| # taz.de -- Debatte Expansion Russlands: Dugin, der Wanderprediger | |
| > Ein noch fiktiver Kontinent bildet eine neue russische Utopie. Dahinter | |
| > verbergen sich Ressentiments gegen Demokratie, Pluralismus und | |
| > Liberalität. | |
| Bild: Faulender Westen: Die Ideologen waren auch in der Präsidialkanzlei zu Ha… | |
| Mit der Annexion der Halbinsel Krim hat Russland ein neues Zeitalter | |
| eingeläutet. Nichts wird so sein wie vorher. Die Hoffnung, Russland würde | |
| sich längerfristig dem Westen zuwenden, ist erst einmal zerbrochen. Mit dem | |
| militärischen Eingriff machte der Kreml deutlich: Die politischen und | |
| geopolitischen Veränderungen seit dem Ende des Systemgegensatzes 1991 sind | |
| aus Moskauer Sicht dringend korrekturbedürftig. Bisherige Regeln gelten | |
| nicht mehr. Wird Putin den Osten der Ukraine oder gar das gesamte Land | |
| schlucken? Sollte er noch ehrgeizigere geopolitische Ambitionen haben? | |
| „Wenn wir [in der Ukraine; d. Red.] gewinnen, werden wir mit der Expansion | |
| der Befreiung von amerikanischer Ideologie in Europa beginnen“, schrieb | |
| Alexander Dugin unmittelbar nach dem Anschluss der Krim. Die Schlacht um | |
| die Integration des postsowjetischen Raumes sei die Schlacht um Kiew, meint | |
| der Professor von der Moskauer Lomonossow-Universität. Er ist als Vordenker | |
| der „eurasischen“ Ideologie einer der bekanntesten Intellektuellen in | |
| Russland und im staatlichen Fernsehen ständig präsent. | |
| Von einer faschistoid obskuranten Randfigur zum Zeitpunkt des | |
| Zusammenbruchs der Sowjetunion stieg er in den nuller Jahren zum | |
| Stichwortgeber der jüngeren postsowjetischen Eliten auf. „Das Ziel des | |
| vollendeten Eurasismus ist ein Europa von Lissabon bis Wladiwostok, ein | |
| großes Eurasisches Kontinentalreich“, so Dugin. | |
| Die Vormachtstellung fällt der russischen Ethnie zu. Für Russland sei die | |
| Reichsidee entscheidend und dieses Reich „quasi naturgegeben“. Dass das | |
| Imperium vorübergehend verschwand, sei ein historischer Irrtum, der behoben | |
| werden müsse: „Revolutionärer Expansionismus“, nennt sich das in der | |
| Theorie der „Neoeurasier“, die sich auf die eurasische Schule der | |
| Emigration nach der Oktoberrevolution 1917 berufen. Ein Etikettenschwindel, | |
| da die „Neoeurasier“ die Ahnen an Radikalität und faschistischem | |
| Gedankengut übertreffen. | |
| Der antiwestliche Impetus ist indes beiden Bewegungen eigen. Sie berufen | |
| sich auf die Idee der „russischen Besonderheit“, die auf einem | |
| zivilisatorischen Sonderweg zwischen Ost und West beruhe. Dahinter | |
| verbergen sich Ressentiments gegen Demokratie, Pluralismus und Liberalität. | |
| Kollektiv und Staat sind die Leitprinzipien, denen sich das Individuum | |
| unterzuordnen hat. Autorität darf nicht infrage gestellt werden, das | |
| russische Ich ist kollektiv. | |
| ## Messianisches Russland und faulender Westen | |
| Kurzum: Der faulende Westen steht einem messianischen Russland gegenüber, | |
| das sich für dessen mentale und geistige Erneuerung bereithält. Die | |
| orthodoxe Kirche übernimmt den Part der spirituellen Unterweisung und gibt | |
| Anleitung zur sich selbst bescheidenden Demut. Die Weltordnung gleicht in | |
| diesem Konstrukt einem „Spinnennetz“ (Dugin), in dem das Gegeneinander von | |
| Freund und Feind erst Dynamik generiert. Unschwer zu erkennen, dass die | |
| geistigen Väter dieser Gedankenwelt im antidemokratischen Denken der | |
| Weimarer Republik beheimatet sind. Blaupause ist die „konservative | |
| Revolution“ der 1920er, die der Wegbereiter des Nationalsozialismus war. | |
| So ist das Freund-Feind-Schema Carl Schmitt, dem Kronjuristen des Dritten | |
| Reiches, entliehen. Artur Moeller van der Bruck, Karl Haushofer und Rudolf | |
| Heß gehören wie der Nationalbolschewik Ernst Niekisch als Ideenspender auch | |
| in diesen Kreis. Im Rückgriff auf Niekisch, der den Staat vergötterte, | |
| gründete Dugin mit dem Schriftsteller Eduard Limonow 1998 die | |
| Nationalbolschewistische Partei. | |
| Deutschlands Verhältnis zum Westen fußte auf dem unversöhnlichen Gegensatz, | |
| den die „konservative Revolution“ in die Formel „Kultur versus | |
| Zivilisation“ presste. Das gleiche Gefühl der Rückständigkeit und | |
| Minderwertigkeit gegenüber der westlichen Zivilisation beschleicht seit | |
| Ende der UdSSR die russischen Eliten. | |
| Auf den Cocktail aus imperialer Größe, antiliberalem Denken, Ablehnung des | |
| Westens, Traditionalismus, Nationalismus und Überlegenheitsfantasien | |
| greifen indes nicht nur marginale Kräfte zu. Er ist nicht nur | |
| gesamtgesellschaftlich hoffähig; es gibt schlichtweg keinen anderen | |
| öffentlichen Diskurs mehr. Kommunisten, Neofaschisten, Klerikale und | |
| Vertreter der Kremlpartei singen alle dasselbe Lied. | |
| ## Schwärmen für dei Waffen-SS | |
| Texte und Melodie stammen nicht alle von Dugin, ein weit verzweigtes | |
| Netzwerk aus Stiftungen hat die Popularisierung und Verbreitung übernommen. | |
| Fast alle machen aber Anleihen bei ihm. In 20 Jahren gelang es Dugin, | |
| sowohl im Zentrum wie auch am subkulturellen Rand vertreten zu sein. In | |
| Thinktanks, TV-Sendern und Talkshows sitzen die Adepten, selbst in der | |
| Präsidialkanzlei waren sie zu Hause. | |
| Erstaunlich ist, dass Russland einen unerbittlichen Propagandakrieg in der | |
| Ukraine gegen sogenannte Faschisten führt, diese vor der eigenen Tür indes | |
| übersieht: Dugin bekannte sich noch in den 1990er Jahren zum Faschismus, | |
| schwärmte für die Waffen-SS und die Organisation Ahnenerbe und sagte für | |
| Russland das Aufkommen eines „authentischen, radikalen, revolutionären und | |
| konsequenten, eines faschistischen Faschismus“ vorher. Heute gibt er sich, | |
| als Leiter des Instituts für Konservatismusstudien, eher als | |
| „Konservativer“ aus. Rassismus wohnt Dugins Werk auch inne, spielt aber | |
| keine zentrale Rolle. | |
| Nicht zufällig ist Sergei Glasjew, Putins Beauftragter für die Entwicklung | |
| Eurasiens und der Zollunion, auch ein Anhänger dieser Ideologie. Dugins | |
| Internationale Eurasische Bewegung (IEB) unterhält enge Kontakte zur neuen | |
| Rechten in der EU. Dumaabgeordnete scheuen sich nicht, mit | |
| neofaschistischen Parteien wie der ungarischen Jobbik und anderen | |
| antieuropäischen Kräften zusammenzuarbeiten. Langfristig soll die | |
| Erweiterung der EU verhindert und die europäische Idee endgültig | |
| diskreditiert werden. Dugin nennt sein Konstrukt eine „Metaideologie, die | |
| allen Feinden der offenen Gesellschaft gemein ist“. | |
| Der jungen Generation wurde dieses Gedankengut in Schulen, den Medien und | |
| auf der Universität mitgegeben. Wie die politische Elite hat auch sie | |
| wieder klare Feindbilder. Ob mit oder ohne Putin, Russland ist auf längere | |
| Zeit verloren. | |
| 14 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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