# taz.de -- Europaparlament für CO2-Verpressung: Das Kartell der Klimaretter | |
> Das Europaparlament ist sich sicher: Um den weltweiten Temparaturanstieg | |
> unter zwei Grad zu halten, muss Kohlendioxid in die Erde gepumpt werden. | |
Bild: Protestaktion gegen die Verpressung von Kohlendioxid (CO2) | |
BERLIN taz | Es sieht nicht gut aus für das Weltklima. Und das, obwohl | |
weltweit über 200 Milliarden Euro im Jahr in erneuerbare Energien | |
investiert werden, wobei China und die USA noch vor | |
Energiewende-Deutschland liegen. Und obwohl laut Internationaler | |
Energieagentur IEA bis 2035 weltweit die Hälfte aller Investitionen in | |
Kraftwerke in regenerative Energien fließen sollen.Was tun? | |
Für das Europaparlament, die EU-Kommission und ein weltweites Netzwerk von | |
Energieunternehmen, Forschungseinrichtungen, Banken, Versicherern, | |
Politikern und Universitäten und auch einige Umweltverbände ist klar: Ohne | |
das sogenannte CCS gibt es keine Lösung des Klimaproblems. „Carbon Capture | |
and Storage“ ist eine Technik, bei der das häufigste Klimagas Kohlendioxid | |
(CO2) aus der Abluft gefiltert und unter die Erde gepresst wird. | |
Die großflächige, umfassende Anwendung der Technik sei „wesentlich“, um d… | |
weltweiten Temperaturanstieg unter 2 Grad zu halten. | |
Das Papier, das das Europaparlament am Dienstag mit großer Mehrheit | |
beschlossen hat, ist nur eine Empfehlung an die EU-Kommission, doch sie | |
kommt in einem entscheidenden Moment: Im nächsten halben Jahr entscheidet | |
die Europäische Union über ihre Klimaschutzziele bis zum Jahr 2030 – also | |
darüber, wie viel CO2 und Energie eingespart werden soll, wie hoch der | |
Anteil an Sonnen-, Wind- und Wasserstrom dann sein soll. Mit anderen | |
Worten: den Rahmen für die EU-Energie- und Industriepolitik der nächsten 16 | |
Jahre. | |
Dort sollen, so fordert Europas Parlament, nicht nur erneuerbare Energien | |
gefördert werden, sondern auch CCS – und zwar gleichrangig. Konkret fordern | |
die Parlamentarier von den EU-Mitgliedstaaten „Finanzierungsmechanismen | |
entsprechend denen zur Förderung erneuerbarer Energien“. Und: Um ihre | |
skeptischen Bevölkerungen zu überzeugen, müssten die Staaten | |
„möglicherweise die Initiative ergreifen“. | |
In der Praxis könnte das bedeuten: Ein Energiekonzern baut ein neues | |
Kohlekraftwerk mit CCS, die Stromkunden zahlen dafür eine Umlage wie heute | |
für Windstrom. Und wenn sich einer drüber aufregt, sorgen staatliche Organe | |
für die notwendige PR. | |
Bas Eickhout von den niederländischen Grünen ist einer der wenigen | |
Abgeordneten, die gegen das Papier stimmen. Er ist zwar nicht grundsätzlich | |
gegen CCS, weil die Technik am Ende die einzige Möglichkeit sein könnte, | |
Stahl-, Papier- oder Zementproduktion klimaneutral zu gestalten. Dennoch: | |
„Das Papier ist kein abwägender politischer Bericht, das ist eine reine | |
CCS-Werbebroschüre.“ Das Parlament stellt nicht die Frage, ob die Technik | |
sicher ist, es schreibt einzig, dass es darum gehe, „die Unbedenklichkeit | |
für die Umwelt zu bestätigen“. | |
Will man wirklich wissen, was hinter CCS steckt, muss man tief in den | |
Studien wühlen, auf die sich die EU beruft. Das wichtigste Argument neben | |
dem Klimaschutz: CCS soll billig sein. Laut Europaparlament muss man mit | |
CCS global 40 Prozent weniger in Kraftwerke investieren, um das | |
2-Grad-Klimaschutzziel zu erreichen. Wenn man also die Kohlekraftwerke am | |
Netz lässt und das CO2 wegfiltert, statt sie durch andere Energiequellen | |
wie Wind oder Sonne zu ersetzen. | |
Aber stimmt das? Das muss man erklären, sagt Juho Lipponen. Der Berater für | |
Elektrizitätsmärkte und Energiepolitik muss es wissen, er erstellt bei der | |
Internationalen Energieagentur (IEA) den Bericht „Energy Technology | |
Perspectives 2012“. | |
## Die Kooperationspartner | |
Die IEA wird von diversen OECD-Staaten finanziert, erstellt unter anderem | |
den weltweit beachteten „World Energy Outlook“ und ist Kooperationspartner | |
einer der vielen Pro-CCS-Organisationen, die von vielen Industrieverbänden | |
getragen werden. | |
Lipponen stellt die Sache am Telefon klar. Man habe alles bedacht: die | |
Kostensenkungen bei erneuerbaren Energien beispielsweise. Tatsächlich | |
schreibt die EU in ihren Papieren auch nicht, mit CCS sei eine globale | |
Energieversorgung, die das 2-Grad-Ziel einhält, 40 Prozent billiger. Sie | |
schreibt, der „Investitionsbedarf“ sei 40 Prozent niedriger – das macht | |
laut IEA circa 3,1 Billionen Dollar aus. | |
Doch was sagt diese Zahl über die Kosten von CCS im Vergleich zum Einsatz | |
von erneuerbaren Energien aus? Nicht viel. Sie blendet zum Beispiel einen | |
entscheidenden Vorteil von Wind- und Sonnenstrom einfach aus, nämlich dass | |
man durch diese knappe Rohstoffe wie Kohle und Öl einspart. | |
## Zwei und Zwei sind nicht immer vier | |
Rechnet man das ein, sinkt der Vorteil von CCS weltweit bis 2050 laut IEA | |
auf 1,9 Billionen Dollar. Leider legt die IEA nicht offen, mit was für | |
Preisen für verschiedene Energieträger sie kalkuliert – und offenbar fragt | |
niemand in der EU nach. Lediglich Kohle, so erfährt man, wird um 30 Prozent | |
billiger als heute angesetzt. Das macht Kohlestrom mit CCS günstiger. | |
Klar ist allerdings, wie die EU-Kommission rechnet. Grundlage für ihre | |
Energie- und Klimapolitik bis 2030 sind die Zahlen aus dem sogenannten | |
Energiefahrplan 2050, in dem die Europäische Union CCS längst für | |
unersetzlich erklärt hat. Darin, so rechnete das Deutsche Institut für | |
Wirtschaftsforschung kürzlich vor, ist Solarenergie im Jahr 2030 auf einmal | |
wieder teurer als heute – und das, obwohl jeder, der bei Verstand ist, von | |
einer Preishalbierung ausgeht. | |
Der grüne Europaparlamentarier Eickhout glaubt, CCS gebe es vor allem, | |
damit weiter auf Kohle gesetzt werden kann – statt das Energiesystem zu | |
reformieren. Dazu passt, dass die IEA 2012 schrieb: Wenn die Erderwärmung | |
unter 2 Grad gehalten werden soll, dürfen bis 2050 nur ein Drittel der | |
nachgewiesenen Reserven an fossilen Rohstoffen verbrannt werden – oder man | |
muss auf CCS setzen. Andernfalls drohen gewaltige Vermögensverluste für die | |
Rohstoffbesitzer – also Staaten und Industrie. | |
14 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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