheimdienstes des Bundes, hat dieses Dilemma eine besondere | |
| Färbung. Eine Reihe westlicher Regierungen hatten unter dem Druck der | |
| Öffentlichkeit oder kraft Gerichtsentscheidungen Einsicht in | |
| Geheimdienstakten gewährt, um wenigstens im Nachhinein dem Publikum ein | |
| Urteil über Taten und Untaten der Geheimen zu ermöglichen. | |
| Hingegen wehrte sich der BND mit Händen und Füßen bis jetzt gegen jede | |
| Aktenöffnung. Die Geheimen glaubten lange, der bloße Geheimnisstempel würde | |
| über die Jahrzehnte hinweg ausreichen, um Sicherheitsinteressen der | |
| Bundesrepublik und damit die Sperrung geltend zu machen. Erst ein Urteil | |
| des Bundesverwaltungsgerichts von 2010 hat sie eines Besseren belehrt. | |
| ## Dunkle Gründungsgeschichte des Dienstes | |
| Im Wesentlichen gab es drei Gründe für diese extreme Geheimhaltungspraxis | |
| des BND. Der erste liegt in der dunklen Gründungsgeschichte des Dienstes. | |
| Zahlreiche Naziverbrecher aus den Reihen der SS und des | |
| Reichssicherheitshauptamtes wurden in der Anfangsphase des Dienstes | |
| rekrutiert, als dieser noch den USA diente. Auch in späterer Zeit erwies | |
| sich die Abwerbungspraxis des BND als völlig skrupellos, wie der Fall von | |
| Klaus Barbie, des "Schlächters von Lyon", lehrt. | |
| Der zweite Grund besteht in der engen Verbindung des BND-Chefs Reinhard | |
| Gehlen mit dem Bundeskanzleramt unter Adenauers Staatssekretär Hans Globke, | |
| dem Kommentator der Nürnberger Rassengesetze. Globke und Gehlen trafen sich | |
| im Wochenabstand. Vom BND wurden Dossiers westdeutscher Politiker angelegt, | |
| die ihr Verhältnis zum "Feind" jenseits der Zonengrenze dokumentieren | |
| sollten. Zahlreiche Journalisten standen im Dienst des BND. Nach Peter F. | |
| Müllers und Michael Müllers Recherchen auch so prominente Figuren wie die | |
| Gräfin Dönhoff. | |
| Der dritte Grund: Die Lagebeurteilungen des BND waren darauf angelegt, das | |
| Szenario eines Angriffskriegs der Sowjetunion auszumalen und damit die | |
| brachial antikommunistische Politik der Adenauer-Regierung zu fundieren. | |
| Aus Memoiren und Recherchen sind viele dieser Fakten in Umrissen bekannt, | |
| aber fast nie dokumentarisch untermauert. Ihre Veröffentlichung könnte zu | |
| einer Korrektur des Geschichtsbilds und damit des herrschenden deutschen | |
| Selbstverständnisses führen. | |
| Weil es mit den Jahren gegenüber einer kritisch gestimmten Öffentlichkeit | |
| immer schwieriger wurde, die Akteneinsicht zu verweigern, die wichtigsten | |
| Protagonisten tot sind, der heutige Dienst kaum noch emotionale Bindungen | |
| an seine Gründerväter hat und Erbhöfe nicht mehr existieren, beschloss der | |
| jetzige BND-Chef Ernst Urlau schon vor einigen Jahren, eine | |
| Historikerkommission zur Sichtung der Akten einzusetzen. | |
| Aber erst zu Beginn des Jahres 2011 gelang es ihm im zweiten Anlauf, diese | |
| Kommission zu bilden. Ihr Forschungsfeld soll sich von 1945 bis 1968 | |
| erstrecken. Berufen wurde der Militärhistoriker Rolf-Dieter Müller, der | |
| NS-Forscher Jost Dülffer, der Geheimdienstspezialist Wolfgang Krieger und | |
| Klaus-Dietmar Henke, der mehrere Jahre lang Leiter der Forschungsabteilung | |
| in der Stasiunterlagenbehörde war. Letztes Wochenende war der erste Termin | |
| zur Aktensichtung beim BND. | |
| ## Zahlreiche Einschränkungen | |
| Zwischen der Kommission und dem BND wurde ein Vertrag abgeschlossen, der | |
| den Historikern unbegrenzte Akteneinsicht in die riesigen, nur zum Teil | |
| erschlossenen Materialien des Dienstes erlaubt. Erstmals wurde auch | |
| zugestanden, die Akten des Bundeskanzleramtes einzusehen und damit die | |
| Querverbindungen zum BND zu erforschen. Eine historische Hilfsgruppe des | |
| BND assistiert, der Kommission ist jederzeitiger direkter Zugang zum Chef | |
| des Dienstes zugesagt. Sie kann ihre Arbeitsschwerpunkte selbst festlegen. | |
| Geplant sind Schwerpunkte zum Verhältnis BND/CIA , zur Rolle des BND | |
| gegenüber der Bundeswehr und anderen Diensten und zur Rolle des BND in der | |
| deutschen Politik. Wichtig für den Erfolg der Arbeit wird sein, ob die | |
| Forschungen zu den Stasi-Beständen und die BND-Kommissionsforschung | |
| systematisch verzahnt werden können. Resultat der Arbeit soll auch eine Art | |
| Soziologie der Mitarbeiter über die Jahrzehnte hinweg sein. | |
| Die eigentliche Schwierigkeit für die Forscher liegt bei der künftigen | |
| Publikation ihrer Ergebnisse. Sie unterliegt drei Einschränkungen: | |
| Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, als Staatsgeheimnis deklarierte | |
| Vorgänge und Dokumente, die das Verhältnis zu befreundeten Diensten | |
| betreffen. Bei Streitfällen zwischen Kommission und Dienst soll eine | |
| unabhängige Schiedskommission entscheiden. | |
| Es ist absehbar, dass es bei den beiden letztgenannten Einschränkungen zu | |
| Auseinandersetzungen kommen wird, die allerdings jenseits der | |
| Öffentlichkeit ausgetragen werden. Die Arbeit der Historiker wird auch | |
| dadurch erschwert sein, dass viele interne Anweisungen mündlich erfolgten, | |
| dass Angehörige, die den Dienst quittierten, entsprechende Materialien | |
| mitgehen ließen und schließlich, dass Akten scheinbar routinemäßig | |
| periodisch vernichtet wurden. Auch wird zäher Widerstand seitens | |
| lichtscheuer BND-Mitarbeiter zu erwarten sein. | |
| Letzen Endes wird die Historikerkommission nur dann erfolgreich sein, wenn | |
| es gelingt, eine kritische Öffentlichkeit gegenüber dem Dienst wachzuhalten | |
| und das steinige Feld einer BND-Reform weiter zu beackern. | |
| 24 Mar 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Christian Semler | |
| ## TAGS | |
| Bundeskanzleramt | |
| Dokumentarfilm | |
| Bundesnachrichtendienst | |
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