Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neue Öko-Verordnung der EU: Die reine Leere
> EU-Agrarkommissar Ciolos will mehr Bio. Doch sein Entwurf für eine neue
> Öko-Verordnung ist zu streng: Verlierer wäre die Umwelt.
Bild: Braucht ordentlich Beinfreiheit, so eine Kuh
BERLIN taz | Sogar Filiz Karabuluts kleiner Backshop im Berliner Stadtteil
Friedrichshain verkauft ein bisschen Bio. Neben all den konventionellen
Brötchen, Biersorten und Süßigkeiten hat die Ladeninhaberin auch Tetrapaks
mit Milch, Plastikverpackungen mit Käse und Butterpäckchen in Ökoqualität
im Sortiment – vielleicht nicht mehr lange. Zumindest wenn es nach
EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos geht.
Der Rumäne hat vor Kurzem einen Entwurf der neuen Ökoverordnung
ausgearbeitet. Sie schreibt vor, wie Lebensmittel erzeugt und gehandelt
werden müssen, damit sie das EU-Biosiegel tragen dürfen: das grüne Logo,
auf dem zwölf weiße Sterne ein Blatt formen. Sein Ziel ist nach eigenen
Angaben, das Vertrauen der Verbraucher in Ökoprodukte zu erhalten.
Einer von Ciolos’ Vorschlägen lautet: Auch kleine Einzelhändler wie
Karabulut, die Bioprodukte nur in abgepackter Form verkaufen, müssten sich
in Zukunft von einer Ökokontrollstelle überprüfen lassen. Das dürfte
Karabulut etwa 250 Euro im Jahr und eine Menge Papierkram kosten.
Dabei ist die Wahrscheinlichkeit extrem gering, dass betrügerische
Ladeninhaber billige konventionelle Milch in Verpackungen mit dem
Biozeichen füllen, dann wieder perfekt versiegeln und teuer verkaufen. Und
für Karabulut ist klar: „Wenn ich jetzt auch noch eine Kontrolle bezahlen
muss, ist es für mich uninteressant, Bio zu verkaufen.“
## Bergbauern in Gefahr
Die heutige Bioverordnung ist erst seit 2009 in Kraft. Viele Regeln seien
noch gar nicht richtig umgesetzt, sagen Vertreter der großen Bioverbände in
Deutschland. Doch Ciolos hatte sich vorgenommen, die EU-Argarpolitik grüner
und gerechter zu gestalten. Er wird voraussichtlich aus dem Amt scheiden,
wenn nach den Europawahlen im Mai eine neue EU-Kommission zusammengesetzt
wird. So gesehen ist die neue Bioverordnung die letzte Möglichkeit, bei
seinem Greening-Projekt noch einen Schritt nach vorne zu machen.
Allerdings: „Wenn dieser Entwurf umgesetzt wird, werden die Bio-Regale in
3, 4 Jahren deutlich leerer werden“, warnt Alexander Beck,
Vorstandsmitglied beim Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). Der
Geschäftsführer der Göttinger Biokontrollstelle GfRS, Jochen Neuendorff,
sagt sogar: „Der Text ist eine Grausamkeit.“ Ähnlich sehen das die meisten
Branchenvertreter, die sich ab Mittwoch in Nürnberg bei der weltgrößten
Ökomesse BioFach treffen.
Denn die Streichung der Ausnahme für den Einzelhandel mit abgepackten
Bioprodukten ist nur ein Beispiel dafür, wie Ciolos’ Pläne dazu beitragen
würden, das Wachstum der noch kleinen deutschen Ökobranche zu bremsen. Ihr
Anteil am deutschen Nahrungsmittelmarkt insgesamt lag 2012 zwar nur bei 3,9
Prozent. Doch das Interesse der Verbraucher an Bio ist so stark, dass die
Nachfrage nur mit Importen gedeckt werden kann.
Ciolos’ Vorschläge würden nun wohl dazu führen, dass viele Biobauern
aufgeben. Gefährdet wären zum Beispiel die Bauern im bayerischen
Alpenvorland mit kleinen Viehbeständen von bis zu 35 Kühen. Sie dürfen die
Kühe bisher – nur im Winter – in traditionellen Ställen an der Kette
halten. Nur zwei Mal Auslauf pro Woche sind vorgeschrieben. Künftig müssten
diese Höfe einen Laufstall bauen, was schon wegen der beengten räumlichen
Verhältnisse in den Bergbauerndörfern eine Herausforderung ist. „Das lohnt
sich bei so kleinen Betrieben aber nicht“, sagt Martina Zengel von der
Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Die Folge ist klar: Kleine
Bergbauernhöfe müssten wachsen, wieder auf konventionell umstellen oder
schließen. Wäre das im Sinne der Tiere oder der Umwelt?
Von solchen „Grausamkeiten“, wie Kritiker meinen, gibt es viele in dem
Text, dem das EU-Parlament und der Rat der Mitgliedstaaten noch zustimmen
müssen.
Beispiel Saatgut: Samen für ökologisch angebautes Gemüse müssten künftig
auch immer aus biologischer Produktion stammen. Das wäre das Aus für viele
Bio-Spargelbauern. Öko-Samen für diese Kultur werden laut der in
Deutschland maßgeblichen Datenbank OrganicXSeeds derzeit nicht angeboten.
Für Schwarzwurzeln gibt es nur zwei Angebote, für Wurzelpetersilie nur
eines – für die ganze Bundesrepublik mit ihren verschiedenen Böden und
Klimata. In anderen EU-Staaten wie Litauen oder Bulgarien ist die Lage noch
schlechter.
## „Positiver Marktausblick“
Beispiel Fischzucht: Heute setzen Biobetriebe in ihre Becken oft Jungtiere
aus konventionellen Anlagen, etwa in der Pangasius-Zucht. Auch das geht
Ciolos zu weit. Der Haken bei seiner Idee: Nur konventionelle Farmen dürfen
die Weibchen durch eine Hormonbehandlung zum Laichen bringen – anders gehe
das in Gefangenschaft nicht, sagt der Sprecher des Bioverbands Naturland,
Markus Fadl. „Es gäbe keinen Bio-Pangasius mehr.“ Und auch nicht mehr die
Vorteile der Ökohaltung: weniger Tiere pro Quadratmeter, weniger
Krankheitsdruck, weniger Medikamente, weniger Belastung des Wassers als bei
der konventionellen Zucht.
Agrarkommissar Ciolos will laut der Einleitung seines Entwurfs aber „einen
positiven Marktausblick“ für die Biobranche schaffen, sprich: mehr Öko
durchsetzen. Dafür ist Verbrauchervertrauen nötig, das Ciolos offenbar
gefährdet sieht – nach all der Kritik an Betrugsfällen etwa in Italien oder
dem Trend zur Industrialisierung, der auch die Ökolandwirtschaft erfasst
hat.
Deshalb hält Ciolos „eine Refokussierung der Bioproduktion auf ihre
Prinzipien“ für notwendig. Dazu zählt für ihn, Ausnahmen von Grundsätzen
wie Umweltschutz, Tierwohl und Natürlichkeit zu streichen.
Tatsächlich könnte Bio so noch reiner, noch konsequenter werden. In der
Theorie eigentlich ein lobenswerter Ansatz. Doch in der Praxis fürchtet die
Branche, dass das Sortiment kleiner wird und die Nachfrage nicht mehr
gedeckt werden kann. Wenn die Verbraucher dann wieder zur konventionellen
Konkurrenz wechselten, hießen die Verlierer am Ende: Umwelt, Tiere und
Natur. Es wäre ein Pyrrhussieg der Ideologie über den Pragmatismus.
8 Feb 2014
## AUTOREN
Jost Maurin
## TAGS
EU
Dacian Ciolos
Bio-Lebensmittel
EU
Neuland
EU-Kommission
Betrug
Bio
Biosiegel
Biofach
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neue Regeln für Ökoprodukte: Aus für die EU-Bio-Agentur
Eine zentrale Kontrollstelle scheitert am EU-Parlament. Die sollte
eigentlich in Betrugsfällen tätig werden und so das Vertrauen in die
Branche steigern.
Neuauflage der EU-Ökoverordnung: 24.000 statt 3.000 Legehennen
Die Tierzahl in Ställen soll stärker begrenzt werden, verlangt
EU-Parlamentarier Martin Häusling. Die derzeitigen Regeln seien zu
flexibel.
Kommentar Fleischskandal: Neuanfang für Neuland
Die Missstände beim Alternativ-Fleischhersteller Neuland sind gravierend.
Nur wenn Manager ausgetauscht werden, kann es einen Neuanfang geben.
Kommentar Bio-Lebensmittel-Verordnung: Dokument der Hilflosigkeit
Die EU-Kommission hat mit dem Vorschlag neuer Regeln für das Biosiegel zum
großen Wurf ausgeholt. Vertrauen der Verbraucher bringt das nicht zurück.
Kommentar Kontrolle von Bioprodukten: Verstaatlichung hilft nicht
Der aktuelle Bioskandal in Italien zeigt, behördliche Strukturen können
sogar schlechter sein als privatrechtliche.
EU rüffelt Italien und Rumänien: Pestizide statt Bio-Äpfel
Die EU kritisiert die Kontrolle von Bio-Lebensmitteln aus Italien und
Rumänien. Das Überwachungssystem scheint reformbedürftig zu sein.
Biozertifikat in der Gastronomie: „Das System funktioniert nicht“
Viele Gastronomen mit Bio-Angebot verzichten trotz Pflicht auf
Öko-Inspektionen. So können Gäste nicht sicher sein, ob sie wirklich Bio
bekommen.
Bio-Branche in Deutschland: Appetit wächst, Anbau stockt
Verbraucher haben 2013 etwa 7,2 Prozent mehr für Öko-Essen ausgegeben als
im Vorjahr. Dennoch hat die Branche Probleme.
Bauers gentechnikfreier Joghurt: Missverständnisse aus dem Kühlregal
Ein konventioneller Joghurt soll der erste gentechnikfreie Joghurt sein –
so verspricht es die Werbung. Bioproduzenten und Verbraucherschützer finden
das irreführend.
Neues Biosiegel in der EU: Ein Blatt für alle Länder
Ab 1. Juli kennzeichnet in der EU ein Blatt die Biolebensmittel. Es gelten
dieselben Standards wie beim deutschen Biosiegel. Neu ist ein Hinweis auf
die Herkunft der Rohstoffe.
Neue Öko-Verordnung: Biobranche hat ein Herz für Ferkel
Ab Januar gilt die neue EU-Ökoverordnung: Hersteller von Biowaren dürfen
Zusatzstoffe verwenden, die mit Gentechnik hergestellt wurden. Die
Umstellung auf Öko wird erleichtert.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.