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# taz.de -- Politische Wandbilder in Berlin: Übermalt, ausgeschnitten, entfernt
> Gleich zwei politische Wandbilder sind in den vergangenen Wochen in
> Berlin verschwunden. Gibt es keinen Raum mehr für Gesellschaftskritik?
Bild: Eine Zensur findet nicht statt.
BERLIN taz | Wer dieser Tage an der Köpenicker Straße Ecke Engeldamm
entlangfährt, der wird ihn vielleicht vermissen: diesen wahnsinnig
poetischen Spruch, der da mit schwarzer Teerfarbe an die Hausfassade über
A.T.U. gemalt war. „Die Grenze verläuft nicht zwischen oben und unten
sondern zwischen dir und mir.“
Ein kleiner Denkanstoß auf dem Weg zur Arbeit, von der Schule, zum
Ostbahnhof. Wer ihn da oben entdeckt hat, hat vielleicht kurz genickt.
„Jaja, so ist es“, dann schnell weiter im Alltag. Es war ein grob
gemalerter Spruchs mit teilweise verdrehten Buchstaben, weil der Künstler
wohl von oben gepinselt hat und dabei mit dem „S“ nicht ganz klarkam; nun
prangt dort ein Werbebild eines großen amerikanischen
Sportartikelherstellers. Im Stil südamerikanischer Murals begegnen sich
zwei Kicker in einer Art Feuerkranz. Sehr dekorativ, fast könnte man
meinen, dass auch hier aufgeräumt werden soll mit den schmuddeligen Ecken,
wenngleich mit weniger Waffengewalt als in Rio oder São Paolo.
Und so verliert Berlin auch an dieser Stelle wieder etwas von der Kante,
für die es so berühmt ist, und wird, dem Markt und der Verwertungslogik sei
Dank, wieder ein Stückchen glatter.
Dabei war der Spruch, der da auf weißer Fassade stand, nur die Antwort auf
einen anderen, der schon vor Längerem der Investitionslust neuer Bauherren
und der sogenannten Innenstadtverdichtung zum Opfer fiel. An der östlichen
Brandmauer der KØPI in der Köpenicker Straße 137 hatten unbekannte
KünstlerInnen mit weißer Farbe auf die graue Fassade die Worte „Die Grenze
verläuft nicht zwischen den Völkern sondern zwischen oben und unten“
geschrieben.
Inhaltlich weit handfester als die gefühlige Antwort von gegenüber, ist sie
schon seit Jahren hinter unfertigen Neubauten verschwunden. Der Bau ruht,
die Rohbauten verrotten, noch gibt es hier keine hübschen Geschäfte und
Eigentumslofts. Doch der Wille ist erkennbar, das Kreuzberg-Mitte-Gebiet
mit einem schicken Neubau zu segnen, was dann womöglich auch am
starrköpfigen Abwehrkampf der KØPI-Bewohner gescheitert ist. Keine Sorge:
Mit genug Polizei ist auch hier eine Lösung zu finden, und der Zahn der
Zeit nagt auch an den militantesten Hausbesetzern. Irgendwann sind sie alle
weg, denkt man sich vermutlich in den Amtsstuben.
Bis sich das Problem von alleine löst, darauf wollte sich die Polizei in
der letzten Woche allerdings nicht verlassen. Sie griff beherzt ein, als
das Plakatief-Kollektiv das neueste Werk ihrer permanenten Wandzeitung an
der Brandwand Manteuffel- Ecke Oranienstraße enthüllte. Seit 20 Jahren
kleben die Seilarbeiter nun schon politische Botschaften an diese Hauswand,
und schon manches Mal gab es gerichtliche Auseinandersetzungen um einzelne
Aussagen. So wurde ein Zitat des ehemaligen Berliner CDU Fraktionschefs
Klaus-Rüdiger Landowsky, in dem er von „Ratten“ und „Gesindel“ sprach,
mehrmals beseitigt, weil ihn die Künstler per aufgemaltem Konterfei in eine
Reihe mit Josef Goebbels und Franz Josef Strauß gestellt hatten.
Nun erinnerte das Kollektiv an den Nagelbombenanschlag in der Kölner
Keupstraße vor zehn Jahren, mit dem Bild eines Fahrrads, das an einem
Straßenschild lehnt. Daneben war zu lesen: „Staat und Nazis Hand in Hand“.
„War“ deshalb, weil kurz nach Fertigstellung des Plakats die Polizei mit
einem Großaufgebot auftauchte, um die strafrechtliche Relevanz der
ungehörigen Behauptung festzustellen und zu beseitigen. Ein Leiterwagen der
Feuerwehr wurde gerufen, und mit etwas Amtshilfe ließen die Beamten in Grün
besagte Textpassage entfernen. Einsame Spitze in Sachen Livecomedy, eine
deutliche Aufwertung der politischen Botschaft. Weiter so!
Zumindest so lange, bis auch diese Brache erschlossen und diese Lücke
geschlossen wird. Bei den derzeitigen Immobilienpreisen und der
gleichzeitigen Beliebtheit von Kreuzberg ist das sicher nur noch eine Frage
der Zeit. So lange muss sich die Berliner Polizei mit den unangenehmen
Wahrheiten auf den Plakaten herumschlagen und weiter aufpassen, damit ja
kein Unrecht geschieht. Plakatief selbst hat übrigens Anzeige gegen die
Polizei wegen Sachbeschädigung gestellt – den Rechtsstaat mit seinen
eigenen Mitteln bekämpfen, solange man noch kann.
12 Jun 2014
## AUTOREN
Marcus Staiger
## TAGS
Keupstraße
Graffiti
Polizei
Schwerpunkt Neonazis
Zensur
Schwerpunkt Rechter Terror
Cuvrybrache
Schwerpunkt Rassismus
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