| # taz.de -- Alt-Nazis beim Bundesnachrichtendienst: Code-Name "Uranus" | |
| > Der Historiker Peter Hammerschmidt enthüllt, wie der | |
| > Bundesnachrichtendienst Altnazis deckte und auch für sich nutzte. Als | |
| > Doppelagenten und Waffen-Verkäufer. | |
| Bild: Braune Vergangenheit: Der Bundesnachrichtendienst rückt ins Visier von H… | |
| Peter Hammerschmidt ist beim ersten Blick leicht zu unterschätzen. Denn der | |
| 24-Jährige unterscheidet sich rein äußerlich wenig von den Tausenden | |
| anderen Geschichtsstudenten in der letzten Phase ihres Studiums: legere | |
| Kleidung, etwas Gel im Haar, ganz coole Brille, früher noch ein kleines | |
| Piercing. Aber wer den Junghistoriker aus Mainz nicht ernst nimmt, hat den | |
| ersten großen Fehler schon getan. | |
| Denn der schlanke Mann mit dem aufgeweckten Augen hat mit [1][seinen | |
| Enthüllungen über den Bundesnachrichtendienst (BND) und dessen Verbindungen | |
| zum Nazi Klaus Barbie] Anfang dieses Jahres den BND und die Bundesregierung | |
| vor sich hergetrieben. Hammerschmidt, damals noch einfacher Student, war im | |
| September vergangenen Jahres sogar der erste Historiker überhaupt, dem | |
| Akten des Geheimdienstes zur Einsicht vorgelegt wurden, in Pullach vor zwei | |
| Aufpassern. Ein einmaliger Vorgang. | |
| Und nun hat er in bisher geheimen Akten deutscher und US-amerikanischer | |
| Geheimdienste erneut Spektakuläres zu Tage gefördert: Nach seinen | |
| Recherchen war der westdeutsche Auslandsgeheimdienst in den sechziger | |
| Jahren noch viel enger mit ehemaligen SS- und NSDAP-Mitgliedern | |
| durchseucht, als man bisher wusste. Demnach sind weitere Kontakte eines | |
| ganzen Netzes von Altnazis in Lateinamerika zum BND und dessen | |
| Tarnunternehmen "Merex" belegbar. | |
| Darunter sind bekannte Namen wie der des NS-Fliegerasses und Neonazi-Stars | |
| Hans Ulrich Rudel oder der von Willem Sassen, der den Holocaust-Organisator | |
| Adolf Eichmann jahrelang schützte. Nicht nur das: Das Bonner Unternehmen | |
| Merex, geführt von einem BND-Mann, diente auch noch dazu, ausrangiertes | |
| Bundeswehrgerät ausgerechnet an Diktatoren in Lateinamerika zu exportieren, | |
| die so ihre Macht sichern konnten - und das mit Hilfe alter Nazis. | |
| ## 500 Mark für den Mörder | |
| Auf der Jahreskonferenz der Internationalen Vereinigung für | |
| Geheimdienst-Geschichte (IIHA) stellte Peter Hammerschmidt am gestrigen | |
| Sonntag in Marburg seine neuesten Forschungsergebnisse vor - es ist ein | |
| Blick in eine dunkle Ecke vor allem der Adenauer-Ära. | |
| Zwar arbeitet der BND nach dem Vorbild zuletzt des Auswärtigen Amtes | |
| derzeit selbst seine Geschichte auf, und das sogar mit Hilfe von zwei | |
| Historikerkommissionen. Die Arbeitsbedingungen dieser Kommissionen aber | |
| sind etwas seltsam gestaltet. | |
| So sichtet eine interne Historikerkommission des BND erst einmal hinter | |
| verschlossenen Türen alle Akten, die zur BND-Geschichte in den eigenen | |
| Archiven zu finden sind. Es soll sich dabei um etwa sechs Millionen Blatt | |
| an Dokumenten, festgehalten auf Mikrofilmen, handeln. Aber nur die Akten, | |
| die sie für die zweite Kommission freigibt, können dann frei von der | |
| ausgewertet werden. | |
| Umso wichtiger sind die eigenständigen Forschungen Hammerschmidts. Bekannt | |
| ist, dass Barbie, der "Schlächter von Lyon", Mitte der sechziger Jahre als | |
| "Klaus Altmann" vom BND in der bolivianischen Hauptstadt La Paz angeheuert | |
| wurde. Die Akten beweisen, dass der deutsche Steuerzahler Barbie über den | |
| BND ein gutes halbes Jahr lang monatlich 500 Mark für seine Spitzeldienste | |
| zahlte, Leistungsprämien und ein Abschlussbonus von 1.000 Mark kamen noch | |
| dazu. | |
| Dabei ist es nach Hammerschmidts Recherche mehr als unwahrscheinlich, dass | |
| die Geheimdienstler aufgrund der ihnen zugänglichen Informationen nicht | |
| wussten oder doch zumindest ahnten, wen sie vor sich hatten. Einige Wochen | |
| nach der Rekrutierung wurde Barbie alias Altmann der bolivianische | |
| Repräsentant von Merex. | |
| Merex wurde geleitet von Gerhard Mertins, der seit 1956 unter dem | |
| Code-Namen "Uranus" für den BND arbeitete. Das Unternehmen verkaufte | |
| überschüssige Bundeswehrwaffen und -geräte an andere Staaten in aller Welt, | |
| vor allem in den Nahen Osten. Und das im Auftrag des BND. Barbie selbst | |
| übermittelte auf diese Weise mit Hilfe des BND Bundeswehrmaterial an die | |
| Regime des Militärdiktators Hugo Banzer Suárez und Luis García Meza Tejada. | |
| Mertins gehörte früher der SS an, unter anderem einem Kommando, das 1943 | |
| den inhaftierten italienischen Diktator Benito Mussolini befreite. Er war | |
| ein überzeugter Nazi, der nach dem Krieg den Akten des | |
| US-Armeegeheimdienstes CIC zufolge in Westdeutschland | |
| Neonazi-Organisationen unterstützte, darunter die Sozialistische | |
| Reichspartei, die verboten wurde. Mertins gründete 1978 auch den | |
| "Freundeskreis Colonia Dignidad", die als Folterzentrum des chilenischen | |
| Diktators Augusto Pinochet bekannt wurde. | |
| ## Werben für Waffen | |
| Nach den Informationen von Hammerschmidt machte ein Merex-Vertreter als | |
| Doppelagent des BND und CIA im Juli 1966 eine regelrechte | |
| Lateinamerika-Tour, um für die ausgedienten Bundeswehrwaffen zu werben - | |
| der Name des Mannes, der im Zweiten Weltkrieg Offizier im Generalstab war, | |
| muss aus rechtlichen Gründen noch ungenannt bleiben. Hammerschmidt hat | |
| jedoch herausgefunden, dass dieser frühere Offizier im Rahmen dieser Reise | |
| auch an Hans Ulrich Rudel herantrat. | |
| Rudel war während des Zweiten Weltkriegs ein hoch dekoriertes Ass der | |
| deutschen Luftwaffe und später ein Idol der bundesdeutschen Neonazi-Szene. | |
| Rudel half dem ungenannten Merex-Repräsentanten, Kontakt aufzunehmen mit | |
| anderen geflohenen Nazis, die gute Kontakte zu den Geheimdiensten ihrer | |
| neuen Heimatländer hatten. | |
| Rudel vermittelte dem Merex-Vertreter nach Hammerschmidts Recherche auch | |
| Friedrich Schwend, einst ein Mann des Reichssicherheitshauptamtes. Er war | |
| darauf spezialisiert gewesen, gefälschte Britische Pfund in Umlauf zu | |
| bringen - Blüten, die herzustellen perverserweise Insassen des KZ | |
| Sachsenhausen gezwungen worden waren. Diese Aktion ging als die Operation | |
| Bernhard in die Geschichtsschreibung ein. Schwend hatten der Recherche | |
| Hammerschmidts zufolge enge Verbindungen mit den Diensten Perus und | |
| Boliviens. | |
| Noch brisanter aber ist, dass Schwend Anfang der sechziger Jahre mit Barbie | |
| und Rudel ein Unternehmen gegründet hatte: "La Estrella", der Stern. Dieses | |
| Unternehmen beschäftigte mehrere ehemalige SS-Offiziere, die nach dem | |
| Weltkrieg in Lateinamerika Unterschlupf gefunden hatten. Über La Estrella | |
| unterstützten sich die alten Kämpfer gegenseitig. | |
| Wie eng die Verbindungen zwischen La Estrella und Merex waren, zeigt das | |
| Beispiel des früheren SS-Offiziers Willem Sassen. Sassen, übrigens der | |
| Vater der US-Soziologin Saskia Sassen, wurde schon zwei Tage nach dem | |
| ersten Kontakt mit dem Merex-Vertreter Repräsentant dieses Unternehmens in | |
| Argentinien. Rudel hatte den Merex-Mann auf Sassen aufmerksam gemacht. | |
| Sassen deckte Adolf Eichmann, bevor der berüchtigte Holocaust-Organisator | |
| vom israelischen Geheimdienst aufgespürt und nach Israel gebracht wurde, wo | |
| ihm vor 50 Jahren der Prozess gemacht wurde. Sassen war es auch, der | |
| Eichmann lange interviewt hatte, wobei der Schreibtischtäter sogar seinen | |
| Stolz auf seine Mitarbeit am Massenmord an den europäischen Juden | |
| bekundete. | |
| Auch der Estrella-Mann Otto Skorzeny rutschte in das Merex-Unternehmen. Der | |
| frühere SS-Hauptmann wurde in Italien wegen Kriegsverbrechen gesucht. Über | |
| den anonymisierten Merex-Vertreter und Barbie wickelte das Bonner | |
| Unternehmen beispielsweise die Lieferung von vier Transall-Flugzeugen des | |
| Typs C-160 ab. Sie gingen vom westdeutschen Verteidigungsministerium im | |
| März 1968 an die Militärdiktaturen von Bolivien und Peru. | |
| Der BND war den CIA-Akten zufolge "sehr interessiert" an den Kontakten des | |
| Merex-Mannes mit "Rudel und anderen im Ausland lebenden Deutschen, die | |
| gegenwärtig in Lateinamerika" wohnten. Das ist für Hammerschmidt "ein | |
| klarer Hinweis, dass Barbies BND-Engagement im Mai 1966 nur die ,Spitze des | |
| Eisbergs' bezüglich der Kollaboration des BND mit NS-Verbrechern ist". Die | |
| Zeit für die vollständige Aufdeckung dieser engen Kooperation, so sagt es | |
| der Junghistoriker, "ist gekommen". | |
| 19 Jun 2011 | |
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| Philipp Gessler | |
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