# taz.de -- Wladimir Kaminer über seine Heimat: Mein Kampf für die Russen | |
> Freiheit ist ein westlicher Wert, sagen viele Russen, wenn man sie auf | |
> die Lage in ihrem Land anspricht. Ihnen sind bezahlbare Wohnungen | |
> wichtiger. | |
Bild: Er kümmert sich. Sie folgen ihm. Wen interessiert da schon die Freiheit? | |
Ich schäme mich für meine Heimat, die, unverantwortlich ihrem sogenannten | |
Präsidenten folgend, die Welt an den Rand des Krieges bringt. | |
Nein, nicht alle Russen bejubeln den russischen Einmarsch in die Ukraine, | |
Menschen auf der Krim wollen sicher nicht von einer bewaffneten Einheit | |
regiert werden. Man findet kaum zwei Völker, die einander näherstehen als | |
Russen und Ukrainer. | |
Hier in Deutschland kämpfe ich seit Jahren für den guten Ruf meiner | |
Landsleute. Nein, sage ich immer wieder in den Interviews, nicht alle | |
Russen sind schwulenfeindlich, nicht alle sind Rassisten, nicht alle | |
unterstützen die Kriegsspiele ihres Präsidenten. Es wird mit den Jahren | |
nicht leichter, Russland zu verteidigen. | |
Jedes Mal, wenn ich nach Russland fahre, frage ich meine Freunde: Was ist | |
los? Wie könnt ihr so leben? Jede freie Meinungsäußerung, jede Art Freiheit | |
wird hier unterdrückt, im Fernsehen wird gelogen, was das Zeug hält, seht | |
ihr nicht, wie die Menschen hier über die Straßen schlurfen, sie schauen | |
sich alle fünfzig Meter um, als ob sie jemand verfolgt!“ | |
„Ja, das sehen wir, wir sind nicht blöd“, sagen meine Freunde. „Aber war… | |
denkst du, die Freiheit würde diese Menschen heilen? Was für eine Freiheit | |
überhaupt? Und wovon? Die Menschen hier brauchen keine Freiheit, sie | |
brauchen günstige Kredite und bezahlbare Wohnungen, das bekommen sie von | |
Putin. Alles andere sind westliche Werte, die uns aufgedrängt werden, um | |
schwache Geister zu verwirren. Niemand hier braucht Freiheit, außer | |
Schwulen, Minderjährigen und ein paar Journalisten. Es war hier nie anders, | |
und es wird nie anders werden. Nur so kann dieses Land funktionieren, mit | |
einem Tyrannen statt einer Regierung, mit einer korrupten Bürokratie, die | |
darauf ausgerichtet ist, die Schwachen zu treten und die Starken zu lecken, | |
und mit einem nachdenklichen Volk, das alles sieht, aber nichts dagegen | |
sagt. Nicht alle Staaten sollen sich gleich entwickeln. Ist doch auch eine | |
Variante, oder?“ | |
Die bittere Erfahrung ist, wenn ein Volk auf seine Freiheit verzichtet, | |
landet es früher oder später im Krieg und als Folge im Mülleimer der | |
Geschichte. Der aktuelle Tyrann wurde nicht gewählt, sondern als | |
„Nachfolger“ vor 15 Jahren dem Volk vorgestellt. Seitdem ließ er sich ein | |
paarmal wählen, zählte die Stimmen für alle Fälle selbst. Ein kleiner, in | |
einer sowjetischen KGB-Schule ausgebildeter Mann ohne Frau und ohne | |
Freunde, von der Welt abgeschottet, von Minderwertigkeitskomplexen geplagt, | |
regiert ein riesengroßes Land, in dem die Menschen jede Hoffnung längst | |
aufgegeben haben, jemals ihre bürgerlichen Rechte zu erlangen und selbst | |
ihren Präsidenten wählen zu können. | |
Der Westen strengt sich an, in den Kopf dieses Menschen reinzuschauen, die | |
Russen versuchen es nicht mal. Sie folgen ihm einfach. Er ist homophob, | |
also gehen sie auf die Straße, um gegen die Schwulen zu demonstrieren, er | |
mag keine moderne Kunst, also plündern sie die Galerien. Er lässt die Armee | |
bei den Nachbarn einmarschieren, sie schreien: „Die Krim gehört uns.“ | |
Sie denken nicht über ein Leben nach Putin nach, auch wenn das in ein paar | |
Jahren kommen wird. Wenn er eines Tages während eines Fluges mit Störchen | |
zusammenstößt und abstürzt, zu tief taucht oder von einem Leoparden | |
gefressen wird, was tun sie dann? | |
5 Mar 2014 | |
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Wladimir Kaminer | |
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