# taz.de -- Demokratieforscher über die SPD: „Die Basis ist apathisch“ | |
> Am Samstag gibt die SPD das Ergebnis des Mitglieder-Entscheids bekannt. | |
> Matthias Micus vermisst eine ernsthafte Kontroverse über das Votum. | |
Bild: Demokratie kann überall stattfinden – bei der SPD sogar in der Fußgä… | |
taz: Herr Micus, am Samstag will die SPD das Ergebnis ihres | |
Mitgliedervotums über den Koalitionsvertrag bekannt geben. Womit rechnen | |
Sie? | |
Matthias Micus: Politologen sind keine Propheten. Ich bin aber ziemlich | |
sicher, dass es eine breite Zustimmung von 70 bis 80 Prozent geben wird. | |
Nur halte ich gerade dies für ein Indiz der Krise der Sozialdemokratie. Die | |
Mitglieder stimmen ja nicht begeistert für den Koalitionsvertrag. | |
Doch gibt es keine Gegenbewegung, keinen prominenten Agitator wider den | |
Kurs der Parteiführung. Es fehlt überhaupt jede sichtbare Alternative, | |
anstelle von substanziellem Streit und ernsthafter Kontroverse herrschen an | |
der Basis ein diffuser Missmut und eine achselzuckende | |
Schicksalsergebenheit im Angesicht der Appelle an ihr Pflichtbewusstsein | |
und der Beschwörung der Staatsräson. | |
Wie meinen Sie das? | |
Die fehlende – noch einmal: ernsthafte – Auseinandersetzung zeigt doch, wie | |
stillgelegt, wie apathisch, wie wenig selbstbewusst und eigenwillig die | |
Partei mittlerweile ist. | |
Dennoch wird es nicht wenige Nein-Stimmen geben. Rechnen Sie mit einer | |
Krise zwischen Spitze und Basis? | |
Nein. Die Basis ist apathisch und massenhaft nur zu anstrengungslosem | |
Engagement bereit, wie bei der laufenden Abstimmung zum Koalitionsvertrag, | |
die bloß ein einzelnes Kreuz und eine Unterschrift erfordert und deren | |
Unterlagen den Mitgliedern samt Rücksendeumschlag nach Hause zugeschickt | |
wurden. Und die Parteispitze geht seit einigen Jahren vermehrt auf die | |
Mitglieder zu und weitet die Beteiligungsmöglichkeiten aus, sucht also | |
ihrerseits eher Nähe als Konflikt. Dass die Abstimmung überhaupt | |
stattfindet, ist ja auch Ausdruck einer sich schwach fühlenden und also | |
wenig krisengeneigten Parteiführung – die sich nicht zutraut, einen von ihr | |
ausgehandelten Koalitionsvertrag selbständig zu beschließen. | |
Wenn alles klappt, kann die SPD sechs Ministerämter besetzen, drei davon | |
mit Frauen. Ist das bloß eine generöse Geste oder aber vielmehr Ausdruck | |
eines modernen Selbstverständnisses? | |
Das entspricht dem Selbstbewusstsein der Frauen in der Sozialdemokratie. | |
Seit 25 Jahren gibt es in der Partei die Frauenquote, seit 1998 liegt sie | |
bei 40 Prozent. Heute ist es selbstverständlich, dass nicht nur die Listen | |
quotiert sind, sondern dass die Frauen dann auch erfolgsversprechende | |
Plätze bekommen. Andererseits: Dass Sigmar Gabriel sich jetzt zum | |
Fürsprecher dieser Sache macht, bedeutet schon auch, dass er sich davon | |
eine positive Wirkung auf seine eigene Stellung verspricht. Er hätte ebenso | |
gut sagen können, wir machen das vier zu zwei, oder wir gleichen das auf | |
der Staatssekretärsebene aus. | |
Gut möglich, dass bald auch in der Fraktion Spitzenposten frei werden: | |
Sowohl Frank-Walter Steinmeier als auch Thomas Oppermann könnten | |
Bundesminister werden. Elke Ferner, die Chefin der Sozialdemokratischen | |
Frauen, hat kürzlich vorgeschlagen, in der Fraktion quotierte Doppelspitzen | |
einzuführen. Ist die SPD aber auch reif dafür? | |
Durchaus. Die Doppelspitze entspräche der gegenwärtigen innerparteilichen | |
Kultur. Sie würde aber zugleich ein Problem darstellen. Denn die SPD ist | |
wegen der häufigen Wechsel an der Parteispitze an führungsfähigem Personal | |
ohnehin stark ausgezehrt. Erst in letzter Zeit zeichnet sich da eine | |
Verbesserung ab, wegen der Stärke der SPD in den Ländern. Dort haben sich | |
eine ganze Reihe jüngerer Leute positioniert, die absehbar auch für | |
Führungsposten auf der Bundesebene bereitstehen. | |
Aber sind denn Doppelspitzen überhaupt noch zeitgemäß? | |
Grundsätzlich gilt, dass gerade in heterogenen Parteien, die obendrein ein | |
breites Wählerspektrum ansprechen wollen, eine kollektive Führung durchaus | |
sinnvoll sein kann. Doppelspitzen machen aber nur Sinn, wenn die Leute an | |
der Spitze sich auch im Auftreten und in den Inhalten unterscheiden und | |
dadurch verschiedene Zielgruppen ansprechen können. Und das setzt wiederum | |
lebendige Flügel in der Partei voraus, aus denen solche Führungsfiguren | |
hervorgehen. | |
Aber gerade die SPD-Flügel sind mittlerweile zu reinen Postenagenturen | |
degeneriert. Bei der SPD bedeuteten Doppelspitzen aktuell also eine reine | |
Multiplikation von Führungsposten. | |
10 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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