Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Das nahe Ende des Berlin-Hypes: Honey, wir sind nicht in Kansas
> Zu hohe Mieten, zu viele Touristen: Für US-Medien ist Berlin nicht mehr
> die coolste Stadt der Welt. Doch bis es eine neue gibt, erfreuen wir uns
> weiter dran.
Bild: Total angesagt: Kneipe in Neukölln, wo die Mieten zwischen 2007 und 2010…
BERLIN taz | Oje! Berlin is over! Das meldet das Magazin [1][Gawker] im
Internet, und das halbe Facebook diskutiert auch schon drüber, dann muss ja
was dran sein. Grund der Aufregung ist ein aktueller Gipfel in der
weltweiten Berlinberichterstattung.
Vor Kurzem hat die New York Times (NYT) ihren Reporter Zeke Turner ins
Berghain entsandt. Er kam zurück mit einer Geschichte über Bohemiens aus
Brooklyn, die in der Berliner Technoszene einfallen. [2][„Brooklyn on the
Spree“] heißt das Stück programmatisch. Gleich am Anfang wird ironisch den
Horizont des gemeinen Brooklyner Hipsters aufspannt: „ ’The music reminds
me of Brooklyn!‘, said Winston Chmielinski, a 25-year-old painter who moved
here from New York last year.“
Am schönsten ist es immer noch zu Hause, und wenn es in Ostberlin so ist
wie in Williamsburg, dann kann es in Germany nicht ganz falsch sein. Aber
irgendwie ist es in Berlin dann doch ein bisschen anders, wie Zeke Turner
an einem anderen Abend in einem anderen Club, dem Chesters in
Berlin-Friedrichshain, beobachtet.
Gerade hat sein Brooklyner Bohemien noch gesagt: „Ich hab das Gefühl, das
sind alles Leute aus New York hier“, da erscheint ein deutscher Vater mit
Schnauzbart und fragt, ob jemand zufällig MDMA dabeihabe? Seine Kinder
seien übers Wochenende auf dem Land. „Honey, wir sind nicht mehr in
Kansas“, kommentiert die NYT.
## Ingredienzen des großen Berlinhypes
Die Partys, die am Freitag anfangen und am Montag aufhören, die allgemeine
Libertinage, die billigen Eintrittspreise, Mieten, Drinks, die grandiosen
DJs, die schier unbegrenzten Möglichkeiten der Stadt, das sind die
Ingredienzen des großen Berlinhypes, der zur Verblüffung seiner Bewohner
immer dann noch eine Schraube weitergedreht wird, als man grade dachte,
ooch, so schön wie früher ist es ja nun wirklich nicht mehr.
Wie jedes Klischee fußt auch der Berlin-Hype auf einer soliden empirischen
Grundlage. Objektiv betrachtet ist es kein Wunder, dass die halbe Welt
hierherziehen will, während die andere Hälfte wenigstens ein Wochenende
ekstatisch zu „EDM“ abtanzen möchte. „Electronic Dance Music“ nennt ma…
der kulturellen Hauptstadt der USA lustigerweise House und Techno, die in
Chicago und Detroit erfunden worden sind.
So wird Berlin in der NYT routiniert-ironisch als Mekka und Refugium
gestresster junger New Yorker gezeichnet, während der amerikanische
[3][Rolling Stone] ein paar Tage zuvor in einer langen Reportage über das
Berghain das Mekka als latent bedroht porträtierte: Das Berghain ist zwar
immer noch anerkannterweise der größte Club der Welt. Aber immer mehr der
5,3 Millionen Touristen, die Berlin in der ersten Jahreshälfte des Jahres
2013 besuchten, wollen eben deswegen genau dorthin.
Touristen im Berghain, der Apotheose Berliner Clubkultur, dem Tempel, in
dem das ewige Licht der Ekstase nie ausgeht, wo aus den Wasserhähnen im
Klo, wo sich die Geschlechter munter mischen, Fontänen schießen, um die vom
tanzen und von Pillenwerfen dehydrierten Körper frisch zu halten?
## Die Schattenseiten des Hypes
Jede Blume hat ihren Schatten, wie Rio Reiser in Prä-Techno-Zeiten sang,
und im Rolling Stone wird über die Schattenseiten des Hypes genau Buch
geführt: In Neukölln, erfahren die Leser, sind die Mieten zwischen 2007 und
2010 um 23 Prozent gestiegen, was die Einheimischen nun den Touristen
vorwerfen, obwohl diese an den Mietsteigerungen eher geringen Anteil haben.
Rolling-Stone-Reporter Thomas Rogers hat ein akkurates Porträt des Berghain
geschrieben, aber eines konnte er nicht wissen: dass fürderhin ein
Popmanager als Kulturstaatssekretär für die Berliner Clubs verantwortlich
sein würde. Mal sehen, [4][was Tim Renner so machen wird], um Berlin vor
den Bedrohungen zu bewahren, die nun quasi zum Weltthema geworden sind.
Auf den Seiten von Gawker werden die User derweil schon mal aufgefordert,
die nächste coolste Stadt der Welt zu nominieren. Solange diese Frage nicht
abschließend geklärt ist, freuen wir uns an unserer schönen Stadt, hier in
Berlin.
27 Feb 2014
## LINKS
[1] http://gawker.com/berlin-is-over-whats-next-1529703600
[2] http://www.nytimes.com/2014/02/23/fashion/Brooklyn-Bohemians-Berlin-Techno-…
[3] http://www.rollingstone.com/music/news/berghain-the-secretive-sex-fueled-wo…
[4] /Neuer-Kulturstaatssekretaer-in-Berlin/!133947/
## AUTOREN
Ulrich Gutmair
## TAGS
Berlin
Hype
Stadt
USA
Berghain
New York Times
Jazz
Berghain
Nachtleben
Rio Reiser
Hipster
Kulturstaatssekretär
taz.gazete
## ARTIKEL ZUM THEMA
Jazz-Euphorie in Berlin: Mit Ecken und Kannen
Wie beliebt Jazz ist, kann man in der meist proppenvollen Donau115 erleben.
Nun denkt man in dem Neuköllner Jazzclub über einen Ausbau nach.
Club Berghain wird zur Kunst: Arty-Party in Zeitlupe
Eigentlich ist Berlin im Sommerloch. Dummerweise drängten sich alle
Dagebliebenen in der Schlange vor dem Berghain, wo eine Kunstausstellung
eröffnete.
Vielfalt der Berliner Clubkultur: Das Nachtleben der Anderen
Der Sound of Berlin war nie nur Punk, New Wave, Techno und Electro. Doch
das wird von einigen Chronisten der Club-Szene gerne übersehen.
Kult um Ton-Steine-Scherben-Sänger: Rios Grab unterm Hammer
18 Zimmer, 615 Quadratmeter Wohnfläche, drei Hektar Land und ein leeres
Grab: Rio Reisers Bauernhof in Fresenhagen wird erneut verkauft.
Hilfe für bartlose Hipster: Gesichtshaartransplantation, please!
Ohne Vollbart biste kein Hipster, is' klar. Um Wangen und Kinn
aufzuforsten, fliegen junge Männer aus der ganzen Welt bei New Yorker
Schönheitschirurgen ein.
Habemus Kulturstaatssekretär: Ein neuer Sound für Berlin
Klaus Wowereit ist stolz, die freie Szene jubelt: Mit Tim Renner wird ein
Mann mit alternativen Wurzeln Staatssekretär.
Neukölln als Zentrum für Kunst: Braukunst der Gegenwart
Ein Schweizer Ehepaar baut die alte Kindl-Brauerei in Neukölln zum Zentrum
für zeitgenössische Kunst um. Was macht das mit dem Kiez?
Erinnerungen ans Berliner Nachtleben: Das Feiern auf Papier
Die Zeit scheint gerade gut für Bücher mit Erinnerungen an die Partykultur.
Mit „Nachtleben Berlin“ wird noch einmal opulent nachgelegt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.