| # taz.de -- Militärpolitik in Russland: Die Erben der Roten Armee | |
| > Putin beendet die Ära der Massenmobilisierung und setzt auf eine | |
| > Kombination aus Atomwaffen und Eliteeinheiten: Eine Schlankheitskur für | |
| > die Armee. | |
| Bild: Stolz und schlank marschiert die russische Armee in die Zukunft. | |
| BERLIN taz | Außer den militärischen Kapazitäten gibt es nichts, was Moskau | |
| Grenzen auferlegen könnte. Der Krieg gegen Georgien vor fünf Jahren hat | |
| gezeigt, dass die russische Armee trotz erheblicher finanzieller | |
| Aufwendungen altmodisch und ineffektiv geblieben war. Die Führung des | |
| Landes erkannte dies und setzte schmerzhafte Reformen in Gang. | |
| Der damalige Verteidigungsminister Anatoli Serdjukow sollte das | |
| Modernisierungsvorhaben umsetzen. Zehntausende Offiziere wurden entlassen, | |
| Hunderte „nicht kampfbereite“ Truppenteile geschlossen. All das erklärte | |
| man mit dem Bestreben, den Streitkräften „neue Gestalt“ zu verleihen. | |
| Eigentliches Ergebnis der Reformen indes war der Verzicht auf das seit 150 | |
| Jahren in Russland verfolgte Konzept einer Massenmobilisierungsarmee, die | |
| Preisgabe einer Verteidigungsstrategie, die auf einigen Millionen | |
| Reservisten unter Waffen beruhte. | |
| Wegen der demografischen Entwicklung und der Revolution im Militärwesen gab | |
| es keinen Sinn mehr, an einer Massenmobilisierungsarmee festzuhalten – in | |
| Russland kommen jährlich nur noch etwa 600.000 Jugendliche in das | |
| wehrfähige Alter von 18 Jahren. | |
| Sergei Schoigu, der Anatoli Serdjukow als Verteidigungsminister ablöste, | |
| stellte die Einberufung in die Streitkräfte faktisch ein. Gleichzeitig | |
| stellte Wladimir Putin den Minister jedoch vor eine unerfüllbare Aufgabe: | |
| Binnen einem Jahr solle die Stärke der Streitkräfte wieder eine Million | |
| Mann betragen. | |
| ## Studentenpraktika in der Armee | |
| Schoigu schlug vor, Studenten während des Studiums an den Universitäten | |
| Militärdienst durchlaufen zu lassen. Während dieser zwei oder drei Jahre | |
| erhalten sie einmal wöchentlich theoretischen Unterricht und absolvieren im | |
| Sommer vor dem Studienabschluss ein dreimonatiges Praktikum in Einheiten | |
| der Streitkräfte. | |
| Danach werden sie als Reservisten weitergeführt, die den Militärdienst | |
| nicht endgültig abgeleistet haben. Das erlaubt zumindest auf dem Papier, | |
| die Millionenarmee aufrechtzuerhalten. Tatsächlich wird die Zahl der | |
| Wehrdienst Leistenden 800.000 nicht übersteigen. Das schließt breit | |
| angelegte Operationen am Boden wohl genauso aus wie die Besetzung anderer | |
| Länder. | |
| So sind auf dem gigantischen Gebiet Russlands heute nur 46 Brigaden | |
| stationiert. Das dürfte es dem Kreml unmöglich machen, in den östlichen | |
| Teilen der Ukraine das gleiche Szenario wie auf der Krim zu entfalten. Eine | |
| Operation in der Ostukraine würde weitaus mehr Einheiten binden, als auf | |
| der Halbinsel im Einsatz sind. | |
| Kurzum: Der militärische Umbau hat nichts mit der militaristischen Rhetorik | |
| des Kreml gemein, der regelmäßig auf die militärische Bedrohung aus dem | |
| Westen verweist. Wenn der Kreml ernsthaft an eine kriegerische | |
| Konfrontation mit der Nato glaubte, hätte er es nie riskiert, auf eine | |
| Massenmobilisierungsarmee zu verzichten. | |
| ## Nuklearwaffen als Drohmittel | |
| Russlands militärische Strategie ruht heute auf zwei Stützen. Jeder | |
| potenzielle Gegner lässt sich mit Nuklearwaffen in Schach halten. Für den | |
| Unterhalt der Atomwaffen wird bis zu einem Drittel des | |
| Verteidigungshaushalts aufgewendet. Moskau verfügt über 489 nukleare | |
| Trägersysteme und 1.700 atomare Sprengköpfe auf strategischen Waffen. Das | |
| ist mehr als genug, um jeden Staat – selbst die USA oder China – zur | |
| Aufgabe aggressiver Ziele zu zwingen. | |
| Moskau ist sich über die relative Schwäche seiner konventionellen | |
| Streitkräfte bewusst und will daher nicht nur am nuklearen Potenzial | |
| festhalten, sondern es noch ausbauen. Moderne Raketen vom Typ „Jars“ und | |
| „Topol-M“ sind schon stationiert worden, zwei neue | |
| Unterwasser-Raketenträger übergeben worden, sechs weitere sollen noch | |
| folgen. Auch der Bau einer „schweren“ Rakete ist in Arbeit. | |
| Die Nuklearwaffen können nicht in lokalen Krisenherden eingesetzt werden. | |
| Das Bedrohungspotenzial solcher Konflikte ist jedoch äußerst real. Nach dem | |
| Abzug der internationalen Koalition aus Afghanistan dürften radikale | |
| Islamisten etwa versuchen, in die zentralasiatischen Republiken der | |
| ehemaligen UdSSR vorzudringen. | |
| Die Grenze zwischen Russland und Kasachstan ist nicht nur länger als die | |
| zwischen Russland und China, sie existiert auch nur auf dem Papier. | |
| Ungeachtet dessen wächst im Kreml jedoch das Verlangen, sich im | |
| postsowjetischen Raum einzumischen. Zu diesem Zweck werden gerade Kräfte | |
| einer schnellen Eingreiftruppe gebildet. | |
| In diesen Einheiten dient schon ein Großteil der 50.000 Vertragssoldaten, | |
| die die Streitkräfte jährlich verpflichten. Im besten Fall werden das | |
| 50.000 bis 60.000 Soldaten sein. Die Größe der Eliteeinheiten reicht für | |
| die Beilegung eines lokalen Konflikts, für eine breite Bodenoperation | |
| dürfte sie jedoch kaum ausreichend sein. | |
| Übersetzung: Klaus-Helge Donath | |
| 24 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Golz | |
| ## TAGS | |
| Russland | |
| Armee | |
| Ukraine | |
| Atomwaffen | |
| Wladimir Putin | |
| Russland | |
| China | |
| Nato | |
| Wladimir Putin | |
| Russland | |
| G7 | |
| Russland | |
| Ukraine | |
| Ukraine | |
| Krim | |
| Wladimir Kaminer | |
| Ukraine | |
| Sotschi 2014 | |
| Sicherheitspolitik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Ost-Vermittler, Kreml-Versteher: Unterhändler mit zwei Seelen | |
| Sein direkter Draht zu Wladimir Putin machte Alexander Rahr erst zum | |
| Kanzlerberater. Und später dann zum Gazprom-Lobbyisten. | |
| Debatte Expansion Russlands: Dugin, der Wanderprediger | |
| Ein noch fiktiver Kontinent bildet eine neue russische Utopie. Dahinter | |
| verbergen sich Ressentiments gegen Demokratie, Pluralismus und Liberalität. | |
| Chinas KP- und Staatschef in Berlin: Frieden und Glückskekse | |
| Xi Jinping besucht Angela Merkel: China und Deutschland vereinbaren eine | |
| „umfassende strategische Partnerschaft“ mit künftigem Sicherheitsdialog. | |
| Norweger wird Nato-Generalsekretär: Stoltenberg an die Front | |
| Der Nato-Rat hat entschieden: Norwegens ehemaliger Regierungschef Jens | |
| Stoltenberg beerbt Anders Fogh Rasmussen auf dem Chefposten des | |
| Militärbündnisses. | |
| Der sonntaz-Streit: Ist Putin gut für Russland? | |
| Auf der Krim wehen weiß-blau-rote Fahnen, Russland ist außenpolitisch | |
| isoliert. Doch Putins Volk ist begeistert, der Präsident ist beliebt wie | |
| noch nie. | |
| Korrespondenten-Mangel in Moskau: Von wegen Scheinweltmacht | |
| Im vergangenen Jahr hatten die „Zeit“ und das „Handelsblatt“ noch ihre | |
| Reporter aus Moskau abgezogen. Doch dann kam das Gerangel um die Krim. | |
| Folgen des Krim-Konflikts: Russland wird isoliert | |
| Die G8-Staaten schließen Russland aus. Putin reagiert gelassen und weitet | |
| die Kontrolle der Krim aus. Derweil werden Foltervorwürfe gegen die | |
| Krim-Milizen laut. | |
| Nach der Annexion der Krim: Horrorgeschichten von der Ukraine | |
| Auf der Halbinsel Krim kursieren wilde Gerüchte. Von einem Kollaps der | |
| Ukraine ist die Rede. Nicht nur Tataren überlegen, ihre Heimat zu | |
| verlassen. | |
| Russische Ultranationalisten: Schirinowski für Ukraine-Aufteilung | |
| Polen, Ungarn, Rumänien: Der Chef der Ultranationalisten bietet diesen | |
| Ländern den Westen der Ukraine an. Auf der Krim werden die letzten | |
| ukrainischen Fahnen eingeholt. | |
| Konflikt um die Krim: Ukraine ordnet Truppenabzug an | |
| Die Regierung in Kiew will, dass alle ukrainischen Soldaten die Krim | |
| verlassen. Angeblich hat sie der Halbinsel den Strom gekappt. In Den Haag | |
| tagen die G-7-Staatschefs. | |
| Nach der Annektierung der Krim: Russisches Militär rückt weiter vor | |
| UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und Außenminister Steinmeier sichern der | |
| Ukraine Solidarität zu. Auf der Krim setzt sich Russland militärisch weiter | |
| fest. | |
| Wladimir Kaminer über seine Heimat: Mein Kampf für die Russen | |
| Freiheit ist ein westlicher Wert, sagen viele Russen, wenn man sie auf die | |
| Lage in ihrem Land anspricht. Ihnen sind bezahlbare Wohnungen wichtiger. | |
| Kommentar Russland und Ukraine: Putin und die Kettenhunde | |
| Es liegt an Putin, ob es im Konflikt mit der Ukraine zum Krieg kommt. Er | |
| muss die Demagogen zügeln. Denn eine Eskalation wäre katastrophal – vor | |
| allem für die Russen. | |
| Der Rückblick aus Sotschi: Zwei Wochen mit Wladimir | |
| Der Personenkult um den Präsidenten dominierte die Spiele in Russland. | |
| Probleme? Die gab es nicht in Sotschi. Putin wird es schon wissen. | |
| Der sonntaz-Streit: Braucht Europa eine eigene Armee? | |
| Die europäischen Länder geben viel Geld für Rüstung aus. Eine europäische | |
| Armee würde Kosten sparen. Deutschland allerdings ist zögerlich. |