| # taz.de -- Bedrohte Arten in Deutschland: Volkszählung in der Natur | |
| > Deutschland hat Generalinventur in der Natur gemacht – ein einmaliges | |
| > Projekt. Die Lage ist weit entfernt vom Ziel einer intakten Flora und | |
| > Fauna. | |
| Bild: Im Stress: Schweinswale drohen in der Ostsee auszusterben. | |
| BERLIN taz | Das hat es so noch nie gegeben: Die Natur in Deutschland ist | |
| durchgezählt und fast komplett inventarisiert worden. Was krabbelt, fleucht | |
| und schwimmt in Wäldern, Seen und Mooren; was blüht auf Feldern, | |
| Magerwiesen und Alpenhängen? Vor allem: Wo hat sich’s ausgekrabbelt? | |
| „Die Lage der Natur in Deutschland“ heißt der Bericht vom Bundesamt für | |
| Naturschutz (BfN), den Umweltministerin Barbara Hendricks am Mittwoch in | |
| Berlin vorstellte. Um die beiden EU-Richtlinien zum Vogelschutz und zum | |
| Artenschutz in ausgewiesenen Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Gebieten zu erfüllen, | |
| müssen die Länder alle sechs Jahre Generalinventur machen. Für den Bericht | |
| wurde fast alles, was die Natur in Deutschland zu bieten hat, mit großem | |
| Aufwand untersucht – eingeteilt in die drei Regionen nordwestdeutsches | |
| Tiefland, Alpen und kontinentale Region (Ost- und Süddeutschland). | |
| Die Ergebnisse sind durchwachsen, manche Arten haben sich erstaunlich | |
| erholt, andere zeigen anhaltenden Abwärtstrend. Insgesamt ist Deutschland | |
| aber noch weit entfernt, das EU-Ziel eines „günstigen Erhaltungszustands“ | |
| seiner Natur zu erreichen: Besonders kritisch ist der Zustand der | |
| Amphibien, Brutvögel, Moose, Schmetterlinge und Wanderfische. Gute | |
| Nachrichten gibt es dagegen von Fledermäusen, Säugetieren, Wasservögeln und | |
| Fischen, die nicht wandern. | |
| 25 Prozent der Arten geht es gut, 31 Prozent sind in „unzureichendem“, 29 | |
| Prozent in richtig „schlechtem“ Zustand, 16 Prozent sind ohne Angaben. Bei | |
| den Lebensräumen, also den Ökosystemen, sieht es noch etwas schlechter aus: | |
| 28 Prozent liegen im grünen Bereich, 70 Prozent geht es unzureichend oder | |
| schlecht. Meere und Küsten, Moore und alle Grünland-Ökosysteme bekommen | |
| schlechte Noten. Jede dritte Art der Brutvögel geht signifikant zurück. Vor | |
| allem im Offenland und in Siedlungsbereichen. Deutlich besser geht es da | |
| Schwanen-, Gänse- und Entenarten. | |
| ## Tausende Helfer im Einsatz | |
| Für die Untersuchung wurden deutschlandweit 12.000 Stichproben erhoben. 195 | |
| „EU-weit bedeutsame“ Tierarten sind erfasst worden, 361 Vogelarten, 92 | |
| Lebensräume. Verglichen mit den in Deutschland heimischen 48.000 Tierarten | |
| wirkt die Bestandsaufnahme auf den ersten Blick eher klein. Doch über die | |
| Bewertung der Lebensräume werden auch die darin lebenden Tiere und Pflanzen | |
| erfasst. | |
| Wie aber zählt man Fledermäuse, wie verschafft man sich ein Bild vom | |
| Zustand der Schweinswale? Dazu waren Tausende, teils ehrenamtliche Helfer, | |
| Naturschützer und Wissenschaftler im Einsatz. Sie suchten nach Spuren im | |
| Schnee, nach Nestern, Horsten und Quartieren, sie kletterten in Felsspalten | |
| und inspizierten Dachstühle, legten Fotofallen, sammelten Haare und Losung, | |
| also Tierkot. Auch Taucher waren dabei. Ein Riesenaufwand – „die Natur | |
| sollte es uns wert sein“, hieß es dazu am Dienstag im BfN. | |
| Die Inventur zeigt auch, dass Naturschutz Erfolg haben kann. Bei den | |
| geschützten Arten, so resümiert der Report, habe sich der Zustand zumindest | |
| stabilisiert. Wildkatze, Seeadler, Wolf oder bestimmte Libellenarten können | |
| kleine Erfolgsgeschichten schreiben. | |
| Hauptverursacher der Artenrückgänge und eigentlicher Killer der | |
| biologischen Vielfalt ist und bleibt die Landwirtschaft. Während die | |
| Forstwirtschaft deutlich aufholt, den Waldumbau weg von Monokulturen | |
| voranbringt und den Naturschutz immer häufiger mitdenkt, bleibt die | |
| Landwirtschaft stur auf Konfrontationskurs zur Natur. | |
| Traditionell hält sich das BfN mit allzu harscher Kritik an der | |
| Agrarindustrie zurück, doch der Bericht spricht dennoch Klartext. | |
| Intensivlandwirtschaft, Düngerorgien, einseitige Monokulturen und häufige | |
| Mahd, also das Abmähen von Wiesen, sind die Hauptsünden. Trotz aller | |
| Umweltförderprogramme, so bilanziert der Bericht, seien die | |
| landwirtschaftlich genutzten Lebensräume in schlechtem Zustand, „teilweise | |
| haben sie sich in den letzten Jahren weiter verschlechtert“. | |
| ## Hässliche Spuren in der Landschaft | |
| Wo sind die einst weit verbreiteten blumenreichen Wiesen geblieben, fragt | |
| der Report und registriert anhaltende Abwärtstrends für artenreiche | |
| Mähwiesen, für Magerrasen, Heiden und Extensiväcker. Auch die Vermaisung | |
| der Landschaft, womit der flächendeckende Anbau von Mais gemeint ist, | |
| hinterlässt hässliche Spuren: Es finde kaum noch ein Wechsel mit anderen | |
| Anbaufrüchten statt, was vor allem den Feldvögeln zu schaffen mache. | |
| Der sogenannte High-Nature-Value-Indikator für Farmland, der den Anteil | |
| extensiv genutzter, artenreicher Landwirtschaftsfläche anzeigt, ist von | |
| 13,2 Prozent 2009 auf 11,8 Prozent im Jahr 2013 gefallen. Es fehle an | |
| Dauergrünland, Extensiväckern und Brachen, an Rückzugsräumen für die Natur. | |
| „Wo fördern eigentlich die ganzen Fördertöpfe die Landwirtschaft hin“, | |
| fragt man sich im BfN und verweist auf EU-Milliarden-Subventionen und | |
| riesige Fördervolumen. | |
| Neben der Landwirtschaft steht die Industriefischerei im Fokus. Die | |
| Bestandsaufnahme macht deutlich, „wie schlecht es Arten und Lebensräumen | |
| des Meeres geht“. Wie dicht gestaffelte, aber unsichtbare Zäune reihten | |
| sich die Stellnetze der Fischerei an den Küsten auf – tödliche Fallen für | |
| Seevögel und Schweinswale. Mit dem Einsatz von Grundschleppnetzen und | |
| Baumkurren, die tonnenschwer über den Meeresboden ziehen, würden „Riffe und | |
| Sandbänke schwer geschädigt oder zerstört“. Auch der Ausbau der Windkraft, | |
| Pipelines und Seekabel oder die Rohstoffgewinnung auf See drangsalieren die | |
| Natur. | |
| Beim Flächenverbrauch für Siedlungen und Verkehr hat sich „der Anstieg | |
| leicht verlangsamt“. Statt 81 Fußballfelder (2008 bis 2011) werden jetzt | |
| noch täglich 74 der Natur entnommen. Vom Ziel der Bundesregierung von 30 | |
| Hektar ist man weit entfernt. Der Anteil unzerschnittener verkehrsarmer | |
| Räume ist auf ein Viertel der Bundesfläche geschrumpft. | |
| 26 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Manfred Kriener | |
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