# taz.de -- Kreml-Expertin über Putins Pläne: „EU-Entscheider sind Lame Duc… | |
> Putin will vor allem verhindern, dass es auch in Moskau zu Protesten | |
> kommt. Doch er verrechnet sich, sagt die Kreml-Expertin Lilia Shevtsova. | |
Bild: Putin geht es nur um Putin: Putin im Kreise seiner Nicht-Putins. | |
taz: Frau Shevtsova, Putin will die Krim nicht mehr annektieren, sie soll | |
nun ein eigener Staat werden. Was sind die Folgen? | |
Lilia Shevtsova: Dass wir ein neues Transnistrien bekommen. Also einen | |
formal unabhängigen Staat, der de facto von Russland kontrolliert wird. | |
Wird die Teilung der Ukraine die Krise befrieden können? | |
Überhaupt nicht. Wir laufen Gefahr, ein neues Tschetschenien zu bekommen. | |
Wegen der Krimtataren? | |
Genau. Unter den knapp 300.000 Tataren, die auf der Krim leben, finden sich | |
viele junge Menschen, die entschlossen sind, gegen die Spaltung zu kämpfen. | |
Wer sollte sie bewaffnen? | |
Noch geht es nicht um Waffen. Es zählt allein, dass sie leidenschaftlich | |
zur Ukraine gehören wollen, eine Einheit bilden und sehr diszipliniert | |
sind. Zudem können sie auf 2.000 bis 3.000 Tataren zählen, die sie von der | |
Türkei aus unterstützen werden. | |
In Deutschland nimmt man diese Minderheit nicht ernst. Vielmehr steht die | |
Gefahr eines nächsten Kalten Krieges im Mittelpunkt. | |
Diese Debatte führt in die Irre. Der Kalte Krieg war eine Angelegenheit | |
zwischen den USA und der Sowjetunion, zwei ungefähr gleich starken | |
Nuklearmächten, und es war ein Krieg der Ideologien. Russland aber sendet | |
keine ideologischen Botschaften mehr in die Welt. Der Konflikt jetzt ist | |
gefährlicher als der Kalte Krieg. | |
Das müssen Sie erklären. | |
Der Kalte Krieg basierte auf gewissen Prinzipien. Washington wie Moskau | |
wussten, welche „roten Linien“ sie nicht überschreiten durften. Der Kalte | |
Krieg war vom Respekt vor Spielregeln geprägt. In der Ukraine hat Putin | |
jetzt aber die „roten Linien“ überschritten und damit eine neue Ära | |
eingeleitet. Putins Russland ist zu einem Aggressor geworden. Sowohl in | |
Georgien als auch in der Ukraine verschiebt es jetzt Grenzen. Das ist eine | |
Gefahr für die globale Ordnung. | |
Weswegen manche eine Parallele zum Ersten Weltkrieg ziehen. Hier wurde der | |
Grundstein für die Verbindung von Grenzverschiebungen und ethnischen | |
Säuberungen gelegt. | |
Das finde ich übertrieben. Die Parallele zu 1938 und dem Sudetendeutschland | |
ist viel überzeugender. | |
Warum? | |
Weil auch hier ein Staat, also Deutschland, die Verteidigung einer | |
Minderheit zum Vorwand nahm, um in ein fremdes Land, nämlich in die | |
Tschechoslowakei, einzumarschieren. | |
Die EU diskutiert darüber, welche Sanktionen Russland unter Druck setzen | |
könnten. Was sind die Optionen? | |
Meine Erwartungen an die EU sind gering. Die EU befindet sich im Wahlkampf, | |
die gegenwärtigen Entscheider in der EU sind bereits Lame Ducks. | |
Hat Putin mit dieser Schwäche kalkuliert? | |
Natürlich! Er hat auf das Vakuum innerhalb der Ukraine gesetzt – und | |
darauf, dass niemand weiß, wer nach der Europawahl im Mai die EU-Kommission | |
anführen wird. Auch die gegenwärtig diskutierten Sanktionen dürften Putin | |
nicht stören. | |
Die Verweigerung von Visa und das Einfrieren von Konten sind egal? | |
Das würde ja nicht für Putin selbst, sondern nur für die vierte, vielleicht | |
dritte Liga in seinem Apparat gelten. Die Effekte wären sehr begrenzt. Auch | |
in der Ukraine ist man gegenüber Sanktionen und gegenüber Deutschland | |
skeptisch. | |
Warum? | |
Zunächst: Frank-Walter Steinmeier hat Sanktionen nur angekündigt: Passiert | |
ist nichts. Außerdem erinnert man sich hier noch gut daran, dass Merkel im | |
Georgienkonflikt maßgeblich verhindert hat, dass Georgien und die Ukraine | |
in die EU kamen. Und auch Steinmeiers Föderalismuspläne haben verstört: | |
Ukraine, Russland und die EU sollten die Zukunft der Ukraine diskutieren. | |
Das ist eindeutig die russische Position. Man ist also sehr skeptisch | |
gegenüber Deutschland – und das ist der führende Akteur im Westen. | |
Wie ließe sich das verlorene Vertrauen zurückgewinnen? | |
Wenn Berlin, Paris und London die vielen Orte aufdeckten, an denen Geld aus | |
der Ukraine, Russland und Kasachstan gewaschen wird. Doch bislang passiert | |
auch in diesem Bereich nichts. | |
Angesichts der erneut überforderten EU – vertritt Putin da nicht ziemlich | |
clever seine Interessen? | |
Nein, das tut er nicht. Denn er begreift überhaupt nicht, was auf der | |
Straße los ist, sondern denkt noch immer, dass der Südosten der Ukraine | |
einheitlich prorussisch sei. Das ist falsch. Seine Politik stößt auf | |
Widerstand. In Charkiw sind 10.000 Leute auf die Straße gegangen, um den | |
ukrainischen Staat zu verteidigen, und in Odessa waren es 15.000. Seine | |
Ignoranz gegenüber der neuen ukrainischen Identität wird für ihn zum | |
Problem werden. | |
Auch in der russischen Zivilgesellschaft gibt es Kritik an Putins Vorgehen. | |
Welche Rolle spielt sie? | |
Zum Glück gibt es einige, sehr mutige Menschen, die jetzt in Russland vor | |
den ukrainischen Botschaften und dem russischen Verteidigungsministerium | |
demonstrieren und riskieren verhaftet zu werden. Trotz des fürchterlichen | |
Durchgreifens der Putin-Regierung 2011 gegen die Opposition haben wir noch | |
diese widerständigen Stimmen. Trotzdem hängen sehr viele auch der Liberalen | |
dem neuen russischen Imperialismus an. Das sollte man nicht unterschätzen. | |
Aber ein anderer Punkt ist vielleicht noch wichtiger: Viele Intellektuelle, | |
auch ich selbst, haben einen Fehler gemacht. | |
Welchen? | |
Wir alle dachten, da Putin Imperialist ist – und eben kein Nationalist –, | |
dass es ihm nur darum geht, die Ukraine ins Reich zu holen. Doch sein | |
Neoimperialismus erzählt nicht die ganze Geschichte. Wenn es allein darum | |
ginge, hätte er schon viel früher gegen die Ukraine ins Feld ziehen können | |
und müssen. Das Gleiche gilt für die Republik Moldau. | |
Was also hat Putin jetzt agieren lassen? | |
Dass die Ukrainer auf den Maidan gegangen sind. Putin will um jeden Preis | |
verhindern, dass irgendetwas Vergleichbares in Moskau passiert. Maidan ist | |
für ihn das Böse schlechthin. Deshalb will er den Ukrainern zeigen, wie sie | |
sich zukünftig benehmen sollen – und mehr noch den Russen. Bei der Ukraine | |
geht es in erster Linie um Putin und seinen Machterhalt. | |
6 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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