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# taz.de -- Essay Journalismus und Öffentlichkeit: Das Ende vom Morgengebet
> Wir brauchen Informationen, ruft die Öffentlichkeit. Aber wer braucht
> eigentlich die Öffentlichkeit? Verendet der Journalismus?
Bild: Die erste internationale „community“ bestand aus Telegrafisten.
So viele Berufe die Moderne überhaupt erst hervorgebracht hat, so viele hat
sie auch wieder zerstört. Nehmen wir die Telegrafisten. Im 19. Jahrhundert
wurde mittels Unterwasserkabeln ein weltweites Netz gespannt, das quasi
Echtzeitkommunikation ermöglichte, die erste wirkliche Globalisierung. Denn
mit dieser Technik war es möglich, von der Börse in Paris aus Aktien an der
Wall Street zu kaufen und umgekehrt.
Die erste internationale „community“ bestand aus Telegrafisten, die
zwischen Sibirien und Australien in Morsezeichen miteinander flirteten und
sich verliebten. Die Telegrafenbranche übrigens beschäftigte als eine der
ersten überwiegend Frauen, weil diese, geübt durch die Näharbeit, die
Geräte sicher und schnell bedienen konnten – meinte man jedenfalls damals.
Das Telegrafieren war auch ein Meilenstein für die Seefahrt, man denke nur
an das SOS-Signal. Aber Handys und GPS haben die Sache obsolet gemacht, so
wie die Computer den Telegrafen. Die Schiffe sind nicht mehr verpflichtet
einen Funker an Bord zu haben, ein ganzer Berufszweig ist einfach weg und
befindet sich in trauriger Gesellschaft: Denken wir an die Fotolabore und
die gesamte Industrie des Kleinbildfilms, die von der Digitalfotografie
vernichtet wurden. Kodak hat nach den Olympischen Spielen in Peking das
Sponsoring eingestellt – angefangen hatte man damit bei den ersten Spielen
der Neuzeit 1896!
Und so können wir der Frage nicht mehr ausweichen, ob es sich nicht auch
beim Journalismus um einen dieser einst hochmodernen und nun verendenden
Berufe handelt. Man muss sich das fragen, weil die kapitalistische Moderne
an ihrem Beginn im London des 17. Jahrhunderts eine sehr spezifische und
wahrscheinlich historisch einmalige Konstellation kennzeichnet, was den
Zusammenhang von Informationsfluss, öffentlicher Meinung und Geld betrifft.
Womöglich ist es kein Zufall, dass im Dezember letzten Jahres die
Papierausgabe von Lloyd’s List eingestellt wurde, der ältesten Zeitung der
Welt (seit 1734), gegründet von der ältesten, erstmals 1689 erwähnten
Versicherungsgesellschaft der Welt.
Zeitungen sind entstanden, weil eine breite Schicht von Wirtschaftsleuten
Nachrichten brauchte – über Regierungen und Vorkommnisse in den Regionen,
wo sie ihre Investitionen tätigen wollten. Von diesen Nachrichten hing das
Schicksal ihrer Investitionen wesentlich ab, Trockenheit in Illinois kann
den Preis für Mais in Deutschland hochtreiben, während ein Putsch in
Nigeria Auswirkungen auf die Erdöllieferungen hat. Die neue Bourgeoisie
brauchte verlässliche Informationen und deswegen ausgebildete
Berichtersatter; und sie musste einen Weg finden, Recherche und
Veröffentlichung zu finanzieren.
## Man erfand die Werbung
Das ist die ökonomische Basis des modernen Journalismus, und deswegen hing
seine Qualität immer von der Stärke und Macht der jeweiligen nationalen
Bourgeoisie ab. „Auf dem Laufenden zu sein“, wurde zur Grundvoraussetzung,
überhaupt in der Moderne leben zu können. Daher das berühmte Hegel-Zitat
„Die Zeitung ist das Morgengebet des Bürgers“ (Hegel war auch der erste
moderne Philosoph, der als Chefredakteur arbeitete, bei der Bamberger
Zeitung, 1808).
Aber wie die zum Gebet bereitstehenden Kirchen mussten auch die Zeitungen
finanziert werden. Dazu erfand man die Werbung. Über ihre Effektivität im
Marketing wird seit mehr als einem Jahrhundert gestritten. Sicher ist nur,
dass die Werbung der Kanal ist, auf dem Geld von Industrie und
Finanzbranche in die Massenmedien gebracht wird. Sie sind die Black Box, wo
Kapital hineingeht und Information herauskommt.
Diesen Zusammenhang von Geld und Information hat man nie auflösen können.
Selbst wo Pressefreiheit radikal gedacht wurde, ist es nie gelungen, einen
Pluralismus der Information zu generieren, der unabhängig gewesen wäre vom
Pluralismus der ökonomischen Player – daher die Schwierigkeiten, mit denen
man sich in den „Volksdemokratien“ mit ihrem „Volkseigentum“ konfrontie…
sah, eine pluralistische Medienlandschaft zu konzipieren: Im Guten wie auch
– besonders – im Schlechten ist die Vielfalt der Informationsmedien an die
Vielfalt der wirtschaftlichen Player gefesselt.
Information aber kostet, und die Informationsindustrie ist zu einer immer
kapitalintensiveren Branche geworden. 1837 konnte man in England mit 1.000
Pfund Startkapital eine Wochenzeitung gründen, bei 6.200 verkauften
Exemplaren begann sich die Sache zu rentieren. Der Sunday Express,
gegründet 1918, verschlang mehr als 2 Millionen Pfund, bevor er diesen
„break even point“ bei 250.000 Exemplaren erreichte (Zahlen aus: Edward S.
Herman, Noam Chomsky: „Manufacturing Consent“).
## 92 Prozent Verluste
Finanzieren musste das alles die Werbung. 2012 stammten von den 38,6
Miliarden Dollar Einnahmen der US-Zeitungen 18,9 Prozent aus gedruckten,
3,4 aus digitalen Anzeigen, 2,9 aus anderen Werbeeinnahmen und nur 10,4 aus
dem Zeitungsverkauf. Die Einnahmen 2013 sind im Vergleich zu 2006 um 45
Prozent (!) geschrumpft. Trotzdem hängen noch immer drei Viertel der
Finanzierung an den Anzeigen. Am härtesten betroffen ist der
Kleinanzeigenmarkt, der fast komplett in die Onlinemarktplätze
übergesiedelt ist – die Verluste betragen hier 92 Prozent!
Das Drama ist, dass die Einnahmen aus der digitalen Werbung diese Rückgänge
nicht auffangen können. Im Gegenteil lesen wir im [1][„2013 State of New
Media Report“], dass die Papierwerbung für jeden digital verdienten Dollar
15 Dollar verliert. Am schlimmsten hat es 2013 die New York Times
getroffen. Zwar hat sie bei den Digi-Abos um 19 Prozent zugelegt, bei der
digitalen Werbung aber 4 Prozent verloren.
Kurzum: Niemand weiß, wie man in der Ära des Internet den Geldfluss
wiederaufleben lassen soll, der die Informationsindustrie bisher finanziert
hat. Und Journalismus auf hohem Niveau geht nun mal nicht ohne
Investitionen. Denn Journalist zu sein, ist ein schwieriges Handwerk, das
man mühsam erlernen und studieren muss. Journalist zu sein, bedeutet nicht,
nach Kiew zu fahren, ein paar Fotos mit dem Handy zu machen und
aufzuschreiben, was einem der Taxifahrer oder der Barmann erzählt haben.
Die Euphorie für open source und citizen journalism kann nur in
Enttäuschung enden. Einen Reporter loszuschicken, der auf seine Aufgabe
vorbereitet ist und einen Bericht über die Lage der Dinge verfassen kann,
kostet viel Geld. Und das muss man irgendwie verdienen – auch im Internet.
## Eine totemhafte Zahl
Doch die einzige „Innovation“, die der Journalismus sich als Reaktion
bislang hat einfallen lassen, ist die Rückkehr zum guten, alten
Mäzenatentum. Der krasseste Fall bisher ist der der First Look Media Group,
in die Pierre Omidyar – seines Zeichens Gründer von eBay – 250 Millionen
Dollar investiert und sie den Edward-Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald und
Laura Poitras gegeben hat. Die betreiben damit die Seite [2][„The
Intercept“]. Aber auch der jüngste Kauf der Washington Post durch Jeff
Bezos (ebenfalls für 250 Milionen Dollar – irgendwas Totemhaftes muss an
dieser Zahl sein) ist pures Mäzenatentum, denn Pulitzer-Preis (gerade an
sie verliehen) hin oder her: Die Zeitung verliert jeden Tag Geld.
Man kann sich fragen, ob diese Transformationen nicht dem Trend an den
US-Eliteunis ähneln. Die Kolosse der sogenannten Ivy League leben im
Wesentlichen von den Spenden ihrer ehemaligen Studierenden und den mit
ihnen erwirtschafteten Spekulationsgewinnen, kaum von den – exorbitanten –
Studiengebühren. In Harvard etwa tragen die Studiengebühren nur ein Fünftel
zum Gesamtetat bei.
Die Ware, die an den Hochschulen, erzeugt wird, ist „Wissen“, so wie die
der Zeitungen „Information“ ist. Doch in beiden Fällen ist der einzige Weg,
sie zu finanzieren, der der privaten Schenkung, mit der impliziten Folge,
dass diese Information, dass dieses Wissen einer immer kleiner werdenden
Elite vorbehalten bleibt. Denn diese geht davon aus, dass Gesellschaften
auch dann funktionieren, wenn es keinen breiten, gebildeten und
informierten Mittelstand mehr gibt. Für ihre Geschäfte reicht es völlig
aus, wenn Wissen und Information für ein paar wenige Endabnehmer zur
Verfügung gestellt werden. Und das bedeutet: Die öffentliche Meinung spielt
für die Wirtschaftseliten keine Rolle mehr.
Wenn das so ist, dann wäre es ein hochironisches, paradoxes Fazit der
Epoche, die das Hohelied der digitalen Basisdemokratie angestimmt hat. Die
freie Zirkulation der Ideen im Internet wäre nicht mehr als ein Traum – ein
Fiebertraum, genauer gesagt.
Aus dem Italienischen von Ambros Waibel
21 Apr 2014
## LINKS
[1] http://stateofthemedia.org/2013/
[2] http://firstlook.org/theintercept/
## AUTOREN
Marco D'Eramo
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