# taz.de -- Universitäten befördern Gentrifizierung: Hilfe, die Hochschulen k… | |
> Stadtplaner siedeln Unis in runtergekommenen Stadtteilen an. Damit | |
> lancieren sie die Gentrifizierung, generieren aber auch die | |
> Gegenbewegungen. | |
Bild: Gegen Studenten? Selber Studenten? Mietaktivisten in Berlin. | |
Die Hochschulen erobern die Städte. Sie entdecken innenstadtnahe Gebiete | |
als perfekte Standorte. In Düsseldorf errichtet die Fachhochschule ihren | |
Neubau auf dem ehemaligen Gelände eines Schlachthofs. In Hamburg werden im | |
alten Hafen Universitätsneubauten geplant. In Istanbul zieht die | |
Mimar-Sinan-Universität auf das Gelände einer ehemaligen Bierfabrik. | |
Die Top-down von Hochschul- und Stadtverwaltungen geplanten Umzüge bleiben | |
nicht folgenlos, Lokalpresse und InvestorInnen jubeln: „Uni-Neubau soll | |
Viertel aufwerten“, titelt die Welt (1. 10. 2013), und ein Istanbuler | |
Immobilienmakler wirbt „Ihre Eigentumswohnung im Boheme-Viertel“. | |
Ist die Ansiedlung der Hochschulen eine raffinierte Möglichkeit, den | |
Stadtteil aufzuwerten, ohne den mühseligen Weg der klassischen | |
Gentrifizierung zu gehen? Kann das Stadium billiger Wohnungen, kleiner | |
Läden und künstlerischer Projekte mit lästigen Begleiterscheinungen wie | |
soziale Bewegungen, Besetzungen oder Häuserkampf übersprungen werden? Wenn | |
dem so ist, wie können die Hochschulen – ihrem gesellschaftlichen | |
Bildungs-, Forschungs- und Aktionsauftrag folgend – am klebrigen Korsett | |
ihrer Rolle zerren? | |
Die klassischen Gentrifizierungsmodelle bescheinigen Studierenden seit den | |
70er Jahren im Rahmen der Reurbanisierung eine wichtige Rolle bei der | |
Aufwertung von Stadtteilen. Sie gehören zu den „PionierInnen“, also | |
KünstlerInnen, jungen Geschäftsleuten mit ungewöhnlichen Ideen, | |
InitiatorInnen innovativer Wohnformen, die mutig, idealistisch und | |
selbstausbeuterisch mit wenig Startkapital preiswerten Wohn- und | |
Geschäftsraum nutzen und sich Viertel erschließen. | |
## Erst kommen Studierende, dann Investoren | |
Viele dieser PionierInnen sind Studierende, nicht nur in künstlerischen | |
Studiengängen. Lebensstil und politische Orientierung sind oft getragen von | |
einer politisch und/oder kosmopolitisch motivierten Sympathie für die dort | |
bereits länger wohnende Bevölkerung. PionierInnen engagieren sich oft in | |
Stadtteilinitiativen. Die Durchmischung von Stadtteil und Straßenbild führt | |
dazu, dass ein Viertel bald in der KünstlerInnen- und Studierendenszene als | |
Geheimtipp gilt. Weitere PionierInnen ziehen zu, und finanziell | |
interessierte AnlegerInnen werden auf den Stadtteil aufmerksam. | |
Wo Hochschulen direkt ins Viertel hineingesetzt werden, werden die Phasen | |
klassischer Gentrifizierungsmodelle beschleunigt oder gar übersprungen: | |
Bereits vor Grundsteinlegung ist potenziellen InvestorInnen klar, dass das | |
Viertel sich wandelt und dass sich die Geldanlage lohnt. Denn die Uni kommt | |
nicht allein. | |
Die Neubauten der Hochschulen folgen der Wiederentdeckung der Stadt als | |
Wohn-, Freizeit- und Wissensstandort. Mit dem Ausruf der Dienstleistungs- | |
und Wissensgesellschaft sind die Hochschulen als Leuchttürme einer | |
Wissensökonomie besonders begehrt. | |
## „Studentification“ verändert britische Städte | |
Analysiert man die „Renaissance der Stadt“, fällt vor allem der Zuzug von | |
Studierenden und Akademikern auf, die als Bildungs- und Wissenswanderer die | |
deutlichste Tendenz zum urbanen Raum aufweisen. Es kommt zu einer | |
räumlichen Konzentration durch Studierende, die spezifische | |
Gentrifizierungsprozesse auslöst. | |
Nach der Stadtgeografin Doris Schmied ist diese „Studentification“ (Darren | |
Smith) heute einer der wichtigsten Transformationsprozesse in britischen | |
Städten. Probleme entstehen, wo sich das Sozialverhalten und die | |
Raum-Zeit-Muster der alten und neuen BewohnerInnen stark voneinander | |
unterscheiden und es zu vielfältigen Veränderungen kommt. | |
Vor allem aber führt die Top-down-Setzung der Hochschule viel schneller zu | |
einem Aufwertungssog mit Preissteigerungen und Verdrängungen. Die | |
Hochschule also als perfekte Maschine der Wissensgesellschaft und einer | |
„Instant-Gentrification“? | |
Hochschulen sind „passagere“ Orte. Studierende wie Lehrende sind so | |
sozialisiert, dass die Hochschule ihnen nicht gehört, dass sie spurlos | |
kommen und gehen. Studierende besitzen in der Regel keine Fächer, tragen | |
ihre Arbeitsmaterialien mit sich und müssen sich verjagen lassen, wenn sie | |
in einem leer stehenden Seminarraum arbeiten wollen. | |
Selten wagen Studierende die Hochschule selbst zu nutzen, dort Spuren zu | |
hinterlassen, studentische Arbeitsräume zu fordern, Kitas einzurichten, | |
genossenschaftliche Cafés zu betreiben, statt brav Latte macchiato aus | |
Wegwerfbechern zu trinken. Müsste dem „Recht auf Stadt“ nicht ein „Recht | |
auf Hochschule“ folgen? | |
Das studentische Wohnen passt gut ins Renditekalkül. Vom abgerissenen | |
Altbau bis zur luxussanierten teuren WG-Wohnung akzeptieren Studierende | |
fast alles und verschwinden mit Ablauf ihres befristeten Mietvertrages – | |
ideal für BesitzerInnen und KapitalanlegerInnen. | |
Was macht Studierende noch nützlich: Wenn es stimmt, dass erfolgreiche und | |
teure innenstadtnahe Stadtteile so restauriert und bebaut sind, dass sie | |
für TouristInnen attraktiv sind, dürfen sie nicht steril daherkommen. Das | |
„posttouristische“ Auge (John Urry) sucht das Authentische, Originelle und | |
Unverstellte eines Ortes. Dies garantieren die Studierenden, die einem | |
Stadtteil Farbe und jugendliches Flair verleihen. | |
Aber: Einfache Rechnungen jedweder Art gehen mit Hochschulen nicht auf. | |
Hochschulen sind Orte der Ambivalenz. Einerseits stützen und stabilisieren | |
sie das Bestehende, indem sie gerade zu Zeiten des Turbobachelors | |
systemkonform ausbilden. Andererseits ist die Hochschule auch Ort | |
kritischen Denkens. | |
Ob in der Vergangenheit (Hafenstraße in Hamburg, Stollwerk-Gelände in Köln) | |
oder Gegenwart (Institut für vergleichende Irrelevanz in Frankfurt, Rote | |
Flora in Hamburg, Tarlabasi in Istanbul) – soziale Bewegungen wurden und | |
werden aus Hochschulen heraus unterstützt. | |
## Auch Studierende kämpfen für das „Recht auf Stadt“ | |
Trotzdem bewegen Athen, Madrid, Tel Aviv, Frankfurt, Istanbul, Hamburg – | |
Städte, in denen Menschen als Reaktion auf Finanz- und Politikkrisen oder | |
für ein „Recht auf Stadt“ auf die Straße gingen. Getragen wurden diese | |
Proteste von Studierenden und griffen auch oftmals auf die Hochschule über. | |
Die Gezipark-Bewegung in Istanbul ist das jüngste Beispiel, wie eine | |
Bewegung, die sich an der Frage „Wem gehört die Stadt?“ entzündet, auf die | |
Hochschulen übergreift. | |
Haben politische Bewegungen und soziale Kämpfe stets in Städten einen | |
zentralen Ort gehabt, so erleben wir derzeit neue Formen und Aktionen zur | |
Durchsetzung von Rechten und Ideen. Diese neuen Praktiken des | |
selbst-verständlichen Lebens in und Be-Lebens von Stadt prägten die | |
Nachrichten des Jahres 2013. | |
Die Menschen sehen in ihrem urbanen Umfeld wieder einen Möglichkeits- und | |
Handlungsraum, der sich aneignen und gestalten lässt: Sie nutzen den | |
städtischen Raum für ihre Aktionen. So entstehen „temporäre Räume | |
demokratischen Experimentierens“ (Simon Teune). | |
In den Aktionen spielen kreativ-künstlerische Praktiken eine immer größere | |
Rolle. Ob Performances, Street-Art, Okkupationen, ob Gärten auf Brachen, | |
Häkeln für Laternen oder Frühstücken im öffentlichen Raum – ein | |
„Mitmach-Urbanismus“ greift um sich. | |
## Lehrende – raus aus dem Hörsaal, rein ins Viertel! | |
Diesen engagiert-kritischen Mitmach-Urbanismus gilt es an der Hochschule | |
einzuüben, zu lernen, zu lehren. Vor allem die Lehrenden sind gefordert. | |
Sie sollten mit ihren Seminarthemen in die Stadt gehen, die Hochschule in | |
den Stadtteil öffnen. | |
Die Studierenden sollen sehenden Auges und mit kritischem Blick ihren | |
Hochschulstadtteil wahrnehmen und ihn mit seiner Geschichte, seiner | |
Architektur, seiner Bevölkerung, seinem Klima und seinen | |
Verkehrsverbindungen, seinen globalen Verflechtungen und lokalen Szenen als | |
Mikrokosmos der Gesellschaft und einer globalisierten Welt begreifen, der | |
von unterschiedlichen AkteurInnen genutzt wird. | |
Wer solch eine umgebungs-aufmerksame Haltung an der Hochschule erlernt, | |
wird sich hoffentlich woanders wieder interessieren und es einfordern: das | |
Recht auf Stadt! | |
30 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Lilo Schmitz | |
Alexander Flohé | |
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ist ganz schön geschichtsvergessen. |