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# taz.de -- Kolumne Deutsch-Sowjetische Freundschaft: Hort des Schreckens
> Doppeltoiletten, Straßenköter, Nacktscanner, FSB und kolorierter Dreck.
> Unsere Auftakt-Kolumne aus Sotschi verspricht spannende Wochen.
Bild: Bestes Wetter in Sotschi zum Skaten
SOTSCHI taz | Vor den Winterspielen von Vancouver gab es Warnungen vor
Bettwanzen und Drogensüchtigen auf der Straße. Sotschi ist im Vergleich zur
kanadischen Metropole ein viel größerer Hort des Schreckens. Mal abgesehen
von Putins Bombast-Rock, den er im wärmsten Ort Russlands hat spielen
lassen, und seiner Schwulophobie, geisterten schon Tage vor Olympia Bilder
von Doppeltoiletten durchs Netz. Und von schlimmen Hotelzimmern. Aber dazu
später.
Auf den Doppelaborten kann man also ohne Trennwand zusammen scheißen.
Implizit stand die Frage im Raum: Ist das in Russland überall so? Dann
tauchten Schnappschüsse von engen und viel zu kurzen Betten im Olympischen
Dorf auf. Man fragte wieder: Können Athleten, die in solchen Kojen liegen,
überhaupt Leistung bringen? Sotschis Straßenköter und die vielen
Schlammlöcher auf dem Olympiagelände werden auch gern abgelichtet. Sie
kreisen im Netz als Dokumente olympischer Abgefucktheit.
Gestern kam ich dann auf dem Flughafen von Sotschi-Adler an. Und wieder
geisterten mir Bilder durch den Kopf. Szenarien von Überwachung,
Durchleuchtung, von Kästen mit Röntgenblick. Das lag nicht etwa am langen
Flug mit zweimal Umsteigen. Auch nicht an einem Besuch im Nacktscanner auf
der Zwischenstation Moskau-Domodjedowo oder russischem Convenience Food,
nee, sie haben hier am Flughafen von Sotschi Geräte zur Gesichtserkennung
installiert - von der Firma Artec ID. „Broadway 3D“ heißen diese Scanner.
Selbst mit Sonnenbrille und Hut kann die „High-End-Lösung zur maschinellen
Gesichtserkennung“ jeden rausfiltern. Angeblich werden nur
Flughafenmitarbeiter erfasst, aber wer kann das schon sicher sagen.
Womöglich nimmt es Putin nicht so genau mit den Regeln? Könnte doch sein,
oder?
## Sich abchecken lasen
Nachdem ich also professionell erfasst, nackt gescannt war und auch vom
russischen Inlandsgeheimdienst FSB ein blaues Einreisekärtchen bekommen
hatte, suchte ich den Einstieg ins olympische Raumschiff, das in den
Sümpfen des Iremetinischen Tals gelandet ist. So einfach kommt man nicht
hinein, man muss sich halt wie immer bei Großereignissen abchecken lassen.
Ich sah auf meinem Weg zum Hotel ein Dutzend Polizisten und einen Kosaken
mit dieser komischen Fellmütze, die, so steht es im Netz, Papacha heißt.
Ich sah drei Straßenköter, ein paar Zivile freilich auch. Mein Bus kurvte
über ein Geflecht von Hochstraßen, auf denen viel Blaulicht zuckte. Sah aus
wie Schanghai, war aber doch nur Sotschi.
Mein Hotel, Russkij Dom, liegt in der Zone. Es gibt hier sehr viel Zäune.
Es ist immerhin fertig geworden. Das ist das einzig Positive, was sich von
diesem architektonischen Alptraum sagen lässt. Drumherum ist noch immer
viel Schlamm und Dreck. Man hat mit grüner Farbe gearbeitet, um den Dreck
zu kolorieren. Zur Show wurden ein paar Bäumchen gepflanzt. Die Russen
wussten seit 2007, dass sie heuer die Spiele veranstalten. Aber sie haben
sich Zeit gelassen, sehr viel Zeit.
Ein Reporter von der Washington Post hat schon die einzig wahre olympische
Disziplin für Sotschi ausgemacht: Mud Wrestling, also Schlammcatchen. Bei
aktuell sonnigen 10 Grad plus könnten das Hartgesottene sogar im knappen
Anzug machen.
## Man will wieder weg
Das Russkij Dom ist kein Hotel im herkömmlichen Sinne. Es gibt in diesem
Ensemble des Horrors mehrere Gebäudekomplexe, die man zu besuchen hat.
Rezeption, Frühstückssaal und der eigene 6-Quadratmeter-Verhau sind jeweils
in verschiedenen Blocks, deren Stil sich immer gleicht: hingemurkster
postsowjetischer Schrott-Eklektizismus. Die Blöcke tragen die funkelnden
Namen Ametist, Saphir oder Malachit, und stehen doch nur exemplarisch für
ein olympisches Missverständnis. Alles ist neu, aber schon wieder so
ranzig, dass man hier eigentlich nicht sein möchte.
Von den Neubauten geht eine markerweichende Sterilität aus. Journalisten
fühlen sich kaserniert, in eine Gated Community eingepfercht. Was
Olympstroj, der staatliche russische Baukonzern, da in den Schlamm gesetzt
hat, kommt so völlig ohne Charme daher. So baut man, wenn man eine lästige
Pflicht erfüllen muss. So ist ein Provisorium entstanden Aber vielleicht
trägt das Russkij Dom, in dem es nach Latexfarbe und Mörtel riecht, in dem
die Glühlampen fehlen, bisweilen Dreck in den Ecken liegt und auch der
Fernseher nicht funktioniert, seinen Namen ja zu Recht: Es ist ein
russisches Haus in Putins olympischem Dystopia.
Fehlende Gullideckel, unbrauchbare Toiletten, Straßen aus Schlamm: Eine
Auflistung der Probleme Sotschis findet sich unter
//twitter.com/ProblemsSochi:twitter.com/problemssotchi.
6 Feb 2014
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Sotschi 2014
Schwerpunkt Überwachung
Sicherheit
Hotel
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