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# taz.de -- Sotschi-Rückblick aus Moskau: Wir sind ein Siegervolk
> Mit den Winterspielen wollte Präsident Wladimir Putin Russland zu neuem
> Selbstbewusstsein verhelfen. Ob das gelungen ist, wird sich zeigen.
Bild: Hurra-Patriotismus.
MOSKAU taz | Beim [1][Auftakt der Olympischen Spiele] wirkte Präsident
Wladimir Putin noch etwas verstimmt. Die westliche Kritik an geringfügigen
Mängeln im Vorfeld hielt der Kremlchef für ungerecht. Was für ihn und viele
Landsleute mehr zählte, dafür hatten die Kritiker zunächst gar keinen
Blick: Das Megaprojekt war in kaum sechs Jahren von Grund auf entstanden.
Putin wollte sich und Russland beweisen, dass es wieder zu Großtaten wie zu
Sowjetzeiten in der Lage ist. Der sportbegeisterte Präsident habe dem Volk
mit dem Projekt wieder Selbstbewusstsein und Stolz einimpfen wollen, sagt
der kremlnahe Ideologe Sergei Markow – das sei ihm auch gelungen. Ob das
zutrifft und wie lange das anhält, wird sich zeigen.
Die Spiele waren ein phänomenaler Erfolg, darin sind [2][sich fast alle
Beteiligten] einig. Nach drei Tagen verstummte auch die Kritik. Putin in
roter Olympia-Uniform strahlte und konnte nicht oft genug hören, was Thomas
Bach, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, ihm sinngemäß
sagte: Alles klappt reibungslos, Beanstandungen gibt es keine.
Darauf hatte Putin hingearbeitet. Erneut bewies er, dass er ein Kenner
einfacher Psychologien ist. Und ein Magier, der es versteht, sein Gegenüber
für sich einzunehmen. Putins Kalkül ist aufgegangen und die Welt hat sich
freiwillig zum Statisten machen lassen.
## Geblendet zurückgeschickt
Eine Tradition, die schon den französischen Diplomaten Marc Fournier vor
mehr als hundert Jahren erstaunte: Wenn ein Ausländer das Reich besuche,
lasse man vor seinen Augen eine gewisse weiße Magie spielen, worauf die
Bürokratie sich bestens verstehe, und schicke ihn dann geblendet zurück.
Wie gesagt, vor 150 Jahren. Aus dieser Schule stammt auch der geniale
Kommunikator und Eventmanager Putin. Wenn etwas einen Superlativ verdient,
dann gebührt dieser der psychologischen Kaderschmiede des KGB.
Auch die russischen Fernsehsender gingen bei der Inszenierung des
Präsidenten raffinierter vor als üblich. Obwohl er als Gastgeber, Architekt
und Trainer der Nation präsent war, blieb Putin ein Flaneur auf dem eigenen
Fest. Überdies vermittelten die Staatssender den Eindruck, das ganze Land
sei in Festlaune und auf Medaillenjagd.
Auf den Straßen Moskaus erinnerte jedoch wenig an Olympia, nicht einmal ein
Public Viewing für die eishockeybegeisterten Russen war vorgesehen. Die
Freude und Begeisterung, die die Fernsehjournalisten an den Tag legten,
hatte etwas Künstliches. Auch der überbordende Patriotismus litt an einem
falschen Zungenschlag.
## Putin, der Autokrat
Authentisch wirkten nur die unbedarften Studiogäste. Wladimir Putin ist ein
Medienprojekt, auf das sich die PR-Strategen des Kreml verstehen. Er ist im
westlichen Verständnis keine öffentliche Figur. Von seinem Leben dringt
nichts nach außen, als Autokrat muss er auch nicht auf Fragen antworten.
Das Projekt Putin lässt sich je nach Bedarf mit beliebigen Inhalten
auffüllen.
Das Großereignis Sotschi als ein gesamtnationales Freudenfest aufzubereiten
stellte die Kreml-Propagandisten vor schwierigere Aufgaben. „Wir sind
solche Inszenierungen nicht nur gewohnt, wir erwarten sie“, sagt die
65-jährige Rentnerin Ira Solowjewa. Sie schaute sich wie viele ältere
Russinnen vor allem Eiskunstlaufen an. „Manchmal sind wir sogar enttäuscht,
wenn das Drehbuch allzu realistisch ist.“ Ein Staatschef zum Anfassen wäre
für Russland nichts, sagt sie.
Auf den ersten Blick waren die Winterspiele für den Hausherrn ein voller
Erfolg. „Wir sind ein Siegervolk“, hatte Putin den Russen einst zugerufen.
Unter seiner Ägide wurde auch die russische Vergangenheit zu einer
Geschichte von Siegen und Siegern.
Und nicht nur im Sport will Moskau keine Schwäche zeigen. Wer aufmerksam
zuhört, entnimmt dem Eigenlob noch eine andere Botschaft: Wir sind nicht
nur zurück als Sportnation, auch sonst sind wir die Größten. Niemand kann
uns einholen, meinte ein vom Vaterland überwältigter TV-Kommentator. Er
dachte nicht an olympische Distanzen. Russland hat sein Selbstbewusstsein
zurückerobert. Zu wünschen ist, dass es bei dieser Eroberung bleibt.
## Besiegte haben nichts zu lachen
„Von der Sowjetunion lernen heißt Siegen lernen“, glaubten die Kommunisten
einst. Viele wurden eines Besseren belehrt. Siegen bedeutet in Russland
mehr, als erfolgreicher zu sein. Der Sieg ist die Garantie, den Besiegten
auf seinen Platz zu verweisen, ihn mit dem Makel des Schwächeren zu
stigmatisieren. [3][Besiegte haben nichts zu lachen]. Zu hoffen ist, dass
der unzeitgemäße Hurra-Patriotismus bald Nüchternheit weicht.
Dass sich Siege nicht so einfach organisieren lassen, dürfte auch eine
Lehre aus Sotschi sein. So kam der Aufstand in Kiew Moskau sehr ungelegen.
Vor kurzem noch hatte Putin als Sieger im Streit um die Ukraine gegolten.
Und wer sich gerne mit dem Gold heimischer Olympioniken schmückt, an dem
bleiben auch Niederlagen hängen.
Gnadenlos schaltete der unterschätzte finnische Gegner die „Sbornaja“, das
[4][russische Eishockeyteam aus], obwohl Putin dessen Sieg vorausgesagt
hatte und Gold verlangte. Nach missglücktem Start und der scherzhaften
Überlegung des Sportministers, die Spiele wegen ausbleibenden Erfolgs des
Gastgebers vorzeitig zu schließen, zog der dann doch noch an allen vorbei.
Enttäuschung und Kritik vergessen.
Nur im Sender Echo Moskwy warnte ein Kommentator am Morgen danach vor der
Gefahr, sich selbst zu betrügen und zu glauben, beste Sportnation zu sein.
Fünfmal Gold von naturalisierten Russen und einmal unverdientes, das
patriotische Preisrichter ihrer Eiskunstläuferin zuschusterten, sprechen
für sich. Auch beim [5][Doping mit Substanzen], die bislang nicht
feststellbar sind, könnten später – wenn niemand mehr hinschaut – noch
Unregelmäßigkeiten auftauchen, meinen Beobachter.
Kreml-Propagandist Dmitri Kiseljow war auf Einwände gegen den tatsächlichen
Goldbestand am Sonntagabend schon vorbereitet und ließ Athleten mit
russischen Namen aus anderen Teams Revue passieren. Dass diese im Ausland
aufgewachsen waren, verschwieg er. Noch ein Hinweis für Rückkehrer aus
Sotschi: „In Russland genießen jene Reisende eine besondere Wertschätzung,
die sich am ausgiebigsten und längsten zum Narren halten lassen“, meinte
Marquis Astolphe de Custine, nachdem er im 19. Jahrhundert Russland ein
Jahr bereist hatte.
24 Feb 2014
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## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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