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# taz.de -- Gentrifizierung: Das Milieu wehrt sich
> Anwohner von Alt-Treptow beantragen Milieuschutz gegen hohe Mieten. Immer
> mehr Bezirke greifen zu diesem Mittel, obwohl ein direkter Nutzen
> fraglich ist.
Bild: Altbau: schön und teuer aufgehübscht.
Den BürgerInnen von Alt-Treptow reicht es: Neuvermietungsmieten von 8 bis
10 Euro pro Quadratmeter sind die Regel in ihrem Kiez, die Zahl aufwendiger
Sanierungen nimmt zu, ebenso die Umwandlungen von Miet- in
Eigentumswohnungen. Daher haben jetzt mehr als 1.300 AnwohnerInnen bei der
Bezirksverordnetenversammlung (BVV) Milieuschutz beantragt. „Wir befürchten
weitere Luxussanierungen. Schon jetzt mussten einige wegziehen“, sagt
Jürgen Hans von der Kungerkiezinitiative, die den Antrag mitinitiiert hat.
Die rasant steigenden Mieten waren wiederholt Thema in der BVV
Treptow-Köpenick. Bereits vor einem Jahr diskutierten die Lokalpolitiker
einen Antrag von Linkspartei und Grünen, in Alt-Treptow ein
Milieuschutzgebiet einzurichten. CDU und SPD verwiesen das Thema damals
zurück in die Ausschüsse. Mit dem jetzt gestellten Anwohnerantrag, den
immerhin 11 Prozent der Bewohner im Stadtteil unterschrieben haben, ist die
BVV verpflichtet, sich binnen zweier Monate erneut zu äußern. „Ich bin
optimistisch, dass sich die Politiker dem Bürgerwillen nicht mehr
verweigern können“, sagt Hans. Schließlich stünden mit der
Kungerkiezinitiative und dem Sozialbündnis Alt-Treptow alle lokalen
Institutionen hinter dem Antrag.
Mit einer sogenannten Erhaltungssatzung können Bezirke den Hauseigentümern
Beschränkungen auferlegen, um die soziale Mischung in einem Kiez zu
erhalten. Aufwendige Sanierungen – etwa der Anbau eines zweiten Balkons
oder Aufzugs oder das Zusammenlegen von Wohnungen – können damit untersagt
werden. Auch die Umwandlung in Eigentumswohnungen könnte damit
genehmigungspflichtig werden – dafür bedürfte es allerdings einer
„Umwandlungsverordnung“ des Senats, die dieser bis heute nicht beschlossen
hat. Zudem muss der Bezirk vor Einrichtung eines Schutzgebietes die soziale
Zusammensetzung des betreffenden Kiezes untersuchen lassen und feststellen,
inwieweit sie durch Aufwertung gefährdet ist. Solche Studien kosten die
ewig klammen Bezirke, je nach Schätzung, zwischen 10.000 und 50.000 Euro.
Trotz dieser Hürden wird der Milieuschutz in zwei Bezirken bereits
ausgiebig als Instrument gegen Luxussanierung genutzt: In Pankow gibt es
elf Erhaltungsgebiete, in Friedrichshain-Kreuzberg wurde mit dem Gebiet um
die Petersburger Straße vorige Woche die zehnte Schutzzone ausgewiesen.
Auch andere Bezirke setzen mittlerweile auf dieses Instrument: Im August
erließ Tempelhof-Schöneberg eine Schutzverordnung für die Gebiete um
Bayerischen und Kaiser-Wilhelm-Platz. Die BVVen Mitte und
Charlottenburg-Wilmersdorf beschlossen im November, Studien in Auftrag zu
geben, um zu prüfen, in welchen Wohngebieten Milieuschutz angebracht sein
könnte.
In Neukölln allerdings, einem von der rasanten Mietentwicklung besonders
betroffenen Bezirk, weigert sich die SPD standhaft, den Milieuschutz
bestimmter Gebiete auszurufen. „Das ist kein taugliches Instrument gegen
steigende Mieten“, sagt Baustadtrat Thomas Blesing. Immerhin lässt er jetzt
am Beispiel des Reuterplatzes prüfen, wie sich dort ein Milieuschutz auf
die Mietentwicklung ausgewirkt hätte – wenn es ihn in den vergangenen zwei
Jahren gegeben hätte.
Dass das Ergebnis der Studie, die im Sommer vorliegen soll, die Neuköllner
SPD zum Umdenken bewegt, glaubt der Vorsitzende des dortigen
Stadtentwicklungsausschusses, Jochen Biedermann, allerdings nicht. Es gehe
der SPD offensichtlich darum, Argumente gegen Milieuschutz zu finden, indem
man zu hohe Erwartungen formuliert. Dabei sei auch den Befürwortern klar,
dass Milieuschutz allein den Mietanstieg nicht verhindern kann. „Das ist
kein Allheilmittel“, so der Grüne.
Was aber bringt Milieuschutz dann – wenn er nicht gegen die normalen
gesetzlichen Mietsteigerungen hilft und auch nicht gegen horrende
Steigerungen bei Neuvermietung?
Die Befürworter sagen, dass er den Mietanstieg zumindest verlangsamt, weil
er Luxussanierungen verhindern kann. Eine Studie der Asum GmbH, die sich
mit sozialen Aspekten von Stadtentwicklung befasst, scheint dies zu
bestätigen. Im Auftrag von Friedrichshain-Kreuzberg hat Asum 2012 die
Wirkungen des Milieuschutzes im Gebiet Boxhagener Platz untersucht. Die
Wissenschaftler kamen zu dem Schluss, dass dank Milieuschutz zumindest das
„Niveau der Ausstattungsstandards der Wohnungen erhalten werden konnte und
sich nicht in Richtung höherwertiger Standards verändert hat“. Dadurch
seien vor allem Familien mit Kindern, ältere Menschen und Geringverdiener
„in stärkerem Maße im Gebiet verblieben“.
Genau das erhofft sich Jürgen Hans von der Anwohnerinitiative für
Alt-Treptow: „Noch ist die soziale Mischung bei uns ganz okay. Aber man
muss jetzt handeln.“
23 Jan 2014
## AUTOREN
Susanne Memarnia
## TAGS
Immobilienmarkt
Berlin-Wedding
Mietenbewegung
Keupstraße
Schule
Demokratie
Gentrifizierung
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