# taz.de -- Debatte Militärische Antwort auf Putin: Was tun? | |
> Müssen Europa und die USA militärische Stärke zeigen, weil Putin sich | |
> nicht von Diplomatie beeindrucken lässt? Ein Pro und Contra. | |
Bild: Wir spielen russisches Gambit. Wer ist am Zug? | |
Pro: | |
Russland spielt den Ausgang des Kalten Krieges noch einmal durch. Diesmal | |
soll das Kräftemessen zugunsten Moskaus ausgehen. So schreibt es, von der | |
Kühnheit des Gedankens fasziniert, das kremlnahe außenpolitische Journal | |
Russia in Global Affairs. Aus dieser Perspektive hat Russland mit einem | |
sehr großen Spiel begonnen. Die Risiken seien erheblich, aber es winkten | |
auch enorme Gewinne. Zugespitzt heißt das: Wladimir Putin will nicht nur | |
die Weltordnung aus den Angeln heben, auch die EU solle in den Orkus | |
befördert werden. | |
Vor allem aber geht es Putin durch den äußeren Richtungswechsel um die | |
Machtsicherung im Innern. Der extensive Herrschaftsmechanismus, der auf | |
Autokratie und Militarismus fußt, hat sich festgelaufen. Dringend muss der | |
Hebel auf intensives Wachstum umgelegt werden. Doch das wäre das Ende | |
Putins und des alten Russlands, das er gerade zu neuer Größe aufpustet. Es | |
ist aber nicht so harmlos, wie es klingt. | |
Moskau steht nicht mehr für die vergleichbar verlässliche Sowjetunion, die | |
sich fast sklavisch an i-Tüpfelchen internationaler Vereinbarungen hielt. | |
Mit der Geiselnahme der OSZE-Beobachter reicht Russland den Schurkenstaaten | |
die Hand. Deutschlands greise Ostpolitiker sollten das jetzt verstehen. | |
Russland huldigt als Staat und Gesellschaft noch immer Gewalt und Macht an | |
erster Stelle. Soft power kennt die „russische Welt“ (Putin) nur als fremde | |
Erzählung. Wer bei Konfliktlösungen nicht auf Gewalt setzt, gilt als | |
Schlappschwanz. Schwächlinge trifft Verachtung und es wird nachgetreten. | |
Moskau will der Welt wieder diesen Umgang aufzwingen. | |
Damit es nicht so weit kommen muss, sind klare Entscheidungen im Westen | |
angesagt. Alle EU-Staaten sollten gemeinsam beschließen, den | |
Verteidigungshaushalt um mindestens ein Drittel anzuheben, parallel zum | |
Aufstocken konventioneller Streitkräfte und technologischer Innovationen. | |
Das würde in Moskau zur Kenntnis genommen werden. Putin wird dem nur wenig | |
entgegensetzen können, hat er doch die heimische industrielle Basis | |
eigenhändig demontiert. Der Westen würde nur wiederholen, was US-Präsident | |
Ronald Reagan in den 1980ern vorexerzierte. Totrüsten ohne Tote. | |
Effektiv, aber zynisch und damit falsch wäre eine andere Strategie: Moskau | |
wüten lassen, doch klare Grenzen aufzeigen, ansonsten jedoch ignorieren. | |
Kurzum, Anerkennung versagen, nach der Moskau giert. (Klaus-Helge Donath) | |
Contra: | |
Das Gewaltniveau in der Ukraine eskaliert. Die Regierung in Kiew schickt, | |
offenbar ermutigt von dem Besuch des US-Vizepräsidenten Joe Biden, | |
"Antiterroreinheiten" in den Osten. Dort erobern selbst ermächtigte | |
Separatisten Rathäuser, offenbar ermutigt von der russischen Propaganda | |
gegen die "Faschisten-Regierung" in Kiew. | |
In der Ukraine wächst vor unseren Augen ein Stellvertreterkrieg, der nach | |
einem längst abgelaufenen Muster des Kalten Krieges choreografiert zu sein | |
scheint. Vieles liegt in diffusem Licht. Es ist noch nicht mal klar, ob die | |
Separatisten im Osten aus Moskau dirigiert werden oder ob sie auf eigene | |
Rechnung arbeiten. | |
Das Dümmste, was der Westen tun kann, ist, jetzt kurzatmig auf militärische | |
Drohungen zu setzen und das eskalierende Gewaltniveau zusätzlich | |
anzuheizen. Etwas Besseres als Nato-Manöver an der russischen Grenze oder | |
aggressive Aufrüstung kann der Putin-Regierung nicht passieren, um ihre | |
Macht zu zementieren und jede Opposition in Russland verächtlich zu machen. | |
Der starke Mann, der mannhaft der mächtigen Nato die Stirn bietet, um | |
bedrängten Russen zu Hilfe zu eilen - es wäre seine Paraderolle. | |
Zudem: Was nutzen militärische Drohgebärden, wenn man militärisch nicht | |
eingreifen will? Nichts. Und offenbar ist auch Washington klarsichtig | |
genug, um zu begreifen, dass es keine so gute Idee ist, wenn Nato-Soldaten | |
demnächst in der Ukraine auf russische Soldaten schießen. | |
Aber Vorsicht: Eskalationen sind nie auszuschließen, wenn die militärische | |
Logik regiert. Gewalt entwickelt verführerische Eigendynamiken, an deren | |
Ende sich alle als angegriffene Opfer fühlen, die jetzt zurückschlagen | |
müssen. | |
Das Einzige, was hilft, ist Geduld. Die EU sollte die moderaten Kräfte in | |
der West- und Ostukraine stützen. Denn im Kern ist dies ein | |
innerukrainischer Konflikt, der nur zivil gelöst werden kann. Das Mittel | |
dazu sind Wahlen und eine Regierung der nationalen Einheit. Und: Putin, der | |
Nationalist, ist in dieser Krise ein Scheinriese. Was er in Russland | |
derzeit an Renommee gewinnt, verliert sein Regime an wirtschaftlicher | |
Kraft. Damit schwindet auch die Fähigkeit, die Interessen von Oligarchen | |
und Wählern auf mittlere Sicht auszutarieren. | |
Was hilft, ist beharrliche Diplomatie Richtung Russland, verknüpft mit | |
begrenzten Sanktionen. Was schadet, sind Dämonisierungen Putins. Und das | |
Gefährlichste ist, wenn der Westen militärisch mitzündelt. (Stefan | |
Reinecke) | |
29 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Klaus-Helge Donath | |
Stefan Reinecke | |
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