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# taz.de -- Wladimir Putins Werdegang: Ein kollektives Geschöpf
> Michail Sygar hat sich akribisch durch die Biografie des russischen
> Präsidenten gearbeitet. Putins Wegbegleiter sind dabei die Wegmarken.
Bild: Wladimir Putin bei der Amtsübernahme am 7. Mai 2012 im Kreml
Dieses Buch soll zeigen, dass es Putin eigentlich gar nicht gibt.“ Einen
solchen Satz sollte man am Anfang eines Buchs vermuten. In diesem aber
steht er am Ende, und das hat einen guten Grund: In „Endspiel – Die
Metamorphosen des Wladimir Putin“ nähert sich der Moskauer Journalist
Michail Sygar dem russischen Präsidenten weniger als dem „schrecklichen
Zaren“, als den ihn die Welt fürchtet, sondern als dem „kollektiven Putin�…
dem Produkt unterschiedlichster Entwicklungen und Strippenzieher, gar
Manipulationen.
Sygar fädelt Putins Werdegang anhand seiner Wegbegleiter auf. Die meisten
Namen kennt die westliche Öffentlichkeit nicht, und mit einigen hat Putin
sich überworfen. Das sind zwei hervorragende Gründe für den Autor, mit
ihnen zu sprechen.
Mit ihren Informationen zeichnet er das Bild eines Mannes, dessen Fetisch
es offenbar ist, Teil eines sich ständig verändernden Mosaiks zu sein.
Projektionsfläche westlicher Urängste und unnachgiebige Herrscherfigur
einer Nation, die mehr als alles andere einen Helden zu suchen scheint.
Präzise beschreibt Sygar, wie Putin sich nach und nach veränderte – von
einem Mann, „der durch puren Zufall König wurde“ und, als er seine Macht
zunehmend schätzenlernte, einen ehrgeizigen Plan zu verfolgen begann. Dazu
gehörte nicht nur, die alten Eliten loszuwerden, die im und um den Kreml
immer noch die Geschicke lenkten. Auch Putins Selbstbewusstsein auf
internationaler Ebene weiß Sygar herzuleiten.
Er nimmt kaum Wertungen vor, aber der Vorwurf, dass der Westen sein
heutiges Schreckensbild Putin zum Teil selbst erschuf, schwebt im Raum:
durch Unterschätzung und achtlose Provokationen, die Putin Sygars
Recherchen zufolge dermaßen reizten, dass er auf dem diplomatischen Parkett
immer unerbittlicher wurde.
Zu einem Großteil dreht sich die Erzählung um die in Moskau aktiven
Protagonisten auf Putins Weg zur Macht, jeder wird mit einem bestimmten
Attribut versehen: sein treuer Alibi-Stellvertreter Dmitri Medwedjew etwa,
„die rechte Hand“, oder auch Ramsan Kadyrow, der anarchisch-exzentrische
Statthalter Putins in Tschetschenien – von Sygar treffend als „das
Wolfsjunge“ bezeichnet.
## Schröder und Putin
Sein präziser Fokus ist aber auch das Problem des Buches: Sygar
konzentriert sich stark auf russische Kreise, deren Angehörige für
einigermaßen unbedarfte Leser nicht einfach auseinanderzuhalten sind.
Gerhard Schröder hingegen kommt nur am Rande vor, was verwunderlich ist,
scheint der Umgang mit ihm doch eine ganz wesentliche Metamorphose bei
Putin herbeigeführt zu haben. Die Anerkennung und gar Freundschaft mit dem
Regierungschef eines westlichen Landes war zu Beginn seiner Amtszeit Putins
größtes Bestreben, schildert Sygar.
Viel Hintergrundwissen wird vorausgesetzt: Zeit, die ideologischen
Verwirrungen der Jelzin-Ära zu erläutern, von denen Putin massiv
profitierte, nimmt der Autor sich nicht. Dennoch: Das Buch sollte jeder
lesen, der die Genese des Mythos Wladimir Putin nachvollziehen möchte – und
zwar nicht aus der spöttisch-fingerzeigenden Sicht westlicher Beobachter,
sondern von jemandem, der die nötigen Kontexte kennt. So eine gründliche
Betrachtung ist wichtig.
Putin mag gewissermaßen in sein Amt hineingestolpert sein, aber umso
weniger wird er es kampflos aufgeben, schließt Sygar: „Wir alle haben uns
unseren Putin erschaffen. Und wahrscheinlich noch lange nicht die letzte
Version.“
18 Jan 2016
## AUTOREN
Johanna Roth
## TAGS
Russland
Wladimir Putin
Biografie
Gerhard Schröder
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Wladimir Putin
Wladimir Putin
Philipp Mißfelder
Gerhard Schröder
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