| # taz.de -- Versorgungsmentalität bei Politikern: Die Neidtragenden schlagen z… | |
| > Pofalla, Wulff, Steinbrück – Einkommensmaximierung als Prinzip. Die | |
| > Kritik der Wähler am Verhalten der Politiker wirkt kleinkariert, ist aber | |
| > berechtigt. | |
| Bild: Altpräsident Wulff (li.) und Bahnenthusiast Pofalla freuen sich. | |
| BERLIN taz | Ronald Pofalla macht derzeit eine unangenehme Erfahrung, die | |
| er mit Expräsident Christian Wulff oder dem einstigen SPD-Kanzlerkandidaten | |
| Peer Steinbrück teilt: In Deutschland gibt es eine ausgeprägte Neidkultur. | |
| Die Wähler goutieren es nicht, wenn Politiker ihr Einkommen zu maximieren | |
| versuchen. Das wird abgestraft. Mit Häme, Liebesentzug und medialen | |
| Kampagnen. | |
| Damit kein Missverständnis aufkommt: Mit Pofalla muss man kein Mitleid | |
| haben. Er hat jeden Fehler begangen, den man als Politiker vermeiden | |
| sollte. Er hat seinen Wahlkreis belogen, indem er sich erneut als | |
| Direktkandidat aufstellen ließ, obwohl er offenbar seit Monaten wusste, | |
| dass er in den Vorstand der Bahn wechseln könnte. | |
| Als er sich dann im Dezember aus dem Kanzleramt verabschiedete, erzählte er | |
| nicht etwa von seinem neuen Job, sondern ließ verbreiten, dass er mehr Zeit | |
| für seine Lebenspartnerin haben wolle. Und schließlich hält sich hartnäckig | |
| das Gerücht, dass es Pofalla nicht reichte, als Bahnvorstand mindestens 1,3 | |
| Millionen Euro im Jahr zu verdienen – sondern dass er auch noch sein Mandat | |
| im Bundestag behalten wollte. Dies sei ihm von Parteikollegen ausgeredet | |
| worden. | |
| Zudem riecht es natürlich nach Korruption, wenn der Bahn-Vorstand extra | |
| erweitert wird, um Pofalla aufzunehmen – der vorher im Kanzleramt für die | |
| Bahn zuständig war. | |
| ## Überschießende Emotion | |
| Die Empörung, die die Affäre weckt, ist also angebracht. Dennoch bleibt | |
| eine Restgröße an überschießender Emotion. An der Person Pofalla wird | |
| verhandelt, welche Chancen der normale Bürger hat, sein Einkommen so krass | |
| zu steigern – nämlich gar keine. | |
| Stattdessen sind die Realeinkommen der deutschen Arbeitnehmer sogar | |
| gefallen. Wie das Statistische Bundesamt vor Weihnachten meldete, lagen die | |
| Reallöhne im dritten Quartal um 0,3 Prozent niedriger als ein Jahr zuvor. | |
| Zudem ist es nicht das erste Mal, dass die Einkommen sinken: Zwischen 2000 | |
| und 2010 sind die Realeinkommen im Mittel um 4,2 Prozent gefallen. | |
| Ein vollzeitbeschäftigter Arbeitnehmer verdient im Durchschnitt momentan | |
| 3.462 Euro brutto im Monat. Da muss es Neid erwecken, mit welcher | |
| Behändigkeit sich Pofalla den eigenen Aufstieg vom Kanzleramt in den | |
| Bahnvorstand organisieren will. Millionenbezüge inklusive. | |
| Die Deutschen machen die Erfahrung, dass sich „Leistung“ offenbar nicht | |
| mehr für jeden lohnt, sondern nur noch für die gut vernetzte Elite. Die | |
| Missgunst ist berechtigt. | |
| ## Keinerlei Mitleid | |
| Von diesem Neid nährte sich auch die Causa Steinbrück: Der Exfinanzminister | |
| betreibt ein schwunghaftes Vortragsgewerbe, das ihm zwischen 2009 und 2012 | |
| etwa 1,25 Millionen Euro eingebracht hat – während er gleichzeitig im | |
| Bundestag saß und Diäten bezog. Man mag es kleinkariert finden, aber so | |
| kleinkariert sind Wähler, wenn sie selbst regelmäßig an einem schlecht | |
| bezahlten Arbeitsplatz erscheinen müssen: Sie fragten sich, wie viel Zeit | |
| dem Vortragsredner Steinbrück wohl blieb, um seine Aufgaben im Bundestag zu | |
| erledigen? | |
| Für die politische Elite, so die verbreitete Vermutung, scheinen eigene | |
| Regeln zu gelten, wie sich Eigennutz und Amt verbinden lassen. Dieses | |
| Misstrauen erklärt auch, warum es zur Affäre Wulff kommen konnte, bei der | |
| sogar ein rotes Bobby Car nicht zu klein war, um bundesweite Empörung | |
| auszulösen. Vor Gericht geht es derzeit nur noch um lächerliche 720 Euro, | |
| die Wulff indirekt vom Filmemacher Groenewold erhalten haben soll. Ein | |
| Freispruch ist höchst wahrscheinlich. Dennoch haben 64 Prozent der | |
| Deutschen keinerlei Mitleid mit Wulff, wie Umfragen zeigen. Sie finden es | |
| „gerecht“, dass er sein Amt und seine Glaubwürdigkeit verloren hat, obwohl | |
| ihm konkret nichts nachgewiesen werden konnte. Den Wählern reicht das | |
| sichere Gefühl, dass Wulff nur sein Eigeninteresse sah, als er sich in die | |
| Welt der Mächtigen und Glamourösen hineinschleimte. | |
| Diese Missgunst ist neu. Man denke nur an Gerhard Schröder: Der Exkanzler | |
| inszenierte sich als „Genosse der Bosse“ – und ließ seinen Wahlkampf von | |
| Carsten Maschmeyer finanzieren. 650.000 Mark hat der Multimillionär 1998 | |
| für eine Kampagne Schröders springen lassen, was damals jeder wusste und | |
| niemanden gestört hat. | |
| Jetzt wäre es undenkbar. Zwischen damals und heute liegen die rot-grünen | |
| Hartz-Gesetze, die indirekt auf fast alle Gehälter drücken. Es war | |
| politisch gewollt, dass die Reallöhne in Deutschland fallen. Was wie Neid | |
| wirkt, ist daher in Wahrheit ein völlig anderes Gefühl: Die Bürger | |
| verlangen Konsequenz. Wenn Politiker glauben, dass die Löhne ruhig sinken | |
| können – dann soll es auch für sie selbst gelten. | |
| 7 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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