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# taz.de -- Ost-Vermittler, Kreml-Versteher: Unterhändler mit zwei Seelen
> Sein direkter Draht zu Wladimir Putin machte Alexander Rahr erst zum
> Kanzlerberater. Und später dann zum Gazprom-Lobbyisten.
Bild: Drahtzieher unter sich: Alexander Rahr (M.) mit Hans-Dietrich Genscher (r…
Als „das mit der Krim passiert ist“, sagt Alexander Rahr, bis zum letzten
Frühjahr für Deutschlands Medien der Russlandexperte Nummer eins, „sind wir
praktisch alle vom Stuhl gefallen“. Hätte man das als Masterplan Putins
erkennen müssen? „Ich hab da keine Zeichen dafür gesehen.“
Rahr, als Nachkomme russischer Emigranten 1959 geboren, sitzt im
Straßencafé wie aus der Zeit genommen, elegant in Taubentöne gekleidet. Mit
verschwimmendem, hellbraunem Michverstehtkeiner-Blick blinzelt er gegen die
Sonne in Richtung auf den Berliner Hauptbahnhof. In dieser Stadt lebt er
mit Kindern und Frau. Sie stammt aus einer in den 90ern ausgewanderten
Petersburger jüdischen Familie, der Sohn geht in die Grundschule, die
Tochter in den jüdischen Kindergarten. „Ich bin in Wirklichkeit
Kosmopolit“, vermeldet Rahr.
Nach den Fehleinschätzungen in puncto Krim, nachdem er auf dem Maidan vom
„Westen“ in Kampfuniformen gesteckte Leute ausgemacht hatte, verschwand er
erst mal von den Bildschirmen. Rahrs Thesen wiesen auch früher oft starke
Schlagseite auf. Als bare Münze verkaufte er oft Schutzbehauptungen der
kleptokratischen russischen Regierung.
Dass deren Politik für uns Nachbarn ungefährlich sei, an diesem Mythos hat
der Politologe jahrelang fleißig mitgesponnen. Berühmt wurde er durch sein
Buch „Wladimir Putin. Der ’Deutsche‘ im Kreml“ (2000). Sein bislang let…
Werk, „Der kalte Freund“ (2011), präsentierte Frank-Walter Steinmeier
persönlich. Rahr wiederholt darin seine Lieblingsthese: Wir müssen Putin
helfen, denn wir sind auf Gedeih und Verderb an Russland gebunden, auch
wenn es uns nicht gefällt. Der Teil-Insider ignoriert darin zahlreiche
Quellen von renommierten russischen GesellschaftskritikerInnen.
Wissenschaftlich ist das nicht.
Trotzdem fungierte Rahr als wichtigster Russlandexperte für die deutsche
Wirtschaft. Während der Ägide des ehemaligen Kanzlers Gerhard Schröder und
seines Kanzleramtsministers Frank-Walter Steinmeier hat er die
Russlandpolitik der Bundesregierung geprägt. Die Hallen seiner damaligen
Wirkungsstätte, des Think-Tanks Deutsche Gesellschaft für Auswärtige
Politik (DGAP), bildeten ein Rückzugszentrum für Reiche und Einflussreiche
aus beiden Ländern. In jenen geschlossenen Räumen vertiefte sich
Deutschlands Abhängigkeit von russischen Energieträgern.
Als die Gelder für seine Arbeit innerhalb der DGAP spärlicher flossen,
wechselte er im Jahre 2012 als „Senior Adviser“ zur eng mit dem russischen
Staatskonzern Gazprom verflochtenen Wintershall Holding GmbH über. Nun ist
er ganz offiziell bezahlter Lobbyist. Sein persönliches Ziel, „Deutschland
und Russland zusammenzubringen“, verfolgt er außerdem in seinen „Formaten�…
So bezeichnet er von ihm mitbegründete periodische Mammutkonferenzen von
InteressenvertreterInnen wie den „Petersburger Dialog“ und das mit dem
Ostausschuss der deutschen Wirtschaft eng verbundene „Deutsch-Russische
Forum“.
Dessen vorerst letzte Veranstaltung fand Mitte Mai in Berlin statt, mit dem
russische Eisenbahnchef und Putin-Vertrauten Wladimir Jakunin. Der riss
dummdreist Witze über Homosexuelle. Rahr sank zusammen, hielt sich den Tag
über zurück, erteilte leise das Wort, besorgten deutschen
Wirtschaftsvertretern so wie polternden postsowjetischen Politberatern.
Aber am Abend war Rahr es, der aus einem virtuellen Zylinder die Resolution
hervorzauberte. Die forderte in Putin-kompatibler Diktion ein gemeinsames
kontinentales Europa, mit „unbedingtem gegenseitigem Respekt“, von Lissabon
bis Wladiwostok.
## Mit geflügelten Füßen zum Kreml
Die deutschen Industriellen brauchten Rahr als Vermittler zuverlässiger
Kontakte zu russischen Entscheidungsträgern – und Putin. Wie Hermes, alias
Merkur, der griechische Gott der Diebe und Kaufleute, verkehrte er mit
geflügelten Füßen zwischen ihnen und dem Olymp im Kreml. „Er war der
Einzige, über den man direkt Fragen an die russische Führungsspitze richten
konnte. Um die Drähte dorthin nicht zu verlieren, musste er sich in vielen
Äußerungen mäßigen“, meint ein nicht genannt sein wollender ehemaliger
Mitarbeiter. Als aber Zeus dem Götterboten Flügel verlieh, bat er ihn der
Sage nach, nicht zu lügen. Der versprach’s mit einer Einschränkung: „Ich
werde nie die ganze Wahrheit sagen.“
Wie Hermes wandelte Alexander Rahr je nach Landungsort seine Gestalt.
Hierzulande plädierte er öffentlich dafür, zwischen der Verteidigung der
Menschenrechte und notwendigen Kooperationen mit der russischen
Führungsspitze abzuwägen. Doch bei Interviews für die russische Presse
griff er den Westen scharf an. So warf er Anfang 2013 in der Zeitschrift
Odnako den deutschen Politikern und Intellektuellen, eine „oberlehrerhafte
Haltung“ gegenüber Russland vor“. Viele seien darüber verärgert, „wie …
Westen seine Werte zu einer neuen Religion bzw. zu einem Dogma erhoben hat“
und eine Art „Minderheitenkult“ betreibe. Rahr fähr fort: „Mich erinnert
diese Ideologie an Lenin und Trotzki. Die waren der Ansicht, dass man die
proletarische Revolution weltweit verwirklichen müsse.“ Der Westen
exportiere eine „Revolution der Mittelklasse“, und dies „keineswegs immer
mit friedlichen Mitteln“.
Wie so oft übersetzt er hier einen Monolog von Kreml-Ideologen, ohne ihn zu
hinterfragen. Ist Rahr also ferngesteuert? In einem Spiegel-Interview
bescheinigt er sich „zwei Identitäten“, eine deutsche und eine russische.
„Er meint meistens wirklich, was er sagt“, berichtet einer seiner
ehemaligen Mitarbeiter: „Nur schießt er oft los, bevor er richtig
nachdenkt.“
In der Sonne am Berliner Hauptbahnhof denkt er nach, rekonstruiert
freundlich-interessiert seine Biografie – seit seiner Geburt eine Funktion
der deutsch-russischen Beziehungen. Er wuchs in Eschborn und später bei
München auf, in bescheidenen Verhältnissen, als ältestes von sechs
Geschwistern. Reich war die Familie an Diskussionen über Russland. Sein
Vater und Vorbild, der russisch-orthodoxer Religionswissenschaftler und
einstige KZ-Häftling Gleb Rahr, agierte weltweit publizistisch, kirchlich
und karitativ.
## Wie durch eine Luke stieg er von oben in Moskau ein
Das Geschichtsstudium verdiente sich der junge Alexander nachts durch
Recherchearbeit für den nach Russland strahlenden US-Sender Radio Liberty.
Sowjetunionreisen waren dort nicht gern gesehen. „Ich kannte eigentlich
niemanden aus Russland“, sagt er: „Aber dann kam die Perestroika und ich
war fünfundzwanzig.“ Im Englischen Garten wurden sowjetische Filme gezeigt.
Als ein reformwilliger russischer Abgeordneter ihn um Hilfe bat, stieg
Alexander Rahr 1990 wie durch eine Luke von oben in das neue Russland ein.
Bald vertrat er in Moskau den Recherchedienst von Radio Liberty, verkehrte
in der politischen Elite, auch im Kreml, und knüpfte seine später
unersetzlichen Kontakte.
Eine Schwester Alexanders heiratete einen russisch-orthodoxen Geistlichen,
sein Bruder ist selbst einer. Die russischste Institution für Familie Rahr
war stets die Kirche. Als Vater Gleb sich im Jahre 1991 nach 60 Jahren auch
wieder nach Russland wagte, wählte ihn der Moskauer Patriarch Alexij II.
aus, um der Russischen Kirche im Ausland ein Wiedervereinigungsangebot zu
überbringen. Diese lehnte ab. Prompt unterstellte sich Rahr senior direkt
dem Moskauer Patriarchat. Wusste er denn nicht, dass Alexij ein KGB-Agent
war? Dass die Vorhöfe der russischen Kirchen nur so vor nationalistischen
und antisemitischen Hetzschriften strotzten?
„Das gab’s dort, ja“, lenkt sein Sohn ein, heute wisse er mehr darüber.
Aber auch heute sehe er für die Auslandskirche keine Zukunft außerhalb des
Moskauer Patriarchats: „Woher sollen denn die Bischöfe kommen? Natürlich
haben die meisten von ihnen mit dem KGB zusammengearbeitet, wer in einer
solchen Position konnte sich dem entziehen?“ Er setze seine Hoffnung auf
das Verschwinden dieser Generation.
Die kirchliche Wende des Vaters erleichterte dem Sohn das Agieren. Noch
galten Emigranten in den Augen vieler daheim Gebliebener als
Landesverräter, da erlangte Rahr senior Absolution für seine gesamte
Familie. In dem 2006 von der russischen Agentur RIA Novosti verbreiteten
Nachruf auf Gleb Rahr heißt es: „Das Ehepaar Gleb und Sofja Rahr erzogen
ihre sechs Kinder im Geiste des Dienstes an der Kirche und der Treue zu
Russland.“
Von Haus aus konservativ, scheute sich Alexander Rahr nicht, auch
Ultrapatrioten in die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
einzuladen, zum Beispiel den Rechtsradikalen und heutigen Vizepremier
Dmitri Rogosin. Der unterhält beste Kontakte zu EU-feindlichen westlichen
Parteien wie dem Front National und verkündete schon 2006 den genauen Plan
für die Annexion der Krim.
Darüber, dass die deutschen Gesprächspartner diesen Mann und seinesgleichen
als zu aggressiv empfanden, staunt Rahr ehrlich. In den vergangenen Jahren
verzeichnete er nur einen großen politischen Erfolg: Ende 2013 half er
Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, als eine Art Dolmetscher, wie er
sagt, bei der Befreiung des lange inhaftierten Kreml-Kritikers Michail
Chodorkowski.
Und Wladimir Putin? Der lud den Politologen nach dem Erscheinen seiner
Putin-Biografie im Jahre 2000 erstmals ein, zu einem Abendessen in den
Kreml. „Das war ein schönes Abendessen, das kann man ruhig sagen. Putin war
ja auch anders als jetzt“, sagt Rahr. „Er hat mir viel zugehört. Und damit
hat er mich natürlich auch vereinnahmt. Wenn so ein Staatschef da sitzt,
mit dieser Bürde, das ist ja schließlich auch nicht einfach.“ Später habe
er Putin etwa zweimal jährlich auf Tagungen getroffen: „Aber ich habe kein
inneres Verhältnis zu ihm – überhaupt nicht. Ich weiß nichts über sein
Privatleben. Ich glaube zu wissen, wie er damals dachte und welche Pläne er
hatte. Aber ich weiß nicht, wie er heute denkt.“
16 Oct 2014
## AUTOREN
Barbara Kerneck
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